Die Anmeldezahlen bei der Psychotherapeutischen und Psychosozialen Beratung des Studentenwerks München sinken, trotz eines theoretisch hohen Bedarfs durch die Corona-Krise. Woran kann das liegen?
Von Moritz Richter
Fehlende Sozialkontakte, weniger Freiräume und große Unsicherheit: Die Bewältigung der Corona-Krise stellt für die meisten Menschen eine große psychische Belastungsprobe dar. Niemand weiß genau, ob und wie sich die Lage in den kommenden Wochen oder Monaten verändern wird. Die Gefahr einer möglichen Infektion ist dauerpräsent, zudem stehen viele wegen der wirtschaftlichen Einschränkungen zurzeit auch vor finanziellen Problemen. Gerade bei Studierenden, die sich ihr Studium oftmals nur durch Minijobs im Gastronomiegewerbe oder als Aushilfskraft finanzieren können, zeigt sich dies besonders deutlich. Auch die Umstellung auf Home-Office beziehungsweise Home-Uni macht vielen aufgrund der wegfallenden Tagesstruktur und der sich langsam auflösenden Trennung von Arbeits- und Freizeit zu schaffen. Hinzu kommt, dass man auf den Großteil des Soziallebens und somit auch auf erste Ansprechpartner*innen bei kleinen und größeren Problemen verzichten muss.
Mehr Hilfesuchende – weniger Angebot
Insofern ist es nicht verwunderlich, dass laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) viele Beratungsstellen für psychische Probleme in den vergangenen Wochen einen hohen Zuwachs an Hilfesuchenden zu verzeichnen hatten. Darunter sind zum einen viele Menschen, die schon vor der Corona-Krise mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen hatten und deren Leiden sich nun durch die gegenwärtige Situation nochmal verstärkt haben. Aber es sind auch einige dabei, die vor dem Beginn der Krise psychisch stabil waren und jetzt erstmalig mit solchen Problemen konfrontiert sind. Während die Anzahl der Betroffenen also steigt, nimmt gleichzeitig das Angebot an psychologischer und psychiatrischer Betreuung jedoch eher ab. Aus diesem Grund warnte die DGPPN schon Ende März in einer Pressemitteilung davor, dass viele Beratungsstellen zurzeit maximal ausgelastet wären. Zudem würden die zahlreichen Vorschriften bezüglich Kontaktsperren und Infektionsschutz das Angebot zusätzlich limitieren.
Bei der Psychotherapeutischen und Psychosozialen Beratung (PPB) des Studentenwerks München kann von maximaler Auslastung bisher noch keine Rede sein. Im Gegenteil: „Wir hatten in den letzten Wochen – und auch im Vergleich zum Vorjahr – sogar einen spürbaren Rückgang der Anmeldezahlen zu verzeichnen“, sagt Evangelos Evangelou, der Leiter der Einrichtung. Infolgedessen gäbe es gerade kaum mehr Wartezeiten; Beratungstermine könnten schneller vergeben werden. Eine mögliche Erklärung für die geringe Auslastung könnte laut Evangelou sein, dass viele Studierende nicht wissen, dass das Studentenwerk im Gegensatz zu den Universitäten weiterhin geöffnet hat. Zudem seien wegen des Ausfalls der Präsenzlehre einige Studierende zu Semesterbeginn nicht zurück nach München gekommen, sondern in der Heimat bei der Familie geblieben.
Beratung nur per Telefon
Aber auch der Umstand, dass bei der PPB aufgrund der gegenwärtigen Einschränkungen die Beratung zurzeit nicht vor Ort, sondern nur per Telefon möglich ist, könnte seinen Teil dazu beigetragen haben. „Das kann natürlich eine Hürde darstellen. Wenn man den Gesprächspartner nicht sieht und auch kein Bild vor Augen hat, kann man die Person deutlich schlechter einschätzen und fühlt sich nicht so sicher“, sagt Evangelou. Dies kann dann letztendlich dazu führen, dass Betroffene eventuell schwerer Vertrauen fassen und weniger offen über ihre Probleme sprechen. Darüber hinaus erschweren die telefonischen Beratungsgespräche aber auch die Arbeit der Berater*innen. Da Informationen aus Mimik und Gestik der Hilfesuchenden wegfallen, wird es schwieriger, einen klinischen Eindruck zu gewinnen und so eine erste Diagnose zu treffen.
Trotzdem ist es aber nicht so, dass sich bei der PPB gerade niemand meldet. Vor allem Studierende, die aus dem Ausland kommen oder gerade erst mit dem Studium begonnen haben, benötigen zurzeit Hilfe, da sie in München noch kein großes soziales Netz haben, das sie jetzt unterstützen könnte. Die meisten treibt vor allem die Angst vor einer Ansteckung und die mit der Krise einhergehende Unsicherheit um, manche kommen mit dem erhöhten Druck durch die Online-Lehre nicht zurecht. Auch Streitigkeiten in der Beziehung oder familiäre Konflikte spielen häufiger eine Rolle.
Wie es die kommenden Wochen und Monate weitergehen wird, kann allerdings auch Evangelou nicht absehen. Die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für Videotelefonate seien gerade in Planung. Bis das Angebot stehe, bleibe es aber das Ziel, so bald wie möglich wieder auf Beratungsgespräche vor Ort umzusteigen. Bei der Umsetzung dieses Ziels sei man jedoch letzten Endes von den kommenden Empfehlungen und Vorschriften aus der Politik abhängig. „Bis wir da Klarheit haben, versuchen wir einfach weiterhin allen so gut wie möglich zu helfen und für die Menschen da zu sein“, sagt Evangelou.
Dieser Artikel ist Teil unseres Online-Schwerpunkts „Gemeinsam“. Aufgrund der Corona-Krise haben wir uns dazu entschieden, dieses Semester auf eine gedruckte Ausgabe zu verzichten, stattdessen veröffentlichen wir Artikel unter diesem Thema. Die Ausbreitung des Virus hat das Studierendenleben von heute auf morgen verändert: Wie wirkt sich das auf den Uni-Alltag aus? Wie auf Lehre und Leben? Und vor allem: Welche Lösungen im Umgang mit dem Virus werden an Hochschulen gefunden? Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns.