Politikus

„Wir wollten eine andere Gesellschaft.“

Hausbesetzungen sind nicht nur ein Berliner Phänomen. Auch in München gab es in den 1970er und 80er-Jahren Versuche, Häuser zu besetzen. Immer mit dezidierter politischer Motivation.

Von Laura Späth

„Hausbesetzungen sind ein Akt des Widerstands gegen die Willkür der Hausbesitzer! Sie können natürlich unter heutigen Bedingungen das Wohnungsproblem nicht lösen. Zu lösen ist das Wohnungsproblem nur durch den umfassenden Kampf für eine Gesellschaftsordnung, in der nicht mehr die Profitinteressen der Kapitalisten entscheiden, sondern die Bedürfnisse der Menschen.“

Diese Zeilen standen auf einem Flugblatt der Roten Hilfe München, das im Januar 1972 verteilt wurde. Darin berichtete die Solidaritätsorganisation für politisch Verfolgte aus dem linken Spektrum von der Räumung zweier besetzter Häuser, die zuvor leer standen und als Reaktion auf den massiven Leerstand in München besetzt wurden. Solche Flugblätter gab es in den 1970er und 80er Jahren in München durchaus nicht selten, denn die Idee, Häuser zu besetzen, hatte sich, ausgehend von Berlin und Frankfurt, in vielen Städten Deutschlands verbreitet.

An solchen Flugblättern zeigt sich der politische Gedanke hinter Hausbesetzungen: In München ging es weniger darum, die Häuser für längere Zeit zu besetzen und bewohnbar zu machen, sondern mehr um die Thematisierung von Leerstand, Wohnungsnot und Obdachlosigkeit. Hinzu kam die politische Linie Anfang der 80er: Die Menschen erlebten, wie wenig die Ideen der 68er in der parlamentarischen Politik angekommen waren, der Nachrüstungsbeschluss war eben erst durchgesetzt worden und wurde von ihnen mit zahlreichen Demonstrationen zu Krieg und Frieden beantwortet. Gleichzeitig war die linke Szene von K-Gruppen, also autoritär-kommunistischen Zusammenschlüssen geprägt, was entscheidend dazu beitrug, dass sich eine anti-autoritäre Punkkultur entwickelte. „Wir hatten den Wunsch, aus dem bestehenden Politischen auszubrechen. Wir kämpften für Wege nach draußen, wir wollten eine ganz andere Gesellschaft.“, sagt Siegfried Benker, der selbst in den 80ern an den Besetzungen beteiligt war.

Natürlich waren Hausbesetzer_innen auch zu dieser Zeit schon in ganz Deutschland großer, manchmal lebensgefährlicher Repression ausgesetzt. So wurde der Aktivist Klaus-Jürgen Rattay in Berlin von einem Bus überfahren, nachdem die Polizei ihn auf die Straße getrieben hatte. Besonders in Bayern gab es Konservative, die Hausbesetzungen um jeden Preis verhindern wollten. Das Motto gegen Hausbesetzungen drückte der damalige Polizeipräsident so aus: „In München – das garantiere ich – bleibt kein Haus länger als 24 Stunden besetzt.“ Und das wurde nicht selten brutal umgesetzt. Dem zum Trotz gründeten sich Anfang der 80er-Jahre Gruppen von Hausbesetzer_innen. Sie trafen sich in Szenekneipen, erfassten Leerstände in München, versuchten die Besitzer_innen ausfindig zu machen, besetzten manche dieser Leerstände und beteiligten sich an vielen Demonstrationen zum Thema Wohnraum.

Siegfried Benker mit Aktivist_innen vor einem besetzten Haus in der Tulbeckstraße 14 © Siegfried Benker

Als Reaktion auf die von der Regierung gesetzte 24-Stunden-Grenze besetzten Aktivist_innen beispielsweise die leerstehende Wohnung eines DKP-Mitglieds in der Blutenburgstraße und befestigten ein Transparent mit der provokanten Aufschrift „Dieses Haus ist besetzt seit … Stunden.“ Vor „Stunden“ stellte man Zahlen zum Umklappen, die sich immer zur vollen Stunde änderten. Im Jahr 1982 fehlten aufgrund massiver Repression allerdings viele der Aktiven. Trotzdem wäre es falsch zu glauben, die Menschen hätten sich damals einschüchtern lassen. Vielmehr verfestigte sich aus diesen Erfahrungen das Bewusstsein und die Forderung „Wir wollen eine andere Stadt.“; aus dem Frust- und Ohnmachtsgefühl wuchs der Antrieb, die Stadt aktiv zu verändern. Im selben Jahr entstand beispielsweise die Alternative Liste, die mit dem Ziel antrat, der Dauer-Schikane etwas entgegen zu setzen. Auch aus der Bevölkerung und der unmittelbaren Nachbarschaft gab es für Hausbesetzer_innen oft Zuspruch und Solidarität, da die Menschen selbst empört waren über den Leerstand in ihrer Gegend.

Hausbesetzungen blieben jedoch ein Phänomen der 80er-Jahre. Siegfried Benker erklärt das einerseits dadurch, dass die Idee von Hausbesetzungen in München wenig Verankerung besaß, sondern vielmehr aus anderen deutschen Großstädten übernommen worden war. Andererseits waren in München die Gruppen, die das Recht auf Stadt zu ihrem Thema machten, vergleichsweise klein – auch und vor allem aufgrund der starken Repression, die früh und kontinuierlich griff.

Von den 90ern bis heute gab es nur noch wenige Male den Versuch, ein Gebäude zu besetzen. Allesamt endeten sie früh in meist gewaltsame Räumungen durch die Polizei. 2007 wurden beispielsweise drei Menschen zu langen Haftstrafen verurteilt, als sie sich in zum Abriss bestimmten Häusern aufhielten. Die Frage, ob der Vorfall damals überhaupt den Tatbestand der Hausbesetzung erfüllte, ist bis heute nicht geklärt.

Letztendlich sind Hausbesetzungen in ihrem Kern eine Art und Weise, mit sozialen Problemen wie Wohnungsnot umzugehen und Rechte einzufordern. Und auch die Reaktionen darauf zeigen, dass es in Städten das Bedürfnis gibt, das eigene Umfeld so aktiv mitzugestalten, um es in einen Ort ohne Obdachlosigkeit zu verwandeln.

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