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„Borderline“: Alles und Nichts

Die Studiobühne der Theaterwissenschaft der LMU zeigt derzeit „Borderline“ unter der Regie von Ivana Koschier. Es geht darin um Emotionen und Gefühle, um Entkommen und Existieren. Um allein sein im eigenen Selbst. Ein Stück, zwei Kritiken.

V.l.n.r.: Theresa Spielmann, Felix Reitberger, Paul Kühn und Paulina Wawerla © Fotos: Sophia Carrara

Von Clarissa Kern

Wie man es dreht und wendet, alles dreht sich im Kreis und alles dreht sich um das Warten. Doch nicht etwa auf Godot? Wer weiß das schon. In „Borderline“ wird es als ein „Zeichen“ definiert, auf das fünf Freund*innen (drei Frauen, zwei Männer) sehnlichst warten, um ihrer scheinbar sinnlosen Existenz zu entfliehen. Sie sitzen auf einem Baugerüst, wollen gehen, aber dürfen und können nicht, stehen im Kampf mit sich selbst und im Kampf untereinander. Denn da gab es vor langer Zeit noch einen sechsten Freund. Oder ist das doch gar nicht so lange her? Losgelöst von Zeit und Raum trägt sie das Gerüst durch eine Odyssee an Gefühlen: Wut, Verzweiflung, Hoffnung, Trauer und dem Wunsch, alles zu beenden.

Godot auf dem Gerüst

So passend der Titel „Borderline“ in diesem Zusammenhang scheinen mag, es wäre falsch das Stück auf die Visualisierung einer psychischen Erkrankung zu reduzieren. Es geht um den Menschen an sich, um seine oft hinterfragte Existenzberechtigung, seine unerfüllten Wünsche und Träume, die hier auf dem Gerüst verhandelt werden. Doch trotzdem passiert nichts. Der Durst nach Erkenntnis wird nicht gestillt, Aufklärung ist weit entfernt und Godot lässt weiter auf sich warten. Was „Borderline“ Samuel Beckett voraus hat, ist ein, zugegeben sehr pathetischer, Lösungsansatz zur Flucht aus einem Zustand völliger Hilflosigkeit.

Nach einem Skript von Paul Kühn formte die Regisseurin Ivana Koschier unter der Mitarbeit von Dramaturgin Magdalena Heffner eine Inszenierung, die für jeden Zuschauenden etwas anderes bedeuten kann. Wir alle sitzen manchmal auf dem Gerüst, warten auf ein Zeichen und spüren ein großes Nichts unter uns. Die Frage ist nur, ob wir dort mit Freund*innen einen Kaffee trinken oder springen. Ob der Sprung dabei für Erlösung oder Kapitulation steht, bleibt jedem selbst überlassen. Denn an diesem sehr bedeutungsgeladenen, beinahe tragischen Abend gibt es auch die einfachen Momente: Fünf Freund*innen, die nicht nur von dem Gerüst, sondern von Gemeinschaft und Freundschaft gehalten werden.

Paulina Wawerla (l.) und Felix Reitberger

Von Bianca Isack

Ein Stahlgerüst, Lichterketten und fünf Personen. Schon allein der Aufbau des Stücks erzeugt eine Spannung, die beinahe greifbar ist. Vier Paar vom Gerüst baumelnde Füße schwingen umher, angespannte, leidende, gelangweilte Gesichter. Und dann die, die springen will, auf Zehenspitzen stehend, sich weit heraus lehnend, ebenso drohend wie zögerlich. Doch es wird schnell klar, dass keine*r der fünf Personen das Gerüst verlassen kann; sie warten auf ein Zeichen und sind dabei genauso abhängig von dem Gerüst, wie dieses von ihnen.

Das Gerüst trägt uns und das ist gut so

Es scheint so, als würde nichts passieren, doch innerlich passiert eine Menge: laut, impulsiv, kämpferisch, entschlossen. Dann wieder Trauer und Hoffnungslosigkeit, bedrückende Stille, ein ewiges Warten und Einsamkeit. Das Stück ist ein ständiger, sich wiederholender Wechsel an Emotionen, zu denen die Schauspieler*innen uns mitnehmen.

„Was das Stück zeigen will, ist die Hilflosigkeit, das Rastlose, das Auf und Ab der Gefühle, die Wut, die Stille, die innere Zerrissenheit, der Verlust von Gefühlen und das Ausharren in einem Alltag, der kaum zu ertragen ist.“ So steht es in der Infobroschüre. Meiner Meinung nach ist das auf jeden Fall gelungen.

 

„Borderline“ auf der Studiobühne TWM in der Neuturmstraße 5 ist noch am Samstag, 6. Juli, um 20 Uhr zu sehen. Karten gibt es für 9 Euro (erm. 7 Euro) hier zu kaufen.

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