Kulturphilter

Das Festival des erzählten Falls: Ein Interview mit Krimipfarrer Felix Leibrock

Krimipfarrer Felix Leibrock

Text & Interview: Judith Kaiser

Ihr liebt Romane und am besten gefallen euch Krimis? Ein gruseliger oder spannender Fall, der euch so fesselt, dass ihr gar nicht mehr aufhören könnt zu lesen? Ermittler, Täter, Opfer, Zeugen, Ermittlungen, Aussagen, Urteil, Mord, Schuld, Sühne und auch Passion hauchen einem Fall Leben ein und geben ihm seine einzigartige Form. Der Kriminalfall bekommt jetzt ein eigenes Festival: Am Sonntag, den 2. Juli veranstalten Studierende des Master-Studiengangs „Buchwissenschaft: Verlagspraxis“ in Kooperation mit der Münchner Volkshochschule und dem Evangelischen Bildungswerk das „Festival des erzählten Falls„.

Fallerzähler tragen ihren bzw. einen Fall vor. Ob Referat, Performance, Kurzfilm, Tanz – alles was in sieben Minuten vorgetragen werden kann, ist erlaubt. Fünf bekannte (Krimi-)autoren (Iny Lorentz, Zoe Beck, Jessica Kremser, Felix Leibrock und Su Turhan) fällen als Jury ein Urteil, diskutieren ihre Lieblingsfälle und verleihen den Titel »Bester Fallerzähler 2017«. Das Publikum wählt abschließend den Sympathieträger des Abends. Den musikalischen Rahmen schaffen die Isarelites.

Der Flyer des Festivals

philtrat hat sich vorher mit Felix Leibrock unterhalten. Leibrock ist nicht nur Leiter des Evangelischen Bildungswerks, sondern auch Pfarrer, Seelsorger, Krimiautor, Tee-Ausfahrer, Radio-Sprecher, Vermittler, Doktor, Gründer, Menschenkenner – Tausendsassa. Im September erscheint sein dritter Kriminalroman „Schattenrot“. Ein Gespräch über Bücher, Erfahrungen, den Tod und das Leben.

Herr Leibrock, woher stammen die Ideen für Ihre Kriminalromane? Können Sie die Erfahrungen, die Sie als Seelsorger bei der Bayerischen Bereitschaftspolizei und Pfarrer machen, für die Handlungen übernehmen? Oder stammen die Erfahrungen aus Ihrem eigenen Leben?

Generell kann man eigentlich nur schreiben, wenn man auch viel erlebt. Das würde ich so allgemein formulieren. Dadurch, dass ich bei der Polizei arbeite, habe ich natürlich eine enge Verknüpfung mit dem Polizeialltag und kenne die Abläufe. Der Vorwurf ist ja oft bei Krimis, insbesondere auch bei Verfilmungen oder bei Kriminalfilmen, dass sie so komplett am Polizeialltag vorbeigehen. Beim Tatort schütteln die richtigen Polizisten nur den Kopf und sagen: „Wie kann das denn funktionieren? So sieht es ja in der Realität nicht aus.“ Mein Anspruch ist, nah an der Realität der Polizei dran zu sein.
Was die Themen betrifft: Die sind frei erfunden und spielen in ganz unterschiedlichen Bereichen im Leben. Da brauche ich dann das pralle Leben als Anregung. Und da nehme ich nicht irgendwelche Polizisten-Schicksale. Die Themen hängen eher mit dem Ort des Geschehens zusammen und der Zeit, in der sie spielen. Ich verwende immer gerne historische Rückblenden. Irgendein Fall, der 30 Jahre zurückliegt und der schon lange vergessen ist und plötzlich kommt eine Person und alle kriegen Angst, weil oh, was ist denn damals gewesen.

In einem Interview, das Sie der SZ im Jahr 2015 gegeben haben, nennen Sie sich selbst einen „Vermittler von Bildung“ – vor allem durch Ihre Bücher. Sehen Sie sich auch als Aufklärer und Vermittler deutscher Geschichte? Möchten Sie die Menschen durch Aufklärung ein Stück weit zur Verantwortung ziehen?

