Filmreihe

„Killers of the Flower Moon“ – Eine Frage der Moral

Im neuen Kriminaldrama „Killers of the Flower Moon“ von Martin Scorsese könnte es um die Morde an den reich gewordenen Osage-Indigenen gehen. Stattdessen wird die Geschichte aus Sicht der weißen Täter erzählt. Doch ist das ein Problem?

© Paramount Pictures and Apple Original Films

Von Jonas Hey

Martin Scorsese hat erneut ein Filmepos geschaffen. Darin geht es um Ernest Burkhardt, der für seinen reichen Onkel in Osage County arbeitet. Dort hat der Stamm der Osage kurz zuvor immensen Reichtum durch Ölförderlizenzen erlangt. Nun versuchen weiße Opportunisten wie Ernests Onkel William Hale sie auf verschiedenen Wegen auszubeuten. Ernest gelingt es Mollie Kyle zu heiraten, während er zugleich für den Mord an ihren Schwestern mitverantwortlich ist. Im Auftrag seines Onkels vergiftet er seine Frau, um das Vermögen ihrer Familie zu erben. Das Ganze fliegt erst auf, als das neu gegründete FBI in der Kleinstadt ermittelt und Ernest als Kronzeuge gegen seinen Onkel aussagt.

Nach einer wahren Geschichte

Diese Geschichte liest sich wie ein Mafiadrama – wie es für Scorsese nach „Goodfellas“ typisch ist – basiert aber vollständig auf realen Ereignissen. Die sogenannten Osage-Morde ereigneten sich zwischen 1910 und 1930 statt. Zum Teil wurden sie dadurch ermöglicht, dass jeder Osage einen weißen Vormund erhielt, der dessen Finanzen regeln sollte. Dies führte zu einem Kartell aus weißen Grundbesitzern, Ärzten, Anwälten und Richtern, die gemeinsam und systematisch die Osage ausbeuteten und manche umbrachten. Insgesamt starben über 70 Osage. Scorsese stützt sich für den Film auf das gleichnamige Buch und die Recherchen von David Grann.

Mitfühlen mit den richtigen Personen?

Die großflächige Wiedergabe der historischen Tatsachen führt zu einer Vielzahl von Figuren: Mitglieder der Kyle-Familie, indigene Stammesmitglieder, Ärzte, Familie von Ernest Burkhardt, Kleinkriminelle, FBI-Agenten und zuletzt Gerichtspersonal. Sie alle werden dem Publikum entgegengeworfen. Scorsese gelingt es sie alle sinnvoll in die Geschichte einzuführen und auch abzuschließen. Dennoch fühlt man sich als Zuschauer:in überfordert und es bleibt unklar, welche Figuren erinnerungswürdig sind.

Dies fällt insbesondere schwer, weil die Performance des William Hale von Robert de Niro bestenfalls mittelmäßig ist. Er ist einfach ein standardmäßiger Bösewicht, der böse Dinge tut, weil er böse ist. Woher seine Gier oder Neid auf die plötzlich reichen Osage kommt, wird im Film nicht näher erläutert. Das Drehbuch hat dem Oscar-Gewinner de Niro hier eine unwürdige Rolle zugewiesen. Sein Neffe Ernest – gespielt von DiCaprio – ist klar als Protagonist erkennbar. Dabei ist er stets gespalten: Einerseits liebt er seine Frau und bringt es nicht übers Herz sie zu vergiften. Andererseits gibt er kaltblütig die Morde an ihrem Jugendfreund und ihrer Schwester in Auftrag und bringt auch noch einen Privatermittler um. Insgesamt wirkt Ernest einfältig und nicht in der Lage, sich seinem Onkel zu widersetzen. Dies führt eher zu Mitleid vonseiten des Publikums und weniger zu echter Identifikation mit der Figur.

Verzerrung der Moral

Der Film wird aus Sicht der weißen Bevölkerung erzählt. Dadurch hat das Publikum gar keine Möglichkeit, mit den eigentlichen Opfern – den Osage – mitzufühlen. Schließlich wurden sie systematisch durch den Verbrecherring in Osage County beraubt und dann noch ermordet. Aus moralischer Sicht, also eine klare Sache, wer die Bösen und Guten sind. Der Film präsentiert die weißen Täter allerdings so „normal“ und facettenreich und die Osage so passiv und teilweise ausschweifend, dass beim unwissenden Publikum fast der Eindruck entstehen könnte, dass die Osage nicht die Opfer seien, sondern ihr Schicksal verdient hätten. Es ist unverständlich, warum es Scorsese zu einer solchen Verzerrung kommen lässt. Das zugrunde liegende Buch ist aus der Perspektive des FBI erzählt und liefert ausreichend Material, um die Ereignisse aus der Sicht der Osage darzustellen. Diese Filmadaption läuft allerdings Gefahr, die Geschichte und Moral zu verzerren.

Der Film ist zweifelsohne ein grandioses Filmepos, das es über die volle Länge schafft, den Zuschauer mit seiner Erzählweise zu fesseln. Dennoch muss man kritisch fragen, warum die Geschichte nicht aus der Sicht der Osage erzählt wird. Scorsese ist hier die Möglichkeit entgangen, eine emotionale Geschichte aus der Sicht der Minderheit zu erzählen.

Der Film kam am 19.10.2023 in die deutschen Kinos und wird zu einem noch unbekannten Datum auf Apple TV+ zu sehen sein.

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