50 000 Menschen studieren an der LMU. Drei von ihnen nahmen 2016 zudem an Olympia oder den Paralympics teil. Eine davon ist Johanna Welin – Medizinstudentin, Mutter und Rollstuhlbasketballerin.
Von Elena Wlacil
Für einen kurzen Moment verharren Johanna und ihre Teamkameraden noch mit ihrem Trainer in der Kabine. Dann schwingt die Tür auf. Tosender Jubel bricht in die Umkleide herein. Johanna gibt ihrem Rollstuhl einen kräftigen Schub und rollt zusammen mit ihren Mannschaftskameraden in die Arena. Es ist hell und laut, tausende Zuschauer sitzen auf der Tribüne, johlen und klatschen. Während der Spieler-Vorstellung sucht Johanna die Tribüne ab. Und hat sie schnell gefunden: Ihre Familie, die extra nach Rio geflogen ist, um sie bei den Paralympics 2016 zu unterstützen. Dann ertönt die deutsche Nationalhymne. Johanna stimmt mit ein, konzentriert sich ganz auf sich selbst und denkt nur noch: „Das muss ich jetzt genießen. Das ist der Moment, auf den ich so lange hingearbeitet habe.“
Bis zum Finale sind die deutschen Rollstuhlbasketballer gekommen. Dann mussten sie sich gegen die USA geschlagen geben. Zur deutschen Nationalmannschaft, die 2016 in Rio an den Start ging, gehört auch Johanna Welin, 32, Mutter eines zweijährigen Sohnes und Medizinstudentin an der LMU. Die Brünette mit dem breiten Lächeln nahm bereits an den Paralympics 2012 in London teil. Deswegen hat der Wettkampf für sie aber keinesfalls an Zauber verloren. Im Gegenteil: „Das ist das Größte, was es in unserem Sport gibt“, sagt sie mit leuchtenden Augen. „Kein Vergleich zu Europa- oder Weltmeisterschaften.“ Die mediale Aufmerksamkeit, die Zuschauerzahl, die Stimmung – alles ist weiter, höher, besser.
Vor allem die Atmosphäre sei unvergleichlich. Das Wir-Gefühl wird schon zu Beginn besiegelt. Die deutschen Athleten fliegen zusammen in einer Maschine nach Rio. Dabei bietet sich für die Sportler die Möglichkeit, auch mal Teilnehmer aus anderen Sportarten kennenzulernen.
Im paralympischen Dorf angekommen, ist der Tagesablauf dann aber streng getaktet: Essen, Spielanalyse, Training, Spiel, Interviews. Zeit, um gemeinsam abzuhängen oder Sightseeing in Rio zu machen, bleibt da wenig. Trotzdem verbindet die Athleten die Gemeinschaft: Alle freuen sich für die Anderen, wenn sie im Wettkampf Erfolg hatten. Zu romantisch darf man sich das allerdings nicht vorstellen, das wissen gerade Teamplayer. In einer Nationalmannschaft werden lauter unterschiedliche Charaktere zusammengewürfelt, die in der Vorbereitung und während des Wettstreits selbst viel „aufeinander sitzen“. Das wird irgendwann auch anstrengend.
Die Stimmung in den Hallen sei aber letztendlich ausschlaggebend, dass der Wettbewerb so viel Spaß mache. Mehrere tausend Zuschauer verfolgten die Spiele in den Basketballhallen. Ganz anders als bei Olympia zweieinhalb Wochen zuvor. Da bot sich oft das Bild verlassener Sportstätten. Danach hatten die Veranstalter aber dazugelernt und die Preise reduziert. „Bei uns waren die Leute da und haben gefeiert“, berichtet die Sportlerin begeistert.
Ursprünglich stammt die erfolgreiche Basketballspielerin aus der nordschwedischen Provinz Pajala. Sport war immer schon ihr Leben: Im Sommer spielte sie Fußball, im Winter fuhr sie Snowboard – bis zu einem Unfall im Jahr 2004. Mit 19 Jahren stürzte sie während eines Contests schwer und blieb als Folge davon von der Hüfte ab gelähmt.
Im Rollstuhlbasketball fand sie noch in der Reha eine neue Leidenschaft. Um Deutsch zu lernen, zog sie später nach Österreich und weil es da kein Rollstuhlbasketballteam gibt, schließlich nach München. Johanna wusste schon früh, dass sie einmal Medizin studieren wollte. Vor ihrem Unfall schwankte sie noch zwischen Tier- und Humanmedizin. Schon ihr Papa war Tierarzt. Da es als Rollstuhlfahrerin aber fast unmöglich ist, als Tierärztin zu arbeiten, immatrikulierte sie sich an der LMU schließlich für Medizin. 2014 kam außerdem ihr Sohn Ilja auf die Welt.
Wie sie das alles schafft? Johanna grinst. Das wird sie wahrscheinlich oft gefragt. Für sie ist klar, dass sie Abstriche machen muss. Dauernd. Statt im zwölften ist sie derzeit im achten Semester. Geburtstage, Hochzeiten und Partys finden regelmäßig ohne sie statt und wenn andere abends faul vorm Fernseher zu sitzen, muss sie lernen.
Spitzensport und Studium, dazu gehört viel Organisation. Das wissen auch Fabienne Kohlmann und Hannah Krüger. Auch sie studierten im Sommersemester noch an der LMU und nahmen gleichzeitig bei den olympischen Spielen teil. Psychologiestudentin Fabienne ging in ihrer Paradedisziplin, dem 800-Meter-Lauf, an den Start. Hannah erkämpfte sich mit der Hockey-Nationalmannschaft Silber. Vor dem globalen Kräftemessen hatte die Mittelfeldspielerin noch ihr Staatsexamen in Biologie und Chemie geschrieben. Sie will nach ihrer sportlichen Karriere Gymnasiallehrerin werden.
Laut einer Studie der Hochschule Mittweida gehören die drei damit keiner Minderheit an. Bei Olympia war jeder dritte Teilnehmer gleichzeitig an einer Hochschule immatrikuliert. Somit machten die Studenten die größte Gruppe aus, ähnlich wie in den Jahren zuvor. Von den insgesamt 42 deutschen Medaillen wurden 43 Prozent von Studierenden beziehungsweise mit studentischer Beteiligung erzielt. Warum so viele Spitzensportler parallel studieren, liegt auf der Hand: Höchstleistungssport kann niemand bis ins hohe Alter betreiben. Die Athleten müssen sich also nebenbei ein zweites Standbein aufbauen.
Auf dieses Ziel fokussiert sich auch Johanna. 2018 möchte sie ihr Staatsexamen schreiben. Und im Sport mindestens noch die Europameisterschaft nächstes Jahr mitspielen. Was danach passiert, wisse sie nicht. Nur so viel: WM-Gold fehlt ihr noch. Und die Weltmeisterschaft im Rollstuhlbasketball ist erst 2018.