Die Landschaft Münchner Studierendenmagazine ist um ein Mitglied reicher: colophon – Magazin für Kunst und Wissenschaft heißt das Kooperationsprojekt zwischen dem kunsthistorischen Institut der LMU und der Akademie der Bildenden Künste.
Eine Rezension von Philipp Horn
Das Depot aussortierter Wortschätze ist ein sonderbarer Ort. In unzähligen Lagerregalen türmen sich in ihm die außer Gebrauch geratenen Begriffe. Sprachlich Veraltetes, Vergessenes, durch Neues Ersetztes. Vieles verstaubt hier zu Recht, zum Beispiel „Blockwart“ oder „beweiben“ – manches aber zu Unrecht. „Kolophon“ beispielsweise, der mittelalterliche Begriffsvorgänger des Impressums, also der Abschnitt einer Publikation, der sämtliche Druckwerkdetails enthält, wie Name des*der Verfasser*in, Ort, Verlag. Denkt man darüber nach, klingt Impressum nur leider vergleichsweise bescheuert. Als hätte sich der Verlag Zivilklagen-prophylaktisch am Ende des Texts noch den Autor*innen-Namen inklusive Schriftgröße rausgedrückt. Dagegen hat Kolophon Klang-Umami: der Sound des 15. Jahrhunderts, Wissenschaft und Kunst als Kampfsportarten; Tiegelpresse, Druckerschwärze. Schade nur, dass Kolophon seither im Wortdepot verstaubt – oder besser: verstaubte. Seit letzter Woche ist der Begriff nämlich wieder genau da, wo er hingehört: auf Papier gedruckt, im Titel einer Zeitschrift. „colophon – Magazin für Kunst und Wissenschaft“ heißt das Produkt der Zusammenarbeit zwischen dem kunsthistorischen Institut der LMU und der Akademie der Bildenden Künste. Entwickelt hat die Zeitschrift eine Gruppe aus Studierenden, Nachwuchswissenschaftler*innen und Grafiker*innen, im Rahmen eines Kooperationsseminars unter der Leitung von Magdalena Becker und Niklas Wolf.
Das colophon gelingt etwas, woran viele scheitern
Um es gleich vorwegzunehmen: Das Ergebnis ist beeindruckend. Schon allein, weil der Zeitschrift spielerisch gelingt, woran viele Professor*innen konsequent scheitern: Stichwort Interdisziplinarität – anders als das Wort Kolophon eine Hörsaalfloskel, die einem gefühlt in jedem Seminar pausenlos an den Kopf geworfen wird. Unverbindlich natürlich. Denn effektiv beschränkt sich der Dialog zweier Disziplinen häufig darauf, sich in Fußnoten zentnerschwerer Sammelbände über die jeweils andere Fachrichtung auszukotzen. Wer wissen will, wie es richtig geht, schwänzt einfach mal die nächste Zoom-Übung und kauft sich stattdessen die Erstausgabe des colophon.
Schon bei der Release-Party in den Galerieräumen des „super+centercourt“ wird deutlich, wie sehr das Magazin seinem Selbstverständnis als Dialogplattform gerecht wird. Freitagnachmittag. Draußen Sonne, drinnen Kunst und Wissenschaft; Objekt und Text auf Augenhöhe. Eine Wand ist tapeziert mit den Seiten der Erstausgabe, einzelne in ihr besprochene Objekte und Kunstprojekte sind daneben ausgestellt. In der Mitte des Raums ein (noch) kniehoher Stapel aus Zeitschriftenexemplaren. Erste Besucher*innen verteilen sich in der Ausstellung, vor der Tür öffnen sich die ersten Radler von allein. Zeit für ein kurzes Gespräch mit den Herausgeber*innen. Magdalena Becker arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie der Bildenden Künste, Niklas Wolf promoviert und lehrt am Institut für Kunstgeschichte der LMU. Projektidee und Konzept sind schnell erklärt: Beiden fehlte der Austausch zwischen den Institutionen, also brachten sie die Studierenden beider Häuser in einem kooperativen Seminar zusammen. Ziel war es, gemeinsam ein Konzept für eine eigene Publikationsreihe zu entwickeln. Auf diesem Weg erhielten die Beteiligten nicht nur Einblicke in unterschiedliche Bereiche wie Publikationswesen und grafische Ausgestaltung, sondern machten sich gleichzeitig mit den Arbeits- und Denkweisen des jeweils anderen vertraut.
Die Studierenden arbeiteten in Zweier-„Tandems“
Klingt einfach? Die beiden lachen. Nein, einfach sei es nicht gewesen. Ihr Lachen klingt nach Lektorats-Nachtschichten und Korrektur-Krisensitzungen. Faszinierenderweise sieht man der Zeitschrift keines von beidem an. Was man jedoch sofort merkt: Magdalena Becker und Niklas Wolf ging es um Zusammenarbeit, nicht um bloßen Austausch. Die Studierenden teilten sie dafür in Zweier-„Tandems“ ein, bestehend aus je einer*einem Studierenden beider Häuser. Jedes dieser Tandems sollte einen Beitrag zum Leitthema der Erstausgabe erarbeiten: Display. In Kunst und Kunstwissenschaft beschreibt Display die Art, Kunst zu präsentieren, Objekte im Raum auszustellen, sie gegenüber Betrachter*innen in Szene zu setzen (im colophon deutlich besser erklärt durch die Beiträge von Regine Ehleiter, Johannes Neumeier und Sonnja Genia Riedel).
Insgesamt neun studentische Texte befassen sich mit den unterschiedlichen Facetten des Display-Begriffs, ergänzt um die Beiträge von Nachwuchswissenschaftler*innen. Auch hier zielt das Projekt auf Dialog: Wissenschaftler*innen, Grafiker*innen und Künstler*innen wurden in das Projekt integriert, hielten Vorträge im Seminar, arbeiteten Seite an Seite mit Studierenden. Natürlich entsteht auf diese Weise mehr als bloßer intellektueller Austausch – es entstehen Netzwerke. Wie die Herausgeber*innen betonen, ist ihre Zeitschrift auch als Augenzwinkern in Richtung eines konkurrenzgeladenen, publikationsobsessiven Wissenschaftsbetriebs konzipiert. In diesem ist Anerkennung für die eigene Leistung ein ebenso rares Gut, wie die Möglichkeit zur Veröffentlichung der eigenen Ergebnisse (von angemessener Bezahlung einmal ganz zu schweigen). Das colophon gibt seinen Mitwirkenden die Gelegenheit, erste eigene Publikationen zu veröffentlichen, und stellt durch die Wahl des Zeitschriftentitels deren Verfasser*innen gleichzeitig symbolisch in den Vordergrund. Anders als in den meisten Publikationsreihen, befinden sich die Namen sämtlicher Mitwirkenden im colophon direkt unter dem Titel. Dadurch verschwimmt, herrlich selbstreferenziell und vielschichtig, die Trennschärfe zwischen Titel und Textsorte. Kolophon wird vom textlichen Rahmen zum konkreten. Das colophon, das Projekt, das seine Mitwirkenden in Szene setzt wie ein stolz nach vorne gerecktes Kinn: Hier sind wir, jung und kompetent und wir brauchen uns vor niemandem zu verstecken.
Das Format ist praktisch und durchdacht
Generell ist der Hang zur Selbstreferenz eine der zentralen Stärken der Zeitschrift. Die Herausgeber*innen verstehen ihr Projekt als Prozess. Nur der Rahmen bleibt bestehen und soll von nun an jedes Semester von neuen Namen, neuen Herausgeber*innen und Mitwirkenden gefüllt werden. Layout und Format spiegeln diesen Anspruch. Die Macher*innen verzichten auf die bettlakengroße Unförmigkeit klassischer Zeitungsformate und wählen stattdessen ein griffiges DIN A3-Format, welches längs noch einmal gefaltet ist. Praktisch, da man Seite zwei lesen kann, ohne beim Umblättern den Kaffee vom Nachbartisch zu ballern. Durchdacht, weil die Prozesshaftigkeit des Projekts durch den Knick im Heft eine eigene Ästhetik bekommt. Als hätte sich jemand, vom Lesen angeregt, in Gedanken verloren und die Zeitschrift für einen Moment beiseitegelegt, um sich gleich erneut hineinzustürzen.
Ob in Ausrichtung, Form oder Inhalt – colophon balanciert gekonnt entlang der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft. Professionell publiziert und anregend geschrieben wird die Zeitschrift ihrem Anspruch als Dialogplattform mehr als gerecht. Dass ein solches Projekt auch noch im Lockdown aufgezogen wurde, ist beeindruckend. Kurz: das colophon ist eine Bereicherung für die Landschaft Münchner Studierendenmagazine. Vor allem aber ist es genau die richtige Lektüre für diesen „inter-Covid-Sommer“. Erfrischend analog, gedruckt auf Papier gibt colophon Haptik, die wegzwingt vom Bildschirm. Raus in die Sonne, hinein in die sommerliche Verschnaufpause, bevor es wieder duster wird: Gläser auf den Tisch, Gedanken in den Kopf, Themen ins Gespräch, das Heft in die Hand, los geht’s!