Filmreihe

Demokratie auf Wish bestellt

„Wish“ scheint für einen Disney-Film, der vom American Dream erzählt, recht herrschaftskritisch. Am Ende sind aber doch alle aus Sternenstaub gemacht und für ihr eigenes Glück verantwortlich.

Von Pauline May; Foto: The Walt Disney Company

Ein Königreich mit einem Herrscher, der theoretisch alle Wünsche der Menschen erfüllen könnte. Dieses Szenario stellt den Ausgangspunkt für den neuen Disney-Film „Wish“ dar. Nur gibt es da ein Problem: Der König ,Magier Magnifico’ geht bei der Auswahl der Wünsche,welche er erfüllt, höchst selektiv vor. Und diejenigen, die ihren Wunsch dem Herrscher übergeben haben, vergessen seinen Inhalt sofort – und können somit nicht mehr an seiner Realisation arbeiten. So wartet der hundertjährige Großvater der Protagonistin Asha schon seit Jahrzehnten vergebens auf die Erfüllung seines Wunsches. „Weil der Wunsch zu gefährlich ist“, vertraut Magnifico Asha an. Er wolle die Menschen ja nur schützen, indem er ihnen die Wünsche nehme — denn ihre Nicht-Erfüllung gehe auch mit einem gewissen Schmerz einher.

Wovon Christian Lindner träumt

Und es stimmt ja auch, das Realitätsprinzip tut weh. Dass nicht alle Wünsche erfüllbar sind, scheint ebenfalls kein abwegiges Argument zu sein. Sehnsüchte sind vielfältig, gegebenenfalls auch widersprüchlich. Sichtbar wird dies unter anderem am Beispiel der unerwiderten Liebe. Aber auch anhand pragmatischerer Beispiele lässt sich die Unverfügbarkeit einer Welt aufzeigen, in der alle Wünsche realisiert sind. Christian Lindner träumt sicher nicht von der Räterepublik.

Asha will den Menschen dennoch unbedingt ihre Wünsche zurückgeben, die der Magier unter einer Schlosskuppel verwahrt und die im Film durch schwebende Kugeln visualisiert werden. Sie sagt: „Die Wünsche gehören ihm nicht, er hat sie sich einfach genommen.“ Und dann stellt sie die entscheidende Frage: „Warum sollte er darüber entscheiden, was mit ihnen passiert?“

Dieser Satz könnte auch in aktuellen Diskussionen zu Vermögensverteilung und Machtkonzentration fallen. Obgleich kein größenwahnsinniger Magier darüber bestimmt, wessen Sehnsüchte erfüllt werden, liegt das Schicksal eben nicht ausschließlich in der eigenen Hand. Das zeigen sämtliche Studien zum Thema Chancengerechtigkeit. Und auch im Kontext der Klimakrise sieht man den großen Einfluss von Lobbyist*innen auf Entscheidungen, die zu treffen eigentlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe wäre – weil sie die Gegenwart und Zukunft aller betreffen.

Ein bisschen Revolution wird zudem in einer Szene gegen Ende des Films angedeutet. Asha liegt am Rand des Schlossdachs, niedergedrückt von der dunklen Magie des Königs Magnifico. Sie kämpft mit aller Kraft gegen ihn an, doch die Situation  scheint aussichtslos. Magnifico hat nicht nur die Wünsche der Menschen in seiner Hand, sondern auch die Sterne vom Firmament entfernt. Da ist nichts mehr, wonach der Mensch streben kann, alles Metaphysische wurde entfernt.

Da beginnt Asha zu singen, von Hoffnungen und Träumen und darüber, dass man als Individuum sehr wichtig sei. Klassisches Disney-Programm eben. Die Bewohner*innen des Königreichs Rosas schauen dabei zu ihr herauf. Hero Shot nennt sich diese Kameraperspektive in der Sprache des Films, und, wenn man das Heldinnentum beschützen will, dann muss man auch diese Ordnung der Blicke verteidigen, das zeigt sich in „Wish“ immer wieder. Als Ashas Stimme zu brechen droht, setzt ihre beste Freundin ein, bald singen alle gemeinsam. Die Herzen beginnen zu glühen. In einem großen Feuerwerk, das wohl nicht zufällig an den berühmten Vorspann der Disney-Filme erinnert, kommen die Wünsche zu den Einwohner*innen Rosas zurück.  Natürlich ist das kitschig. Aber bei einem Disney-Kinderfilm ist das ja erstmal egal.

