Wo verläuft die Grenze zwischen wissenschaftlichem Lektorat und Ghostwriting? Wie erkennt man seriöse Angebote? Und was hat der Konjunktiv 1 mit indirektem Zitieren zu tun? Die Münchner Lektorin Kirsten Rachowiak im Interview.
Das Gespräch führte Michael Kister
Kirsten Rachowiak hat während ihres Studiums der Germanistik und Kunstgeschichte die ersten redaktionellen Arbeiten als Tutorin für Studienanfänger*innen erledigt. Später kam ihr die Idee zu einem Buchprojekt, das sie gemeinsam mit einem Dozenten verwirklichte. Dieses Projekt inspirierte sie, im Anschluss an ihr Studium bei den Verlagen DuMont und Prestel als Lektorin zu arbeiten, bevor sie sich schließlich 2003 in München als wissenschaftliche Lektorin selbstständig gemacht hat.
Frau Rachowiak, was passiert mit einer Arbeit, die bei Ihnen auf dem Schreibtisch landet?
Das ganz Grundsätzliche ist erst einmal die Korrektur von Rechtschreibung, Grammatik, Zeichensetzung und den Zeitformen. Dann achte ich auf die Einheitlichkeit von Schreibweisen. Es gibt hier viele Kann-Bestimmungen. Zum Beispiel kann man sich für oder gegen das Genitiv-E entscheiden, also „des Asts“ oder „des Astes“. Das muss einheitlich sein. Auch Auszeichnungen sind wichtig, also welche Wörter werden in Anführungszeichen gesetzt, welche kursiv geschrieben. Da muss ein System zugrunde gelegt werden. Und ich prüfe die Zitierweise. Dazu gehört, ob das jeweilige Zitiersystem konsequent eingehalten und ob korrekt zitiert wurde.
„Wenn ich ein Thema annehmen würde, das mich im Kern nicht interessiert, wird meine Arbeit unweigerlich nicht so gut wie bei einem Thema, das mich interessiert“
Inwieweit feilen Sie am Stil?
Das Minimum ist, Wortwiederholungen aufzulösen. Außerdem achte ich auf einen wissenschaftlichen Sprachstil. Zum Beispiel schreibt man, um einen neutralen sachlichen Standpunkt zum Ausdruck zu bringen, nie von sich selbst als „ich“. In meinen Fachgebieten Literatur, Kunstgeschichte, Architektur prüfe ich auch den Inhalt. Liegt ein Widerspruch vor oder es ist etwas unklar formuliert, dann schreibe ich in einem Kommentar „Was ist gemeint?“ oder „Widerspruch, siehe Seite sowieso, unterer Bereich, dort steht …“. Doch ich gehe nicht hin und ändere selbst im Text und schreibe neu.
Wer nimmt Ihre Dienste in Anspruch?
Das sind in erster Linie diejenigen, die eine Abschlussarbeit verfassen. Das kann eine Bachelorarbeit sein, eine Masterarbeit, eine Diplomarbeit, aber hauptsächlich sind es Dissertationen. Viele haben das super vorbereitet und möchten aber doch, dass ein Profi das Ganze noch mal prüft. Es sind auch viele dabei, die sich in einer zeitlichen Problemsituation befinden. Das Studium hat sich heutzutage völlig verändert, der Zeit- und Leistungsdruck hat enorm zugenommen. Wenn es zum Beispiel einen Trauerfall in der Familie gibt oder eine Krankheit, dann kommen viele ins Schwimmen. Das hat nichts damit zu tun, dass sie nicht gut wären. Sie brauchen einfach etwas Unterstützung, und die bekommen sie von mir.
Lehnen Sie Arbeiten ab?
Das Thema ist für mich wichtig. Ich interessiere mich sehr breit, also nicht nur für germanistische oder geisteswissenschaftliche Themen. Das ist entscheidend für die Qualität meiner Arbeit. Wenn ich ein Thema annehmen würde, das mich im Kern nicht interessiert, wird meine Arbeit unweigerlich nicht so gut wie bei einem Thema, das mich interessiert. Deswegen bitte ich immer darum, mir eine Textprobe zu schicken und ein bisschen was zum Thema zu erzählen. IT-Themen, von denen ich keine Ahnung habe und die mich langweilen würden, lehne ich beispielsweise ab.
Welche Frage stellen Studierende, die sich bei Ihnen melden?
Die immer wiederkehrende Frage ist: Ist das wissenschaftliche Lektorat denn legal? Ja, natürlich ist das legal! Das Gedankengut ist immer das des Studierenden beziehungsweise des Doktoranden. Selbst wenn ich da mal Input gebe oder mal auf Widersprüche aufmerksam mache, ist meine Arbeit rundum legal.
Was halten Sie von Ghostwriting?
Ich bin absolut gegen das wissenschaftliche Ghostwriting, das ist etwas völlig anderes als das wissenschaftliche Lektorat.
Erklären Sie bitte die Abgrenzung.
