Unileben

Glauben und studieren

Immer mehr junge Menschen wenden sich von der Kirche ab. Doch spirituelle Bedürfnisse scheinen noch heute weit verbreitet. Christlichen Studierenden in München bieten Hochschulgemeinden vielfältige Möglichkeiten, ihren Glauben auszuleben und Gemeinschaft zu erfahren.

Ostergottesdienst 2022 Bild: Instagram @khglmu

Von Felix Meinert.

Die Statistiken könnten darüber hinwegtäuschen: Inzwischen sind weniger als die Hälfte der deutschen Bevölkerung Kirchenmitglieder; besonders die Jungen wenden sich von der Kirche ab. Dass spirituelle Anliegen auch unter Studierenden weiterhin verbreitet sind, macht den Beruf von Menschen wie Friedemann Steck aus. Steck ist Hochschulpfarrer und Seelsorger bei der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). „Wir versuchen, Orte für das Gespräch über Religion anzubieten“, sagt er. Denn die Universität ist ein öffentlicher Raum, während Religion in unserer Gesellschaft weitgehend als Privatsache gelte. Für christliche Studierende in München bestehen dennoch vielfältige Möglichkeiten, ihren Glauben im Uni-Kontext auszuleben. Nur das Wissen darüber scheint wenig verbreitet.

Wie in den allermeisten deutschen Universitätsstädten sind auch in München christliche Hochschulgemeinden angesiedelt. Sowohl an der LMU als auch an der Technischen Universität München (TUM) gibt es eine evangelische und eine katholische Hochschulgemeinde. Den evangelischen Gemeinden stellt die bayerische Landeskirche Personal und Räumlichkeiten zur Verfügung, für die katholischen übernimmt das das Erzbistum München und Freising.

Vergleichbare Organisationen gibt es für Angehörige anderer Religionen in München nur bedingt. Der Verband jüdischer Studenten Bayern hat zwar seinen Sitz in der Landeshauptstadt, fördert aber schwerpunktmäßig kulturellen Austausch und politischen Aktivismus. Die Muslimische Studenteninitiative der TUM vertritt speziell Belange muslimischer Studierender, bietet jedoch seit über einem Jahr keine neuen Veranstaltungen an. Unsere Anfrage blieb von der Hochschulgruppe leider unbeantwortet.

„Gemeinde lebt nicht nur von der Messe“

In ihrem Engagement und ihrer Programmgestaltung sind die Gemeinden unabhängig. In der Regel organisieren sie Gottesdienste oder Andachten, Meditationen zur Adventszeit, Exkursionen und Themenabende. Oft setzen sie sich in sozialen Projekten für benachteiligte Gruppen ein, von Obdachlosen über einsame Menschen hin zu Flüchtlingen. Die ESG der LMU etwa unterstützt geflüchtete Studierende bei ihrer Ankunft in München und begleitet sie im Austausch mit dem International Office, das unter anderem Zugezogene und Asylsuchende berät. Momentan erhalten Friedemann Steck und seine Kolleg*innen besonders viele Anfragen von jungen Menschen aus der Ukraine und Russland.

Haus der ESG LMU. Foto: Felix Meinert

Zum Gemeindeleben gehört auch die religiöse Zusammenkunft. Die Katholische Hochschulgemeinde (KHG) der LMU veranstaltet jeden Sonntag einen Gottesdienst in der Leopoldstraße 11 mit anschließendem Essen und Trinken. Der gemeinsame Austausch spielt für die meisten Teilnehmer*innen eine wichtige Rolle. „Gemeinde lebt nicht nur von der Messe“, unterstreicht Jonas Wihl, Medizinstudent und Gemeindesprecher der KHG. Nicht nur die Liturgie an sich, sondern die Begegnung mit Gleichgesinnten macht für viele Studierende das Gemeindeleben aus. 

Deshalb entwickeln Friedemann Steck und sein Kollege Michael Press seit einigen Jahren Alternativen zum formellen Gottesdienst. Sie setzen im Rahmen ihrer Zusammenkünfte religiöse Impulse und versuchen, den Studierenden einen Raum zur Formulierung ihrer Anliegen zu bieten. Auch über ihr Seelsorgeangebot, das unabhängig von Alter, Religions- und Universitätszugehörigkeit zugänglich ist, bleiben die Gemeinden stets ansprechbar.

Große Verantwortung in Zeiten der Unsicherheit

Besonders hoch war die Nachfrage nach Gesprächsterminen zu Beginn der Corona-Pandemie. Der Redebedarf der Studierenden, so Katarina Freisleder, Hochschulpfarrerin und Seelsorgerin der Evangelischen Hochschulgemeinde (EHG) der TUM, habe während dieser Zeit zugenommen. Vor allem zugezogene Studierende, die noch keinen festen Freundeskreis hatten und oft in ihren Wohnheimen festsaßen, hatten mit großer Einsamkeit zu kämpfen. Für Freisleder sei es deshalb wichtig gewesen, Seelsorge- und Beratungsmöglichkeiten weiterhin in Präsenz bereitzustellen. Eine Gemeinde trage in Zeiten des Unbehagens und der Resignation besondere Verantwortung.

Auch über die Pandemie hinaus beschäftigen viele jungen Menschen sowohl die beängstigenden politischen Entwicklungen der Zeit als auch ihre persönlichen Lebensfragen. Bei all dieser Unsicherheit Halt zu geben, begreifen die Hochschulgemeinden als ihre Aufgabe. Deshalb versammeln sich Katarina Freisleder und alle Interessierten jeden Mittwochmorgen, um ihre Dankbarkeit für das zu äußern, was ihnen wichtig ist: „Auch in schweren Zeiten haben wir Gründe, dankbar zu sein für Dinge, die wir oft für selbstverständlich halten“, sagt sie.

Jugend ohne Gott? Eher ohne Kirche

Innerhalb der KHG herrscht allgemeine Unzufriedenheit über Themen wie z.B. Queerness. Foto: Instagram @khglmu.

Spricht man mit den Vertreter*innen der Münchner Hochschulgemeinden, hat man keineswegs den Eindruck, die junge Generation sei so unreligiös wie oft behauptet. Manche Studierende stellen die Fragen des Glaubens ganz explizit, viele andere erkennen womöglich eine spirituelle Dimension in den Themen rund um Lebensführung und Identität.

Vielmehr hat die Bindung an die Institution Kirche abgenommen. Als Ursache dafür werden zum einen die massiven Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche genannt. Zum anderen bemerkt Jonas Wihl innerhalb der KHG eine große Unzufriedenheit mit den „veralteten“ Positionen der Kirche zu Fragen rund um Queerness, das Zölibat und die Frauenordination. Seine eigene Gemeinde nimmt er dagegen als sehr liberal und integrativ wahr. „Bei uns ist Kirche so, wie Kirche sein sollte“, sagt er und betont gleichzeitig: „Leider sind wir nicht für die gesamte katholische Kirche repräsentativ.“

Für viele Mitglieder der Hochschulgemeinden scheint demnach nicht die institutionelle Bindung entscheidend beim Ausleben ihrer Spiritualität, sondern die Suche nach Gemeinschaft. Auch Katarina Freisleder stellt fest: „Die jungen Menschen richten sich heute weniger nach der Kirchenzugehörigkeit, sondern gehen dorthin, wo sie sich angenommen fühlen.“ Die jungen Gemeinden lassen sich darauf ein und versuchen so, dem Anspruch gerecht zu werden, für alle da zu sein, die es brauchen.

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