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Unter Zucker

Ein grauer, nass-kalter Novembertag in der Bibliothek für Germanistik und Komparatistik in der Schellingstraße 3, 18:30 Uhr, draußen ist es bereits dunkel. Seit der Mittagspause sind schon wieder über vier Stunden vergangen, in denen man mit der zu schreibenden Arbeit – gefühlt – kein Stück weitergekommen ist. Nach Hause kann man nicht, weil man sich da nur aufs Sofa lümmeln würde, statt weiter fleißig zu sein – und dann kann man wieder vor lauter schlechtem Gewissen die ganze Nacht nicht schlafen. Am nächsten Tag ist man umso müder und gestresster, schafft noch weniger und will noch früher heim. Ein Teufelskreis.

In so einer Situation hilft nur noch Eines: Kaffee und Schokolade. Draußen ist es aber viel zu kalt und ungemütlich, um das Gebäude zu verlassen und wirklich viel Zeit hat man sowieso nicht. Auch die Cafeteria im ersten Stock hat schon zu. Aber zum Glück gibt es ja seit einiger Zeit, die Kaffee-, Getränke- und Snackautomaten im Foyer. Also rüstet man sich mit seiner Mensakarte und eilt dem dringend notwendigen Koffein-Zucker-Kick entgegen.

Was im Lesesaal als Vision von Cappuccino mit ganz viel Schaum in schönen Keramiktassen und einem saftigen Stück Schokokuchen in einem wohlig-warmen, gemütlichen Café dafür gesorgt hat, dass man sich überhaupt nicht mehr konzentrieren kann, entpuppt sich im Foyer angekommen nun als wahrer Alptraum: orangefarbene und hellblaue Plastikmöbel vor blauen Wänden und grünen Metallschränken, Kälte und Automatenkaffee im braunen Plastikbecher. Was mich dann aber (mehrfach) noch mehr zum Verzweifeln gebracht hat, war der Snackautomat.

Szenario 1: Ich drehe gerade ein bisschen durch, weil ich innerhalb von mehreren Stunden nur knapp eine Viertelseite zu Papier gebracht habe. Meine Freundin, mit der ich mich in den letzten Wochen fast täglich in der Bibliothek zum arbeiten getroffen habe, ist ebenfalls verzweifelt, weil nichts vorangeht. Wir stürmen zum Automaten und es gibt nichts. Alles leer geräumt, bis auf einen einzigen, merkwürdig aussehenden Schokoriegel mit dem Namen Nuts. In Ermangelung einer Alternative teilen wir ihn und er schmeckt nicht. Wir beschimpfen die Sprach- und Literaturwissenschaftler, die die ganzen guten Sachen aufgegessen haben, als „gierige ********* “ und verziehen uns beleidigt und frustriert wieder in den Lesesaal.

Szenario 2: Meine Freundin und ich stehen in ähnlicher Verfassung wieder vor dem Automaten. Diesmal ist er aufgefüllt – große Freude. Wir entscheiden uns für ein Hanuta, weil da diesmal sogar zwei Stück in einer Packung sind und wir glauben, ein richtiges Schnäppchen zu machen. Als das Hanuta dann aber nicht runterfällt, weil es zu schräg einsortiert wurde, sind wir wieder am Boden zerstört. Unser Unglück ist umso größer, weil die Mensakarte jetzt auch noch leer ist und wir unsere Chance auf Schokolade an diesem Tag somit vertan haben. Auch Schreien, Treten und Rütteln hilft nichts. Das Hanuta bleibt, wo es ist. Unerreichbar.

Dass einmal mein ganzes Glück von Süßigkeiten abhängen würde, hätte ich auch nie erwartet, aber genau das ist es, was Wochen über Wochen in der Bibliothek mit dir machen.

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