Kulturphilter

Vom Unsinn des Kriegs

Premierenkritik. Im Rahmen des Welt/Bühne-Festivals hat das Residenztheater zum ersten Mal das Auftragswerk „Lysistrata macht Urlaub“ von Oleksandr Seredin gezeigt. Philtrat berichtet, warum der Blickwinkel, den der ukrainische Theatermacher auf die Figur der Lysistrata eröffnet, überzeugt.

Von Samuel Kopp; Bilder: Zhamilya Sakhari

Lysistrata ist eine gefragte Frau in diesen Tagen; gelang es ihr doch einst als Protagonistin in der gleichnamigen Komödie des griechischen Theaterdichters Aristophanes (uraufgeführt 411 v. Chr. in Athen), einen langwierigen und überaus blutigen Krieg zwischen Athen und Sparta zu beenden – und das, indem sie die griechischen Frauen dazu brachte, ihren Männern den Beischlaf zu verweigern, solange diese Krieg führten; die freilich nahmen daraufhin im Zustand schlimmster unerfüllter Begierde eiligst Friedensverhandlungen auf.

Was in der Komödie möglich ist – eine einfache, aber geniale Idee wie die eines Sexstreiks, die allem Blutvergießen ein Ende macht – danach sehnt man sich in der Realität wie schon zu Aristophanes’ Zeiten so auch heute vergeblich. Und so nimmt es nicht Wunder, dass die Geschichte der Lysistrata auch in unseren von nahen und fernen Kriegen beschwerten Zeiten wieder einmal Konjunktur hat.

Während etwa am Münchner Volkstheater im Namen der Lysistrata derzeit die Frage verhandelt wird, ob das kriegstreibende Geschlecht der Männer nicht ganz verzichtbar sei, bleibt der ukrainische Dramatiker Oleksandr Seredin für das Residenztheater näher am inhaltlichen Schwerpunkt des aristophanischen Originals, indem er nicht nur die verderblichen Folgen des Kriegs am Menschen, sondern auch seine Irrationalität aufzuzeigen sucht.

Urlaub vom Krieg

Seredin, der es sich denn auch nach eigenem Bekunden zur Aufgabe gemacht hat, den Wahn- und Unsinn des Kriegs in seinem Heimatland auf Theaterbühnen fernab der Ukraine sichtbar zu machen, nimmt die antike Komödie jedoch nur als Ausgangspunkt, um sein ganz eigenes Szenario zu entwerfen: Bei ihm ist Lysistrata (Vassilissa Reznikoff) vor einem nicht näher spezifizierten Krieg auf eine abgelegene, noch friedliche griechische Insel „in den Urlaub“ geflohen, doch ihr Vater (Max Mayer), ein Soldat, hat sie dort aufgespürt, auf dass er, wenn er Lysistrata schon nicht zum Krieg bewegen kann, wenigstens den Krieg zu Lysistrata bringe.

Seredins Tochter-Vater-Dialoge sind, obzwar ganz offen vom absurden Theater inspiriert, doch immer pointiert und nie inhaltsleer – Lysistrata über die Kriegstaten ihres Vaters: „Was macht das alles für einen Sinn?“ Vater: „Keine Ahnung.“

Die Insel, auf der Lysistrata und ihr Vater Urlaub machen, ist karg und quadratisch – dafür verfügt sie über einen aufklappbaren Pool.

Besonders die Figur des Vaters, die stets mehr Soldat ist als Vater, braucht sich in der Reihe der komischen Soldaten, an denen die Weltliteratur so reich ist, nicht zu verstecken. Man ertappt sich dabei, dass man unterhaltend findet, was man eigentlich erschreckend finden sollte: diesen offenbar schwer traumatisierten Möchtegern-Kriegshelden, der nur noch von den Gewehrkugeln zusammengehalten wird, die in seinem Körper stecken, und der Schildkröten tötet, weil er deren Panzer zunächst mit Gefechts- und dann mit Brustpanzern verwechselt. Und als ihm schließlich durch eine seiner Schusswunden der Schädelinhalt aus dem Kopfe fließt, steht er da, wie Lysistrata trocken bemerkt, als hirnloses Symbol eines hirnlosen Kriegs.

Seredin hat seinen Aristophanes gelesen

An solchen Stellen darf man sich an die aristophanische Lysistrata erinnert fühlen, die angesichts der ruinösen Kriegstreiberei der athenischen Männer etwa fragt: „Warum macht ihr so hirnlos Politik, Mann?“ (V. 518, Übersetzung Holzberg). Nicht nur hier ist ersichtlich, dass Seredin, wiewohl er eine eigene Lysistrata geschrieben hat, einige auf seine Erzählung übertragbare Kerngedanken des griechischen Originals zu extrahieren und intelligent einzusetzen verstanden hat.

Dies ist eine positive Überraschung, gab doch ein auf der Website des Residenztheaters einsehbares Statement Seredins zum Stück Anlass zu der Befürchtung, er habe die antike Lysistrata nicht einmal dem Inhalt nach zur Kenntnis genommen. Denn dort steht zu lesen, bei Aristophanes versuche Lysistrata, einen Krieg zu verhindern (!). Doch Entwarnung, es handelt sich wohl nur um eine ungenaue Übersetzung, Seredin hat seinen Aristophanes gelesen. Auf Englisch schrieb er nämlich ganz richtig: „Lysistrata is trying to stop the war.“

„Lysistrata macht Urlaub“ ist ab dem 25. Juni jeweils gemeinsam mit dem Stück „Sohn einer Mutter, Mutter eines Sohns“ auf der Marstall-Bühne des Residenztheaters zu sehen (Gesamtdauer 2:20 Stunden). Karten gibt es auf der Website des Residenztheaters.

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