Unileben

Jung, akademisch, prekär

Unbezahlte Überstunden, befristete Verträge, verzögerte Gehaltsauszahlungen: so gestaltet sich die Situation vieler studentischer Hilfskräfte, auch an Münchner Universitäten. Nun kämpfen einige von ihnen für eine Kehrtwende in der Wissenschaft. 

Sie engagieren sich für einen studentischen Tarifvertrag: Studierende im vergangenen Februar bei der TVStud-Konferenz in Göttingen. Foto: Kay Herschelmann

Von Pauline May

„Idealismus, meine Liebe zur Wissenschaft und zu meinem Fach“ – das sind Christian Zimmerers Gründe dafür, dass er in diesem Wintersemester erneut einen befristeten Arbeitsvertrag an der Technischen Universität München, im Niedriglohnsektor Exzellenzinitiative, unterschrieben hat. Es ist sein achter Arbeitsvertrag in Folge. Dabei ist er schon seit Winter 2020 am Lehrstuhl Informatik der TU beschäftigt, zunächst war er vor allem als Tutor tätig, mittlerweile ist Zimmerer Wissenschaftliche Hilfskraft. Der Informatik-Student hat im vergangenen Semester seinen Bachelor abgeschlossen. In anderen Positionen im öffentlichen Dienst würde man mit diesem Abschluss zwischen 20 und 25 Euro verdienen, sagt er. An der Universität erhält er 14 Euro pro Stunde. Für Zimmerer ein Unding: „Ich glaube wir brauchen nicht darüber zu reden, dass man Bachelor-Absolvent*innen nicht knapp über Mindestlohn bezahlen sollte. Das ist vollkommen unangemessen ist und zeigt keinerlei Wertschätzung gegenüber unserer Arbeit“.

Prekär hier, aber waren Sie schon mal in Baden-Württemberg?

In anderen Bundesländern gestalte sich die Situation sogar noch dramatischer. So erhielten studentische Hilfskräfte in Baden-Württemberg trotz Bachelor-Abschluss nur 12,87 Euro Stundenlohn. Dass die Gehälter gering seien und bei weitem nicht ausreichen würden, um sich „ein Leben in Großstädten adäquat zu finanzieren“ sei jedoch nicht das einzige Problem. Dass Überstunden nicht aufgeschrieben und somit gegen das Mindestlohngesetz verstoßen werde, ist laut Zimmerer die Norm. „Zudem kennen viele Beschäftigte die eigenen Rechte nicht“, seien sich also beispielsweise nicht bewusst, dass sie einen Urlaubsanspruch besäßen – und würden stattdessen ihren Urlaub einfach nacharbeiten. Ein Kontrollinstrument, das solche Vorfälle verhindere, gebe es nicht. „Kein Personalrat, keine Repräsentation der Interessen studentischer Beschäftigter“, sagt der Informatikstudent. Er selbst habe das Glück, einen guten direkten Vorgesetzten zu haben, der ihm beispielsweise Freiheit in der Arbeitszeiterfassung gebe. Das sei jedoch nicht der Regelfall. 

Auch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVg) trage zu enormer Unsicherheit unter Hilfskräften bei. „Da das WissZeitVg vorsieht, dass wir immer befristet werden, wissen wir jedes Semester wieder nicht: bekommen wir einen neuen Vertrag oder nicht?“ Er selbst habe bislang immer einen Fünfeinhalbmonatsvertrag von Anfang der Vorlesungszeit bis zum Ende des Semesters erhalten. „Das bedeutete jedes Mal: zwei Wochen Gehaltslücke.“ Außerdem ergäben sich aus den Befristungen einige arbeitsrechtliche Komplikationen, man habe als geringfügig Beschäftigter keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall im ersten Monat. „Wir haben also effektiv zwei von zwölf Monaten keine Absicherung, wenn wir krank werden. In der Praxis wird das zwar oft unbürokratisch geregelt durch ,Ja, wir sagen das einfach nicht weiter und kurier dich aus‘, aber das kann nicht der Regelfall sein, dass die Kulanz unserer direkten Vorgesetzten die einzige Grundlage dafür ist, dass wir unsere Existenz sichern“. 

