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Steinwand mit Herz

Vor 50 Jahren führte die New Yorker Polizei eine Razzia im „Stonewall Inn“ durch, das vor allem von Schwulen besucht wird. Um jenen Abend ranken sich Mythen. Er gilt als Wendepunkt im Kampf um Anerkennung der Lesben- und Schwulenbewegung. Ein historischer Tag für die Liebe.

Ride with pride: Ecke 5th Avenue & W 9th Street, Midtown Manhattan © Fotos: Lisa Chi

Von Lisa Chi

Sonntag, 30. Juni 2019. Es ist wohl einer der farbenfrohesten Tage in der bereits überaus bunten Geschichte New Yorks. Der „Big Apple“ zeigt sich als Pink Lady, Red und Golden Delicious zugleich. Wer heute nach einem Regenbogen sucht, wird mehr als nur fündig. Dächer, Fassaden, Eiswaggons, Köpfe, Arme und Hundehalsbänder – von überall herab und in allen möglichen Größen und Formen hängt sie heute: die Pride-Flagge. Und stolz sind nicht nur die New Yorker*innen, sondern mit ihnen auch weite und ferne Nachbar*innen, die speziell für diesen Tag des Weltstolzes angereist sind.

Wie eine Bar Geschichte schrieb

Dabei ist der Sonntag nur die krönende Schokoladenschicht eines bunten Jolly-Eisstieles. Der gesamte Juni wurde in New York bereits als Pride-Monat gefeiert. Von Theaterinszenierungen bis hin zu Flohmärkten bot das Programm ein breites Spektrum an diversen Veranstaltungen zu Ehren von Stonewall 50. Vor 50 Jahren, in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969, nahmen die Ereignisse auf der Christopher Street im Stadtviertel Greenwich Village nicht ihren gewöhnlichen Lauf. In der Bar Stonewall Inn wehrte sich die vorwiegend nicht-heterosexuelle Kundschaft gegen die Polizei, welche an jenem Abend eine ihrer damals üblichen Razzien austrug.

Pink Pussy Cat: W 4th Street, Greenwich Village

Seitdem hat sich ein kleiner Mythos um die Bar gebildet, auch um die Frage, wer den ersten Stein gegen die Wand geworfen hatte. Vielleicht hatte aber auch niemand tatsächlich etwas geworfen und vielleicht, wie die New York Times in einem kurzen Video zu diesem Rätsel anklingen lässt, ist es gar nicht so wichtig, was in jener Nacht genau geschehen war. Sondern vielmehr, dass es geschehen war. Eine Reflexionsfrage:

Welche Rolle spielt dieser Aspekt der Pride-Paraden für Sie persönlich?

50 Jahre Stonewall bedeuten gleichzeitig 50 Jahre gesellschaftlicher Wandel; 50 Jahre Stonewall bedeutet, dass 2019 etwas laut und präsent sein kann, das 1969 weitgehend leise und im Verborgenen ausgelebt werden musste. Wer dieser Tage durch New York spaziert, wird fast an jeder Straßenecke ein Christopher-Street-Déjà-vu erleben – und das vor allem auf den bevölkerten Boulevards von Manhattan. Banken und Kaufhäuser sind ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, die kunterbunte Pride-Flagge zur Schau zu stellen. Spätestens beim Anblick dieser in schillernden Regenbogenfarben geschmückten Hochhäuser beginnt sich in manchen Köpfen sodann ein Hauch von Skepsis zu regen.

Mittlerweile hat sich um den beliebten Regenbogen ein beträchtliches Merchandise-Imperium aufgebaut. Pride ist zu einem regelrechten Event geworden – der Fasching des Sommers, könnte man vielleicht sagen. Ob gut oder schlecht, dieses Urteil sei jedem selbst überlassen. Man könne jedoch argumentieren, dass sich diese Frage ähnlich zu jener verhält, was sich 1969 im Stonewall Inn tatsächlich ereignet hat. Womöglich ist es gar nicht so wichtig, aus welchen Gründen heraus der Regenbogen präsent ist. Sondern vielmehr, dass er es ist.

50 Jahre Stonewall-Aufstand: 5th Avenue, Midtown Manhattan

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