Wer geht wie weit für Geld – Roberto Saviano im Audimax der LMU
„Bobbo“, nennt man ihn liebevoll in Italien. Und dennoch ist sich Roberto Saviano in diesem Land seines Lebens nicht sicher. In keinem Land ist er das. Ständig lebt er auf der Flucht, untergetaucht, in wechselnden, geheimen Wohnungen, umstellt von Leibwächtern. Immer, seit er dieses Buch geschrieben hat. Einen seiner seltenen öffentlichen Auftritte hatte er am 23. März im Audimax der LMU München.
Roberto Saviano ist nicht besonders groß, er hat eine hohe Stirn und markante Augenbrauen. Nachdem im Jahr 2006 sein dokumentarischer Roman Gomorrha erschienen war, wusste wirklich beinahe jeder, wie er aussieht. Das Buch ist ein Politikum. Es nennt Namen und beschreibt die Machenschaften der Mafia rund um Neapel: Wie die süditalienische Camorra mitmischt im internationalen Drogenhandel, riesige Mengen Giftmüll verschiebt, sowohl die Textil- wie die Bauindustrie infiltriert und lukrative Geschäftsbeziehungen in alle Welt pflegt, so auch zu Deutschland, bis hin nach Schottland und China. Der Tatsachenroman wird in 31 Sprachen übersetzt und ist in aller Munde – und Roberto Saviano erhält Morddrohungen, unterzeichnet von der Camorra. Er führe inzwischen das Leben einer Maus, sagt er, versteckt und isoliert. Seine Freundschaft ist lebensgefährlich, ein unbehelligtes Leben in der Öffentlichkeit nicht mehr möglich. Fluggesellschaften weigern sich, ihn zu befördern, seine Aufenthaltsräume müssen auf Sprengsätze hin untersucht werden. Die Mafia lauert scheinbar überall. Doch der 32-Jährige gibt nicht auf. Der Kampf geht weiter heißt sein neuestes Buch, das die Struktur und die Geschichte der kalabresischen `Ndrangheta schildert, die sich auch schon in Deutschland ausgebreitet hat, wie das Massaker von Duisburg offenbarte. Saviano erklärt darin, welche Kontakte die kriminelle Organisation mit der Lega Nord pflegt und beschreibt das seit sechzehn Jahren andauernde Müll-Problem in Neapel. In jahrelangen, oft gefährlichen Recherchen und Interviews mit ehemaligen Mafiamitgliedern hat er sich die nötigen Informationen zusammengeklaubt.
Die Mafia, die kennen wir vor allem aus dem romantisch-dramatischen Popcorn-Kino, Italien ist für die meisten gleichbedeutend mit Spaghetti, Pizza, Amore, und vielleicht Bunga-Bunga. „Gegen diese Stereotypen muss ‚erzählt’ werden“, sagte Saviano vergangenen Freitag im Audimax der LMU, eingeladen vom Literaturhaus München, dem ZEIT Forum Politik und dem Carl Hanser Verlag. Er zeigt die Grausamkeit der Ausweglosigkeit auf, die im Süden Italiens herrscht und immer weiter um sich greift. „Entweder du wirst Bauarbeiter, oder aber sehr mächtig.“ Als Rädchen in einer streng geregelten Ordnung. Die Mafiaorganisationen hätten sich inzwischen zu modernen Global Playern der illegalen Geschäfte entwickelt, mit großen Chancen auf Erfolg. Aber wer nicht spurt, stirbt. Die selbstverliebten, prahlerischen Gangster würden nicht lange überleben; echte Mafiosi dagegen seien diszipliniert, asketisch und unauffällig. Hinter ihren Aktionen stecke ein stahlhartes System, getragen von Gehorsam, Treue und Blutpakt. Die ‚Konten’ der mafiösen Vereinigungen bestätigen den ‚Nutzen’ eines solchen Denkens: Rund 140 Milliarden Euro Umsatz und Gewinne von 100 Milliarden Euro kann die Mafia jährlich für sich verbuchen, durch Drogenhandel, Waffenschmuggel und neuerdings vor allem auch durch Wucherkredite in der Euro-Krise. Korruption ist lukrativ, und nicht nur die Mafiosi profitieren davon. Das sei die größte Gefahr. Die Mafia folge einfachen Regelsystemen der Machtgewinnung, die längst über die Grenzen Italiens hinausreichen. Bestes Teamwork und absoluter Einsatz für die ‚Sache’, das sind Techniken, die in ihrer Struktur und Effizienz immer mehr den Regeln der internationalen Märkte ähneln. „Solange der Rechtsstaat ausgehöhlt wird“, beklagt Saviano, „wird sich die Kultur des Verbrechens immer weiter durchsetzen“. Saviano weiß, wovon er spricht. Er selbst empfand als Jugendlicher eine Faszination für die harten Kerle aus der Nachbarschaft – bis sein Vater, der als Arzt ein verletztes Camorra-Opfer behandelte, zur Warnung zusammengeschlagen wurde. Damals beschloß Saviano, das System durchschauen zu wollen, statt ihm zuzuarbeiten.
Als „moralisches Gewissen Italiens“ wird Saviano in den Medien gelobt und gehasst, nach außen hat er das Image eines Superstars. In der Tat, sein Gesicht versteckt er nicht. Aber es braucht die Offenheit, um dem von Mythen umrankten Geheimnisdünkel entgegentreten zu können. „Jeder, der das Buch öffnet, bringt Licht in die Dunkelheit!“, ruft Saviano in den Saal. Als Held möchte er jedoch nicht bezeichnet werden. „Auch ich mache Fehler“, sagt er ernst. Dass seinem Kampf mit dem mächtigen Feind allerdings ebenfalls ein mystischer Ton eignet, gibt er unumwunden zu: „Es ist ein Kampf gegen das Böse.“ Zuallererst aber, betont er, beginne dieser Kampf im Inneren eines Jeden selbst. Auch wenn es das Buch vielleicht erleichtere: Aller Anfang sei immer zuerst das Überwinden „der Mafia in mir“.