Celine Song erzählt in „Past Lives“ von der Schönheit des Hypothetischen – und schafft es dabei, sogar schlechte Internetverbindungen romantisch zu inszenieren.
Von Pauline May
Der Eine ist krank und lebensmüde, die Andere gibt ihm die Lebenslust zurück. So gestaltete sich, bis auf wenige Ausnahmen, das Muster vieler (Hetero-)Liebesfilme, die in den vergangenen Jahren erschienen sind. Oft begleitet von einem sozialdarwinistischen Twist: Okay, ich bin jetzt wieder glücklich, aber als Behinderter bin ich trotzdem eine Last für die Gesellschaft und sollte nicht mehr leben. Oder, anderes Muster, die obligatorische Til- Schweiger-Patchwork-Romanze. Höhepunkt der Handlung: Ein ehemals toxischer Mann verkleidet sich für ein paar Minuten mit selbstironischem Lächeln als Hase, macht diverse Kinder und Frauen glücklich und hat mit einem Hasenkostüm das Patriarchat abgeschafft. Müsste man diese Erzeugnisse auf einer Skala einordnen, so befände man sich irgendwo zwischen „ganz nett“ und „grauenhaft“. Und dann kommt Celine Song und macht etwas, das einfach klingt, aber wirklich nicht einfach ist: einen großartigen Liebesfilm!
Er beginnt recht unspektakulär: Man schaut zwei Zwölfjährigen dabei zu, wie sie gemeinsam ihren Schulweg gehen. Na-Young weint, weil sie in der Schule nur Zweitbeste geworden ist, Hae-Sung sagt: „Deswegen muss man doch nicht weinen.“ Man sieht Na-Young mit ihren Eltern, die sie danach fragen, wie sie von nun an heißen will. Man einigt sich auf Nora. Denn die Familie will nach Kanada auswandern und da haben es Noras nun mal leichter als Na-Youngs. Von den Mitschüler*innen nach den Gründen für ihre Auswanderung gefragt, sagt die Zwölfjährige: „Weil Menschen aus Korea keinen Nobelpreis gewinnen.“ Und schließlich gehen Hae-Sung und Na-Young den gemeinsamen Schulweg zum letzten Mal.
„Tschüß“, ruft Hae-Sung und Na-Young schweigt. Sie biegen in unterschiedliche Richtungen ab. Man hofft, Na-Young würden sich noch einmal umdrehen, man hofft, es würde ihr eine gute Erwiderung einfallen, die diesem Abschied gerecht wird. Aber das tut es nicht. Den Zuschauer*innen bleibt nur übrig, den beiden aus der Vogelperspektive zuzusehen, wie sie einander verlassen.
Jahre später dann suchen Hae-Sung und Nora nacheinander im Internet: was wohl aus dem Anderen geworden ist? Sie verabreden sich zu einem Videotelefonat. Darauf folgt diese Situation, die seit Corona alle kennen: nicht funktionierende Internetverbindungen, zwei Mal „Hey, bist du noch da?“, zwei Mal keine Erwiderung.
Warum müssen alle immer so gut aussehen?
Der Grundton des Films ist damit schon gesetzt. In „Past Lives“ wird viel geschwiegen und gewartet: sei es am Telefon oder im Park. Die Protagonist*innen verbringen realistisch viel Zeit allein, in Betten oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Das Banale wird nicht ausgespart, allerdings so ästhetisiert, dass selbst die Busfahrt stimmungsvoll wirkt. (Was man natürlich kritisch einordnen kann – warum müssen alle immer so gut aussehen?) Oder man kann sagen: manchmal gibt es ja wirklich eine Schönheit im Alltag. Und dann wird es kitschig, also sollte man vielleicht einfach gar nichts sagen.
Der restliche Plot ist schnell erzählt: Nach weiteren zwölf Jahren, in denen sie nichts voneinander gehört haben, treffen sich Hae-Sung und Nora in New York wieder. Nora hat inzwischen geheiratet. Kennengelernt hat sie Ehemann Arthur in einer Künstlerresidenz, und, wie auch Hae-Sung feststellt: Leider ist Arthur so ein Typ, den man mag. Als Feindbild ist er also nicht so wirklich geeignet. In vielen Liebesfilmen wäre Arthur derjenige, der einen rätselhaften Autounfall erleiden muss, damit endlich Platz dafür da ist, dass sich die große Jugendliebe entfalten kann. „Past Lives“ jedoch funktioniert nicht so. Stattdessen lässt der Film Nora allen Raum für ihre Sehnsüchte, die sich eben nicht nach einem einfachen Schema abfertigen lassen. Denn für Arthur ist offensichtlich, dass Eifersucht auf den Kindheitsfreund nicht angebracht ist, er verhält sich angenehm erwachsen.
Noras Begegnung mit Hae-Sung kommt also ohne Männerfäuste und konstruierte Eifersuchts-Storyline aus und verläuft, ganz dem Erzählstil des Films entsprechend, erstmal recht still. Besonders viel miteinander geredet wird nicht, stattdessen beobachtet man als Zuschauer*in Nora und Hae-Sung dabei, wie die beiden typisch touristische Dinge tun und verkrampft vor der Freiheitsstatue posieren. Am letzten Abend Hae-Sungs in New York treffen die beiden in einer Bar auf Noras Mann Arthur, verlieren sich jedoch trotz anfänglicher Fremdelei so sehr im Gespräch, dass Arthur außen vor bleibt. Schließlich, spätabends, der Abschied von Hae-Sung. Zwei Menschen, die auf ein Uber warten und nicht wissen, wie sie sich verhalten, was sie mit ihren Körpern tun sollen, denen die richtigen Worte nicht einfallen und die schließlich ohne einander nach Hause finden müssen: Darin liegt manchmal die größte Dramatik.