Das würde mir zu weit gehen. Das steht mir gar nicht zu, andere Menschen in die Verantwortung zu nehmen, aber Bildung ist mir schon ein Anliegen. Ich glaube, dass der Krimi als Gattung unterschätzt wird, dass er viel mehr Potenzial hat. Die Germanisten nehmen ihn ja gar nicht ernst, die beschäftigen sich nicht damit, weil sie sagen, das ist flache Literatur. Und das, glaube ich, ist ein Fehler, denn der Kriminalroman wird nun mal viel gelesen. Neben historischen Romanen sind die bestverkauften Bücher Kriminalromane. Es gibt sehr viele, das heißt, dass ein Publikum vorhanden ist. Und ich glaube, man kann über dieses leichter lesbare Medium Krimi auch schwierige Inhalte gut vermitteln. Und mein Anliegen ist es, auch historische Sachen zu vermitteln, die in der jüngsten Geschichte liegen. In meinem Kriminalroman Eisesgrün habe ich einen Pharma-Skandal in der DDR aufgerollt, im ersten Fall Todesblau habe ich ein Gemälde, das wieder auftaucht, zum Thema und im dritten Band Schattenrot geht es um ein sehr schwieriges Thema: um das Konzentrationslager Buchenwald und zwar in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der das weiter betrieben wurde, in anderen Vorzeichen von den russischen Besatzern, genannt Speziallager Nr. 2. Und das sind Themen, die finde ich wichtig und die kann man mit dem Krimi ganz gut auch in einen größeren Kreis hinein befördern. Und wenn sich die Menschen dann dafür interessieren und viele hören zum ersten Mal davon, dann freut mich das schon.

Sie sind Pfarrer und leiten das Evangelische Bildungswerk. Hat die evangelische Kirche kein Problem damit, wenn Sie über Mord und Totschlag schreiben? In der Bibel heißt es doch: „Du sollst nicht töten!“

Aber in der Bibel steht ja auch ganz viel über Mord und Totschlag drin. Es geht direkt damit los, die Lüge am Anfang, Adam und Eva, dann haben Sie Mord und Totschlag mit Kain und Abel, die Hybris des Menschen im Turmbau zu Babel. Die ersten sieben Kapitel in der Bibel haben schon alle Todsünden und Verbrechen und die Bibel beschreibt ja gerade viele Verbrechen und die Frage ist: Was macht einen Menschen zum Verbrecher? Das ist für mich die entscheidende Frage, die mich auch total fasziniert, weil ich als Kind schon mal einen Mord miterleben musste und dann auch später nochmal bei zwei Morden unfreiwillig dabei war. Und wo ich mich dann frage: Was bringt einen Menschen dazu, einem anderen das Leben zu nehmen? Wie kommt man so weit? Was sind da für Barrieren eingerissen und wie können die einreißen? Warum sind da die Sicherungen nicht mehr am Greifen? Das fasziniert mich und sowas kann man im Krimi auch nach-beschreiben und nach-überlegen. Es gibt von Sigmund Freud die Theorie vom Aggressionstrieb, den der Mensch in sich drin hat und den er ausleben muss, sonst bricht er irgendwann hervor. Das ist durch die Neurowissenschaften unserer Tage schon lange widerlegt, der Mensch ist von sich aus eigentlich gut. Er wird böse. Aber warum? Und das ist die Frage, die ich in Krimis gerne verhandele.

Arbeiten Sie in Ihren Büchern die Erlebnisse auf, die Sie gemacht haben?

