Unileben

Ein Schreibzentrum an der LMU: To be or not to be?

Bereits im Februar 2021 haben wir darüber berichtet, dass die Finanzierung und damit der Fortbestand des Schreibzentrums der LMU gefährdet ist. Nun, fast ein Jahr später und mit dem Beginn der vollen Präsenzlehre, ist das Problem leider immer noch nicht beseitigt. Nach einem Gespräch mit Tina Werner-Werhahn, Gesamtkoordinatorin, und Linda Jassen, Peer Tutorin, vom Schreibzentrum nehme ich das Thema in meinem Kommentar nochmal unter die Lupe.

Das wissenschaftliche Schreiben ist wichtiger Bestandteil des Studiums. ©Murilo Macena

Von Alina Cohn

Recap: Was ist das Schreibzentrum?

Das Schreibzentrum bietet für alle Studierende und Lehrende der LMU ein breites Portfolio an Unterstützung an: 1-on-1 Schreibberatungen, Freitagsworkshops, semesterbegleitende Kurse, Zertifikate, Ausbildungen, Fortbildungen, YouTube-Videos und Online-Module. Dieses Angebot ist besonders wichtig, da das „Schreiben Lernen“ grundsätzlich nicht in die Curricula der Studiengänge mit eingebunden ist. Die Begeisterung scheint groß, von außergewöhnlich positiven Feedbackbögen, persönlichen Rückmeldungen bis zu den hohen Teilnehmer*innenzahl deutet alles auf den Erfolg der Institution hin. Auch Dozierende schätzen den Wert des Zentrums als hoch ein, und das Team ist vollkommen überzeugt. Ein Zentrum, das eine Lücke in der universitären Lehre schließt, gut funktioniert und ein eingespieltes Team beschäftigt, stand nun zum zweiten Mal in zwei Jahren komplett, mit allen Arbeitsplätzen, auf der Kippe. Aber warum? Es ist kaum möglich etwas Subjektives wie „Schreiberfolg“ zu quantifizieren – und hier scheint sich der Ursprung allen Übels zu finden. Es gibt zwar, wie eben ausgeführt, außerordentlich positives Feedback, doch finanzielle Entscheidungen basieren oft auf konkreteren Zahlen. Zahlen, die das Schreibzentrum nur bedingt vorweisen kann. Nun gab es eine positive Empfehlung der Studienzuschusskommission, die durch die Hochschulwahl gewählt wird, und die Universitätsleitung traf Ende Oktober die Entscheidung: Das Schreibzentrum darf bleiben, aber wieder nur zeitlich begrenzt. Es bleibt weiterhin unklar, warum das Zentrum in dieser Hinsicht nicht priorisiert wird.

Und wie kam es zu dieser Situation? Ende 2020 wurde beschlossen, dass alle Lehre@LMU Projekte kategorisch nicht weitergeführt werden, und die Fakultäten diese wenn dann selbst weiterfinanzieren müssen. Die meisten konnten das nicht. Seitdem ist das Schreibzentrum auf der Suche nach Anschlussfinanzierungen. An die Fakultät 13 gebunden wurde die erste Anschlussfinanzierung aus zentralen Studienzuschüssen genehmigt, läuft allerdings Ende des Jahres wieder aus. Die zweite, diesen Oktober kurzfristig genehmigte, Anschlussfinanzierung wird ebenfalls in zwei Jahren wieder auslaufen. Eine langfristige Lösung ist also nach wie vor nicht in Sichtweite, obwohl sie bitter nötig wäre. Es fühlt sich an, als wäre das Zentrum „permanent in der Schwebe“: Zwar kann sich das Schreibzentrum nach der aktuellen Zusage wieder mehr auf Kooperationen mit anderen Fakultäten und Projekten, auf die steigenden Anfragen der Studierenden und auf organisatorische Strukturen konzentrieren, allerdings wieder nur bedingt. Denn Richtung Ende der aktuellen Finanzierung wird all das, wie schon zweimal zuvor, durch die Suche nach Weiterfinanzierung stark an Priorität verlieren müssen. Schreibtutor*innen, die durch eine extra ausgearbeitete, lange und qualitativ hochwertige Ausbildung an der LMU gegangen sind, müssen sich zum Ende der Finanzierung immer überlegen, ob sie bleiben. Der Grund ist, dass das Schreibzentrum keine langfristige finanzielle Sicherheit bieten und immer erst kurz vor Auslaufen der Finanzierung mitteilen kann, ob es weitergeht. Dieses Jahr blieben die Mitarbeiter*innen, was aber keinesfalls selbstverständlich ist. Das Risiko, immer wieder verlorenes Knowhow ausgleichen und Arbeitskräfte neu ausbilden zu müssen, ist noch präsent.

