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Im Boxring mit Mütterchen Russland

Ein Auslandssemester in St. Petersburg

 

„Dass du mir nicht auf die Idee kommst, in Russland zu boxen!“ hatte meine Freundin spaßhaft vor meinem Auslandssemester in St. Petersburg zu mir gesagt. Natürlich musste es so kommen.

 

Eine Treppe hinunter in einen Kellergang, abgeplatzte Farben und Heizungsrohre an der Wand. Am Ende des Ganges eine Tür, beim Näherkommen wird der Geruch nach altem Schweiß stärker. Hier ist es – das Gym der Staatlichen Universität St. Petersburg. Bei einem Blick durch die Tür erkenne ich verbeulte Sandsäcke und weiter hinten leicht erhöht einen Boxring.

Ein Mann im Traineranzug kommt angeschlurft und fragt mich, was ich will. Ich sage, dass ich Student bin und hier trainieren möchte. „Glückwunsch“ sagt er und weist mit dem Kopf Richtung Ausgang. Ob das heißt, dass ich mich verpissen soll, oder dass ich mich dort anmelden kann, ist nicht klar erkennbar.

Zurück in den Kellerflur mit der abgeplatzten Farbe. Es gibt dort noch andere Türen, aber die sehen so aus, als seien sie seit der Perestroika nicht mehr geöffnet worden. Ein Hilfe suchender Blick zurück über die Schulter nach dem Herrn, aber der schaut nur finster. Zögerliches Klopfen an einer halbwegs viel versprechenden Tür.  Nach einer Zeit setzt sich drinnen hörbar etwas in Bewegung. Ich öffne. In dem Raum sind mehrere Männer um die sechzig, vergilbte Zeitungsausschnitte von Wettkämpfen schmücken die Wand. Dass ich düster angeblickt werde, überrascht mich kaum.

„Ich habe eine Zettel“, stottere ich in meinem besten Russisch. Gemeint ist die Anmeldebestätigung zu dem Box-Kurs, die mir in der Sportfakultät der Uni ausgestellt wurde. „Du hast also eine Zettel“, wiederholt einer der Männer von seinem Platz aus ungerührt. Um irgendetwas zu sagen, erzähle ich leicht panisch, dass ich Deutscher bin und hier ein Semester studiere. Aha, also Deutscher, sags doch gleich, man war ja selbst mal als Boxer in München, schöne Frauen dort, wie heißt du überhaupt, klar kannst du hier trainieren, Thai Boxen hast du also schon gemacht, was du nicht sagst.

So schnell macht man in Russland Freunde.

Boxenrussland
© Alexander Pirang

Das Training mit dem Wettkampfteam ist schmerzhaft. Mir wird der schmächtigste Trainingspartner zugeteilt, trotzdem werde ich verprügelt. Und das mit der Vorgabe, nicht zu dolle zu hauen, da ich noch keinen Mundschutz habe. Der Mann, dem ich zu Anfang begegnet bin, ist einer der Trainer. Er ist nicht mehr mürrisch, sondern zeigt mir jede Technik so lange, bis er zufrieden ist. Als er mir am Ende auf die Schulter klopft, meine ich ein paar  Zentimeter in der Erde zu versinken. Übrigens macht das Training großen Spaß.

In der Umkleidekabine verwandeln sich gerade noch brutal trainierende Faustkämpfer in Philosophie- und Jurastudenten zurück. Nur eine gebrochene Nase hier und dort verschärft ihr harmloses Aussehen. Mein Trainingspartner verabschiedet sich mit Handschlag. „Bis nächstes Mal.“ Ich reibe die schmerzenden Rippen.

Zwei Tage später bleibe ich nach dem Training im Gym, wo um den Ring herum Bänke aufgebaut werden. Ein Turnier wird stattfinden zwischen Boxern meiner Mannschaft und Kämpfern aus anderen Städten. Die Glocke läutet und zwei junge Männer beginnen aufeinander einzuschlagen. In dem niedrigen Raum wird die Luft dicker. Lautes Keuchen der Boxer und ein dumpfes Geräusch bei Treffern. Alle Augenpaare sind fixiert auf das von Seilen abgetrennte Quadrat. Die Kämpfer umarmen sich am Ende. Ein neues Paar steigt in den Ring, heisere Stimmen brüllen die Taktik.

Mein Trainer steht abseits. Er wirkt mit seiner knorrigen Gestalt ein wenig verloren neben zwei bulligen Russen in  Lederjacken. Doch seine Augen glänzen, während er den Jungen im Ring zusieht.

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