Die Erlebnisse habe ich in meinen Büchern nicht beschrieben, aber ich glaube schon, dass die Erfahrungen damit zusammenhängen, dass ich mich dafür interessiere. Wenn Sie als Kind mitbekommen, dass Ihr Nachbar ein Doppelmörder ist, dann prägt das einen schon, weil man das als Kind ja noch viel weniger begreift. Aber man kommt auch so im Leben schon mit dem Tod in Kontakt, als Pfarrer und bei der Polizei ja sowieso. Es ist ein Thema, dem sollte man nicht ausweichen. Wir leben lieber in einer heilen Welt, aber dann sind wir umso entsetzter, wenn sie plötzlich einbricht. Wenn man sich damit aber beschäftigt, dann ist es zwar immer noch schlimm, aber man ist ein bisschen vorbereitet und man kann ein bisschen besser damit umgehen, weil man sieht, wie es funktionieren kann. Warum werden so viele Krimis gelesen? Die theoretische Vorstellung, die einem einen Schauder macht, die kitzelt. Wer will sich schon freiwillig mit so etwas Grauenhaftem wie Mord auseinandersetzen? Man tut es, weil man dadurch auch ein Stück weit mit dem Thema umgehen kann. Warum bekommen Kinder so eine schreckliche Geschichte wie Hänsel und Gretel vorgelesen, wo am Schluss die Hexe in den Ofen geschoben und verbrannt wird? Wir erzählen das Kindern, damit sie einen Modus finden, damit umzugehen. Und deswegen ist der Tatort auch mit eine der beliebtesten Fernsehsendungen. Weil es uns einerseits fasziniert und andererseits sind wir froh, dass es uns nicht so ereilt.

Kriminalfälle haben generell ja auch etwas Religiöses. Wenn man ganz weit gehen will, kann man sagen: Der Tatort ist der Gottesdienst von heute. Die Menschen gehen nicht mehr Sonntag morgen in den Gottesdienst, sondern gucken am Abend als Familie den Tatort. Da haben Sie anfangs auch eine Eingangsmusik als Wiedererkennungseffekt, wie in der Kirche die Orgel. Dann gibt es eine Handlung, ein Geschehen, mit dem das Böse in die Welt kommt und am Ende siegt doch das Gute, weil der Täter gefasst und überführt wird und dann ist die Erlösung da. Das ist dann wie so eine Art religiöse Parallelhandlung. Und deswegen ist das nicht so ganz abwegig zu sagen, dass für viele der Tatort das ist, was für die Leute früherer Generationen der Gottesdienst war.

Das Thema der diessemestrigen Ausgabe von philtrat wird „Exzess“ sein. Nun haben Sie in Ihrem Leben ja bereits einige exzessive Erlebnisse gehabt. Was halten Sie von Exzessen? Was würden Sie Studierenden in Bezug auf Exzesse raten?

Also ich finde, man sollte sich Exzesse gönnen, weil man sonst das Normale gar nicht zu schätzen weiß. Wenn ich immer nur glücklich lebe, weiß ich nicht, was Glück ist. Ich muss auch das Unglück kennen. Und so muss ich auch den Exzess kennen, damit ich das exzessfreie Leben würdigen kann. Deswegen finde ich, im Studentenleben, da muss es richtig krachen. Man hat noch genug Zeit im Leben, um ein bürgerliches, langweiliges Dasein zu fristen. Ich habe das verpasst. Ich habe als Student kaum Exzesse gelebt und ich bereue das bis heute, weil ich mir da viel vergeben habe. Ich habe zu viel studiert und zu wenig gelebt, war zu ehrgeizig und habe schlechte Berater gehabt. Das Reisen als Form von Exzess finde ich zum Beispiel eine sehr positive Form. Auf jeden Fall sollte man das tun, was Julia Engelmann in ihrem Poetry-Slam sagt, diese Prokrastination, die sollte man eben nicht tun. Man sollte es tun. Und nicht warten und sagen, irgendwann werd‘ ich mal. Nicht eines Tages Baby … sondern jetzt!

Felix Leibrocks neuer Roman „Schattenrot“ erscheint am 1. September 2017 beim Knaur TB-Verlag und kostet 9,99€.

Festival des erzählten Falls 2017

Tatort: MVHS München, Einsteinstraße 28
Tatzeit: Sonntag, 2. Juli 2017, Beginn 18.00 Uhr

Mehr zum Festival findet ihr hier.

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...