Kulturphilter

Sinnspagat: Eine Studie über Sprache und Stimmung

Von: Regine Hader

Eine gesellige Runde sitzt auf Bierbänken im Halbkreis beisammen: Sie trinken Wein, tragen bunte, fließende Stoffe und unterhalten sich ausgelassen. Im Hintergrund lassen fröhliche, dezente Musik und warmes Licht die Erinnerung an laue Sommernachmittage aufleben. Die stimmungsvolle Eröffnungsszene des Theaterstücks Sinnspagat scheint wie die Fleischwerdung eines impressionistischen Gemäldes. Eines, das sich auf mutige Art und Weise einer aus der Mode gekommenen Geschichte nähert: der biblischen Hochzeit von Kana.

Copyright: Jean-Marc Turmes
Copyright: Jean-Marc Turmes

In ihrem Stück Sinnspagat setzten sich die 17 Studenten der Gruppe Theater Tut Weh unter Leitung von Jan Struckmeier mit der Dynamik und Sinnhaftigkeit des Glaubens auseinander. Durch die genaue Beobachtung von Sprechsituationen sowie die Imitation typischer Gesten wird das Stück auch zu einer Studie über das Sprechen. Während im ersten Dialog beim Zuschauer der Ärger über die dickköpfig verteidigten, naiven Thesen einer Figur überwiegt, weicht dieser spätestens bei einer Persiflage auf die Rhetorik der Talkshow einem Schmunzeln. Es handelt sich bei dem Stück jedoch nicht um reine Unterhaltung. Vielmehr stellen die Studenten durch das Ausstellen der Sprechweisen einen klaren Bezug zur Diskurstheorie her. Sie betonen, wie Sprache Macht hervorbringt; wie sie Logik, Realität und Wahrheit konstruiert. Die Dramaturgie lehnt sich an die Struktur des Gottesdienstes an. An dieser Stelle wird der analytische Hintergrund der Gruppe deutlich: Fast alle studieren Theaterwissenschaft.

Trotzdem ist das Stück keineswegs verkopft oder elitär. Die Loslösung von eindeutigen Figuren, die Namen tragen und Teil einer stringenten Handlung sind, gelingt, ohne den Zuschauer zu verwirren oder ihn zu verlieren. Das Schaffen unterschiedlichster Atmosphären ist die große Stärke des Stücks. Vor allem die Tanzszenen lassen den Zuschauer das Gefühl der Zerrissenheit spüren. Ob diese sich auf die Wandlung von Wasser zu Wein, den Übergang als Paradigma der jüngeren Philosophie oder auf den Prozess der Standpunktfindung bezieht, bleibt offen. Sinnspagat hält diese Mehrdeutigkeit aus. Es gibt sowohl Figuren, die sich von vorschnellen Generalisierungen distanzieren, als auch solche, die ein generelles Relativieren ablehnen.

Copyright: Jean-Marc Turmes
Copyright: Jean-Marc Turmes

Die Tanzszenen werden durch Livemusik untermalt. Besonders die instrumentalen Passagen tragen zur spannungsvollen, sakralen Aura bei. Die Gesangseinlagen mit Stücken von Falco und Rammstein machen zwar als Zitat des religiösen und kulturellen Gesangs Sinn, fallen aber stilistisch aus dem Rahmen und überzeugen nicht vollkommen.

Die Liebe zum Detail und die Leidenschaft für ein Theater, das weh tut, aber – wie der Schlachtruf der Gruppe hinter den Kulissen deutlich macht – sein muss, wird auch im Bühnenbild deutlich. Es besteht aus einem aufwendig gestalteten Schiff, das im Laufe des Stücks eindrucksvoll seine Position auf der Bühne wechselt. Am Ende macht es dennoch Platz für die malerische Abschlussszene, die den Bogen zum Anfang der knapp zweistündigen Aufführung schließt.

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