Wenn die Finanzierung in zwei Jahren dann vielleicht abgelehnt wird, geht ein motiviertes, gut ausgebildetes und erfahrenes Team verloren. Ressourcen werden verschwendet. Außerdem fällt eine sonst nicht gegebene universitäre Hilfestellung, ein wichtiger Teil der Lehre, weg. Und selbst wenn die Finanzierung weitergeführt wird, wäre es wohl wieder nur temporär.

Und warum ist das schlecht?

Im Gespräch mit Tina und Linda fällt der Begriff „universitäres Selbstverständnis“. Die LMU ist nicht nur Ausbildungsbetrieb für Abschlüsse, sondern vor allem wissenschaftliche Einrichtung. Um die Wissenschaft von morgen zu bilden, muss natürlich viel Fachwissen vermittelt werden. Aber reicht das? Wissenschaftler*innen müssen Fragestellungen und Argumente erarbeiten, Literatur recherchieren und verstehen, Zusammenhänge finden, formulieren und kommunizieren können. Ganz Deutschland musste in der Pandemie schmerzlich erfahren, wie wichtig Wissenschaftskommunikation ist. All das sind Dinge, die erlernt werden müssen, sie erfordern eine Art und Intensität der Übung, die nicht in regulären Kursen stattfindet. Es sind Dinge, die absolut notwendig sind: „Fakten vortragen und Bücher zur Verfügung stellen reicht nicht.“ Denn Schreiben sei nicht „Mittel zum Zweck“, es bedeute kritisches Denken – und das in allen Disziplinen.

Und auch in den sogenannten MINT-Fächern müssen Notizen gemacht, Daten interpretiert und niedergeschrieben werden. Und noch dazu: Es gibt genügend Studien, die belegen, dass der Akt des Schreibens an sich aktiv an Forschung beteiligt und notwendig ist. Oft kommen Studierende aus diesen Fächern erst wegen der Bachelor-, Master- oder sogar Doktorarbeit zum Schreibzentrum, um sich Hilfe zu suchen. Um diesen Studierenden eine noch bessere Hilfestellung zu bieten, müsste es aber auch hier möglich sein, langfristig zu planen. „Nur durch Schreiben ist es möglich, aus Wissen Wissenschaft zu machen“. Schließlich müssen auch Journal-Artikel lesbar sein. Wissenschaft ist sowieso im besten Fall zugänglich für die Öffentlichkeit, auch wenn sich das langsam nach Utopie anhört.

Ein letzter ausschlaggebender Punkt für das Schreibzentrum: Der LMU ist an Bildungs- und Chancengleichheit gelegen. Doch wie kann man von neuen Studierenden erwarten, das Schreiben „einfach so“ zu können? Was, wenn niemand die Hausarbeiten Probe lesen kann? Was, wenn internationale Studierende sich teilweise schon mit der Sprache schwertun und sonst keinerlei Hilfe zur Verfügung haben? Das Abitur ist keine ausreichende Vorbereitung auf echtes und gutes wissenschaftliches Arbeiten. Ein langfristig stabiles Schreibzentrum ist eine wichtige Instanz, um die LMU zu einer faireren Universität zu machen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Was jetzt?

Schreibdidaktik sollte ein fester Bestandteil jeder Universität sein, ist aber aktuell nicht ausreichend in den Fachdidaktiken mit abgedeckt. Deshalb sollte ein Schreibzentrum tief und langfristig in universitären Strukturen verankert sein. In vielen deutschen Universitäten ist das nicht der Fall, doch das ist kein universeller Zustand: Alle Elite-Universitäten in den USA haben Schreibzentren. Harvard bietet beispielsweise schon seit mehr als hundert Jahren zusätzliche schreibdidaktische Angebote.

Das Schreibzentrum muss ernst genommen, anerkannt und langfristig gefördert werden, um eine flächendeckende Hilfestellung und ganzheitliche wissenschaftliche Ausbildung zu ermöglichen. 

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