Der Text beim wissenschaftlichen Ghostwriting ist von einem Ghostwriter geschrieben worden. Das heißt, jemand beauftragt eine Agentur, zu einem bestimmten Thema einen wissenschaftlichen Text zu verfassen. Diese Agenturen arbeiten häufig mit einer Vielzahl wissenschaftlicher Ghostwriter zusammen und die rechtliche Situation ist ganz klar: Das Angebot der Agenturen ist legal. Sie bezeichnen den Text, den sie im Auftrag eines Kunden erstellen, gerne als „Mustervorlage“ und machen darauf aufmerksam, dass ihre Kunden diesen Text ganz identisch so nicht einreichen dürfen. Auch die Beauftragung ist legal. Aber in dem Moment, in dem ein Studierender oder ein Doktorand diesen von einem Ghostwriter geschriebenen Text zur Bewertung einreicht — das beginnt schon bei der Hausarbeit — ist es illegal, weil es sich um fremdes Gedankengut handelt. Der vermeintliche Verfasser hat ihn nicht selbst geschrieben.
Welche Fehler treten beim Zitieren aus anderen Werken auf?
Bei einem wörtlichen Zitat ist das überhaupt kein Problem. Das setzt man in Anführungszeichen und dann kommt dahinter eine Fußnote. Das, was zum Verhängnis werden könnte, sind die indirekten Zitate. Erstens genügt es nicht, den Wortlaut geringfügig zu verändern, sondern man muss ihn in eigenen Worten zusammenfassen. Zweitens ist der Konjunktiv 1 notwendig und auch hier muss man eine Fußnote setzen.
Verschiedene Politiker*innen sind zuletzt über Fehler in ihrer Doktorarbeit gestolpert. Mit Blick auf solche Prüfprozesse machen sich Studierende Sorgen über die Folgen falschen Zitierens.
Viele Studierende denken noch heute, es sei der pure Zufall, wenn ihre Arbeit auf einmal als Plagiat entlarvt würde. Und das ist falsch. Wenn man richtig zitiert, hat man nichts zu befürchten.
Überprüfen Sie beim Lektorat, ob plagiiert wurde?
Eine Plagiatsprüfung biete ich nicht an, weil sie nur mithilfe eines Programms erfolgt. Ich kann nicht die Verantwortung für ein Programm übernehmen, das ich nicht kenne. Jeder Studierende oder Doktorand kann entweder selbst ein kostenloses beziehungsweise kostenpflichtiges Plagiatsprogramm nutzen oder einen spezialisierten Profi dafür beauftragen.
„Ich würde Studierenden immer raten, sich ein Bild von dem Lektor zu machen, also mit ihm zu sprechen und ihn um ein Angebot mit einem detaillierten Leistungsumfang zu bitten“
Studierende haben oft wenig Geld. Wie viel kostet ein Lektorat bei Ihnen, etwa für eine Abschlussarbeit?
Ich rechne nach Stunden ab und kalkuliere anhand des Probelektorats. Dafür rechne ich dann einfach hoch, wie viele Stunden ich für die ganze Arbeit benötige. Ich biete ein kostenloses Probelektorat an, weil die Studierenden und Doktoranden vor der Beauftragung sehen sollen, wie die Bearbeitung später aussähe. Wenn ich viel Zeit brauche, sind das drei Seiten pro Stunde. Das kommt häufig bei Texten von Studierenden vor, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Bei einer sehr guten Vorbereitung schaffe ich durchaus fünf bis sechs Seiten pro Stunde. Für Studierende gibt es immer einen Sonderpreis. Außerdem berücksichtige ich natürlich, wenn die Arbeit besonders umfangreich ist. Da gibt es auch noch einen Sonderpreis zum Sonderpreis.
Manche Plattformen werben mit sehr günstigen Preisen – ein Fallstrick?
Man lädt dort seine Arbeit hoch und erhält einen Kostenvoranschlag, je nachdem wie schnell man sie zurückhaben will. Das sind dann Preise von 1,50 oder 2,50 Euro pro Seite. Da muss ich ganz ehrlich sagen: Dafür arbeite ich nicht. Leider ist „Lektor“ keine geschützte Berufsbezeichnung. Das ist ein großes Manko, weil man von außen nicht erkennen kann, ob es ein Profi ist oder jemand, der das so nebenbei mal eben macht. Bei diesen Plattformen darf man Studierende als Lektoren vermuten.
Wie finden Studierende am besten eine*n seriöse*n Lektor*in?
Es gibt Plattformen wie Lektorat.de. Dort kann man nach Lektoren in seiner Region suchen und sich mit ihnen persönlich in Verbindung setzen. Ich würde Studierenden immer raten, sich ein Bild von dem Lektor zu machen, also mit ihm zu sprechen und ihn um ein Angebot mit einem detaillierten Leistungsumfang zu bitten. Ein Probelektorat sollte jeder Lektor bereit sein zu liefern. Das kann auch kostenpflichtig sein. Studierende und Doktoranden sollten außerdem darauf Wert legen, einen Vertrag zu erhalten, um sich zu schützen.