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Möge die Kraft mit dir sein

Drachenlinien unter Stadtpalisaden, Kraftknoten an Hügeln und Flussgabelungen. Die Suche nach Orten mit Seele führt in die Welt der Geomantie.

Die Marienstatue – Ein kollektiver Kraftort? (Symbolbild)

Von Christina Kockerd

Wie wir Orte bewerten, hängt – ebenso wie bei Menschen – davon ab, was für gemeinsame Erfahrungen wir mit ihnen teilen und welche subjektiven Wahrnehmungen wir von ihnen haben. Das führt dazu, dass man sich an manchen Orten gut fühlt und an anderen weniger, weil man sie einer schönen oder unangenehmen Erinnerung zuordnet. Gibt es aber Orte, an denen jeder ein ähnliches Wohlbefinden entwickelt, selbst wenn man noch nie zuvor dort war? Wenn es nach dem Astrologen, Autor und sogenannten Kraftort Experten Christopher Weidner geht, dann gibt es diese. Und wer sucht, der wird in München schon vor der eigenen Haustür fündig.

Symbolbild

Wir begeben uns auf die Suche. Und wie jede*r unvoreingenommene*r Münchner*in beginnen wir sie im Zentrum – auf dem Marienplatz. Christopher Weidner klärt auf: Jene Orte, an denen in früheren Zeiten Kirchen, Schlösser und Stadtzentren errichtet wurden, zeichnen sich durch eine besondere Kraftwirkung aus. Der Münchner Marienplatz stelle mit der sagenumwobenen Mariensäule seit dem 12. Jahrhundert ein solches Zentrum der Kraftbündelung dar.

Kollektive Kraftorte und ihre Wirkung

Im Fachjargon der Geomantie, jener Lehre, die sich mit der energetischen Topographie beschäftigt, nennen sich solche Orte, die jedem einen langen und ausgedehnt-entspannten Seufzer entlocken können, „Kraftorte“.

Kollektive Kraftorte wie der Marienplatz lassen sich angeblich kulturgeschichtlich, aber großteils auch geographisch erklären. Ob Berge, Quellen oder Höhlen, immer geht es um Orte, von denen ein besonderer Zauber auszugehen scheint. Weidner erklärt dieses Phänomen folgendermaßen: „Natürlich hat jeder Ort eine individuelle Wirkung auf uns. Aber diese Wirkung kann auch verallgemeinert werden. Es ist doch so: Auf einem Berg z. B. fühlen wir uns tendenziell wohl, weil wir die Höhe mit einem Gefühl der Weite und Freiheit verbinden. In einem Tal dagegen könnte man sich eher eingeengt fühlen.“

Diese Kraftorte sollen, auf einer Landkarte eingetragen, Knotenpunkte in einem Netz aus Kraftlinien bilden. Für diese kursiert unter Geomantikern auch der Begriff „Drachenlinien“, weil sie sich unter der Stadt bewegen, wie in alten Sagen einst der Lindwurm. Dort, wo sich die Linien treffen, entstünden Orte mit besonderer seelischer Stärkungswirkung.

Von Kräften, die fühlen lassen

München sei eine geplante, keine zufällige Stadt, so Weidner, und ebenso wenig zufällig sei der Marienplatz das Zentrum dieser Stadt – und um ihn herum lägen auf den Drachenlinien weitere Kraftorte wie der Odeonsplatz, das Sendlinger Tor und der Karlsplatz, um nur einige zu nennen. Ihre Anordnung richte sich gänzlich nach den naturgegebenen Kraftlinien.

Im Gegensatz zu früheren Überzeugungen, aufgrund derer man mit bestimmten Instrumenten loszog, um die Positivität eines potenziellen Baugrundes zu messen, glaubt Weidner nicht an eine Messbarkeit dieser Kräfte. Bei der Wahrnehmung geht es seiner Meinung nach nur um die individuelle Sensibilität. „Man kann spüren, ob von einem Ort eine gewisse Magie ausgeht, ohne mehr darüber wissen zu müssen. Man muss sich nur darauf einlassen“, sagt Weidner. Auch bei den energetischen Stadtführungen, die er regelmäßig leitet, sei es noch nie vorgekommen, dass jemand nichts gespürt hätte.

Alles Einbildung und esoterischer Aberglaube? Möglich, denn wissenschaftlich beweisen lassen sich die Kraftorte auch nach Weidner nicht.

Ist es also bloß dem Zufall zu verdanken, dass München bis heute eine Hauptstadt des Okkultismus und der Esoterik darstellt? Eigentlich hat diese Vorstellung doch etwas: Orte, an denen Kräfte existieren, die einem automatisch ein gutes Gefühl geben.

 

Aus dem Archiv: Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Printausgabe 20 im Sommersemester 2015. Alle Artikel aus der Archiv-Reihe lest ihr hier.

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