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Fahren oder gefahren werden?

Selbstfahrende Autos sind das große Zukunftsprojekt der Branche. Doch das Wesentliche bleibt dabei unbeachtet. Eine Stilkritik.

Von A. Albert

Wie sieht das Automobil der Zukunft aus? Diese Frage beschäftigt zur Zeit viele Menschen, denn seitdem klar ist, dass die großen Automobilhersteller in Sachen selbstfahrender Fahrzeuge Ernst machen, häufen sich die Medienberichte über die zukünftig angestrebte Form des autonomen Vehikels. Was jedoch nahezu immer außer Acht gelassen wird, ist der lebensweltliche Bezug zum Automobil, die Liebe zum Fahrzeug, das Irrationale, das Schöne, oder um es mit dem Slogan eines bayrischen Autofabrikanten zu formulieren: Die „Freude am Fahren“.

© Averie Woodard

Dass diese Freude und damit auch der Slogan, im Falle eines tatsächlichen Eintritts des Autonomieszenarios unter Umständen brüchig werden könnte, hält den Konzern – neben vielen anderen – jedoch nicht davon ab, munter an neuen Conceptcars für die Zukunft zu basteln. Jüngst erst haben die Designer Clara Fessler, Benjamin Loinger, Luis Meixner und Jean-Marc Wilkens ein Conceptcar für BMW designt, in welchem sich die Insassen allesamt face-to-face gegenübersitzen und folglich keine Person mehr das Steuer übernehmen muss. Da es sich bei dem Entwurf um ein freizeittaugliches Fahrzeug gehandelt hat, sah sich ein Rezensent des Online Magazins Yanko Design bereits dazu verleitet, den verlorengegangenen Fahrspaß an ebenjener Sitzanordnung festzumachen: „Look in the interiors and you’ll see seats facing each other, mimicking the way people sit facing each other in a plane before going skydiving, or on a boat before scuba diving, subconsciously reinforcing the feeling of that adrenaline rush.“ Doch seien wir mal ehrlich; es benötigt schon sehr viel guten Willen, um aus der alleinigen Tatsache, dass sich vier Personen bei gemäßigter Geschwindigkeit gegenübersitzen, einen Adrenalinrausch abzuleiten.

Der Filmemacher Christian Petzold, für den das Auto in vielen seiner Werke ein zentrales Motiv darstellt, hat dazu passenderweise in einem Interview vor einigen Jahren – noch vor dem Wirbel um autonome Fahrzeuge also – folgendes geäußert: „Man ist im Auto isoliert, wie in einem Käfig, man bildet eine verschworene Gemeinschaft. Zugleich sitzt man sich nicht gegenüber, man guckt sich nicht an; das Weggucken ist die normale Kopfbewegung, und dadurch wird das Anschauen zum Ereignis.“

Der Adrenalinrausch steckt folglich nicht im Gegenüber-, sondern im Nebeneinandersitzen. Die Momente des Anschauens werden zum Ereignis. Tatsächlich gibt es wohl kaum Orte, an denen es sich leichter schweigen lässt als in einem Auto. Ein Auto stiftet zwischenmenschliche Nähe und gleichzeitig angenehme Distanz, da man durch die Anordnung der Sitze keiner permanenten Musterung eines Gegenübers ausgesetzt ist. Man ist zusammen und doch für sich.

Doch kehren wir nochmals zurück zu Christian Petzold oder ganz generell zum Film und der Frage danach, wie denn wohl die Filmindustrie darauf reagieren würde, wenn sich das autonome Fahrzeug tatsächlich durchsetzen sollte. Aus filmästhetischer Sicht könnte das Automobil dann womöglich zu einem Ort der Krise und der Überforderung umgedeutet werden, ähnlich wie die berühmten Fahrstuhlszenen, in denen Personen – ebenfalls auf engem Raum – passiv und gleichermaßen aufgabenlos durch Raum und Zeit transportiert werden und sich dabei in bemühtem gegenseitigem Desinteresse üben. Vorbei also die Zeiten, in denen das Auto zur Inszenierung von Geschwindigkeit, zur Anbahnung beziehungsweise zum Ausleben von Intimität, zum Ausleben von Freiheit und weiteren altbekannten Szenen taugt. Dass dies nicht nur für den Film gilt, sondern auch für die reale Welt, liegt dabei auf der Hand. Denn wenngleich das Automobil in vielen Filmen gerne überästhetisiert wird, so färben diese Bilder doch auch auf den alltäglichen Umgang mit diesem ab. Das Automobil war nie nur Mittel zum Zweck, um von A nach B zu kommen, sondern immer schon eingebettet in einen ästhetischen Kontext: als ein ästhetisches Objekt an sich, als ein Objekt ästhetischer Begierde und vor allem aber als ein Ort ästhetischer sozialer Praxis. Wie müsste also ein neuer überzeugender Slogan für BMW aussehen? Wohl kaum „Freude am gefahren werden“.

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