Zudem belaste das WissZeitVg die ohnehin komplett überarbeiteten Verwaltungen. „Teilweise werden dadurch Verträge nicht fristgerecht eingereicht, Gehaltsauszahlungen verzögern sich – was angesichts des niedrigen Lohns ein noch größeres Problem ist als es normalerweise wäre.“ Auch Zimmerer selbst war von diesen Verzögerungen schon betroffen, bekam sein Gehalt für die im Oktober 2022 geleistete Arbeit erst Ende November 2022 ausgezahlt, „und dass nur, weil ich der Personalverwaltung hinterhergerannt bin, sonst hätte ich das Geld erst Ende Dezember erhalten“. 

Dass studentische Beschäftigte nicht rechtzeitig bezahlt werden, scheint weder Einzelfall zu sein noch nur die TUM zu betreffen. Auch Hilfskräfte der Fakultät 13 (Germanistik, Nordistik, Komparatistik, Deutsch als Fremdsprache) an der LMU berichten am Donnerstag von Verzögerungen bei der Gehaltsauszahlung, „durch einen krankheitsbedingten Personalengpass in der Bearbeitung der Hilfskraftverträge”. In einer Mail des Teams der Hilfskraftverträge sei mehreren studentischen Beschäftigten am 31.10. verkündet worden, dass sie ihr Gehalt für den Oktober „womöglich erst mit dem Novembergehalt im darauffolgenden Monat erhalten“ würden, beziehungsweise „selbstständig beim Landesamt für Finanzen um einen sogenannten Abschlag bitten” müssten. Dieses wiederum jedoch sei laut Aussage der Hilfskräfte am 31.10. ab 12 Uhr telefonisch nicht mehr erreichbar gewesen. 

In einem Brief an das Personaldezernat der LMU kritisieren betroffene und solidarische Studierende das Vorgehen: weder seien sie rechtzeitig über die Gehaltsverzögerungen informiert worden, noch hätten die Verantwortlichen einen „verantwortungsbewussten Umgang mit Beschäftigten“ an den Tag gelegt. Stattdessen sei „mit großer Selbstverständlichkeit“ angenommen worden, dass „die studentischen Hilfskräfte – ohne Entschuldigung und weiterer Erklärung vonseiten der Verantwortlichen – einfach ohne Bezahlung weiterarbeiten sollen“. Das „Ausbleiben der Gehaltszahlungen“ verorten die Studierenden, ebenso wie Christian Zimmerer, klar im Kontext einer durch die Bayrische Hochschulreform geprägten „Rationalisierungspolitik“, die im konkreten Fall zum „Einsparen von Personalstellen“ geführt habe. Kampflos hinnehmen möchten die Studierenden das Ausbleiben der Gehaltszahlungen nicht: Sollten die vertraglich vereinbarten Gehaltszahlungen nicht bis zum 8.11.2023 vorgenommen werden, sehen sich die betroffenen Hilfskräfte gezwungen, unter Umständen „rechtliche Schritte einzuleiten“. Die Anfrage der Redaktion, ob die Gehaltszahlungen mittlerweile vorgenommen worden sind, blieb bislang unbeantwortet. [Stand 16.11.2023]

Informatikstudent Zimmerer gab sein ausbleibendes Gehalt im November 2022 schließlich den Ausschlag, der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft(GEW) beizutreten und sich dort für einen studentischen Tarifvertrag (TVStud) zu engagieren. Mittlerweile ist er im Münchner Vorstand der GEW aktiv, berät als Teil der Verhandlungskommission TVStud Verhandlungsführer Verdi. 

Von TVStud und verschiedenen Gewerkschaften ist am 20.11. ein Hochschulaktionstag, inklusive Kundgebung in der Münchner Innenstadt geplant. Wer mehr Informationen zur Organisierung studentischer Beschäftigter erhalten möchte, kann dem Telegramkanal der TVStud-Ortsgruppe München beitreten. Mehr zum Engagement der studentischen Beschäftigten für bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft ist zudem demnächst bei Philtrat zu lesen. 

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