Alles könnte so schön sein. Doch natürlich endet der Film nicht an dieser Stelle, nicht mit dem singenden Kollektiv. Stattdessen muss noch dafür gesorgt werden, dass sich die Verhältnisse nicht zu fundamental ändern. Also bestimmt man die Königin, Exfrau Magnificos, zur neuen Herrscherin.

Warum reißen sie das Schloss nicht einfach nieder?

Das ist besonders enttäuschend, weil zuvor eine Stunde lang die Geschichte eines Königs erzählt wurde, der einmal gut war und dann doch seine Macht missbrauchte. Daraus wird jedoch keine Massenbesetzung des Schlosses abgeleitet, keine Entmachtung der Herrschenden (anders als beispielsweise in „Plötzlich Prinzessin“). Aus Perspektive des Disneykonzerns ist das natürlich absolut nachvollziehbar: Was wäre Disney ohne den Markenkern Märchenschloss? Inmitten der Revolutionserzählung in „Wish“ wirkt das Feuerwerk für den Absolutismus dennoch fehl am Platz.

Dabei ist die Herrschaft immerhin an eine Kondition geknüpft: Die Herrscherin muss gut sein. Und Gutsein, das bedeutet zumindest im Falle des neuen Disney-Films zum einen, dass man ein adliger Mensch sein muss – schließlich wird nicht Asha, die Heldin, neue Herrscherin, obwohl sie sich ja bereits als Revolutionsführerin bewährt hat. Immerhin punktet die neue Königin mit einer anderen Eigenschaft, die eine gute Herrscherin in „Wish“ aufweisen muss: Sie erkennt das wirtschaftliche Potential der Bewohner*innen Rosas. So ermutigt sie, sozusagen als Frank Thelen der Märchenwelt, auch Asha vor ihrem Zauberlehrling-Bewerbungsgespräch an sich selbst zu glauben. Auch an anderen Stellen im Film wird immer wieder ihr Mentorinnen-Status unterstrichen. Eine der letzten Szenen des Films zeigt die Königin in ihrem neuen Amt dabei, wie sie Entrepreneur*innen mit ähnlichen Herzenswünschen zusammenbringt, zum Beispiel eine, die fliegen möchte und einen jungen Mann, der eine Flugmaschine bauen will. Materielle Unterstützung zur Erfüllung ihrer Wünsche erhalten die Bewohner*innen allerdings nicht. Und komplexere Wünsche, die nicht materiell erfüllbar sind, werden gar nicht erst thematisiert. Oberste Devise: Schaffa, schaffa, Schlössla baua!

Wir sind alle Aktionär*innen

Untermauert wird die Mär vom Individuum, das sich in erster Linie um sich selbst kümmern soll, durch den ständigen Verweis auf das Universum. So blickt Asha alle fünf Minuten dramatisch in den Sternenhimmel und singt, dass alle  Menschen aus Sternenstaub gemacht seien. Ein kleiner Hase fügt enthusiastisch hinzu:  „When it comes to the universe, we are all shareholders“. Schau in den Himmel! Lern deine Sterne kennen! Und arbeite mit diesem Wissen noch härter an dir! Abgesehen davon, ob man schon Fünfjährige dieser Art zu denken aussetzen muss, stellt sich auch die Frage, ob Begriffe wie “shareholder” (Aktionär*innen) für die Zielgruppe so greifbar sind. Und dann noch die Sache mit dem Sternenstaub … Dass Menschen aus Sternenstaub bestehen, ist zwar durchaus wissenschaftlich korrekt, aber doch etwas romantisierend: „Aus Wasserstoff und Helium werden nicht nur Lieblingsmenschen, Lieblingstiere, Lieblingsgegenstände – sondern auch Diktatoren oder Waffen”, stellt Astronautin Insa Thiele-Eiche fest.

Über den Gedanken, dass Sternenstaub erstmal keinen ethischen Eigenwert besitzt, hätten die Macher*innen von  „Wish” einmal nachdenken können. Schön gemacht ist der Film natürlich trotzdem. So begegnet man vielen solide-süßen, sprechenden Tieren, einem Hintergrund, der wirkt, als sei er auf Aquarellpapier gezeichnet worden, vielfältigen Charakteren, ein bisschen Revolution – aber doch auch einer anti-egalitären Gesellschaft und der seltsamen Vorstellung, selbst der tiefste Herzenswunsch könne durch das passende Start-Up erfüllt werden.

„Wish“ kam am 30. November 2023 in die deutschen Kinos und ist weiterhin auf Disney+ verfügbar.

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