Filmreihe

„Priscilla“ – Verloren in Graceland

Sofia Coppola erzählt aus der Sicht von Priscilla Presley, der Frau an der Seite von Elvis, basierend auf ihren eigenen Memoiren. Eine Dekonstruktion von Elvis als Starpersona, aber vor allem ein finsteres Porträt von toxischen Abhängigkeiten in klaustrophobischem Design.

Von Johannes F. Schiller, Foto: Everett Collection

In einer Schlüsselszene probiert Priscilla verschiedene Kleider an, während Elvis und seine Männerfreunde sie begutachten. Er legt ihr nahe, sich die Haare schwarz zu färben und Fake-Wimpern anzulegen. Nicht nur ist sie konstant (männlichen) Blicken ausgesetzt, ihr Mann kontrolliert fortan akribisch ihr Aussehen. Durch das herbeigeführte Makeover – ein kleiner verbaler Gestus reicht aus – gestaltet er ein attraktives, medial verwertbares Image. Das ist alles höchst unangenehm und erfüllt seinen Zweck.

Schon Andrew Dominiks „Blonde“ (2022) verlangte seinem Publikum eine Relektüre des Lebens von Marilyn Monroe ab. Nun also „Priscilla“, basierend auf den Memoiren „Elvis and Me“ von Priscilla Presley, die nebenbei als Co-Produzentin fungiert. Wie in so vielen Fällen bedarf es eines Korrektivs, oder zumindest einer Erweiterung der Perspektive, die besonders angesichts des ausgreifenden Elvis-Kults in der Popkultur seine Berechtigung haben muss. Sofia Coppolas Film wagt diese Aufgabe einzulösen.

Verlorene Jugend

Priscilla (Cailee Spaeny) ist noch ein Schulmädchen, das mit ihren Eltern auf einem westdeutschen Militärstützpunkt lebt, als sie auf eine Party des zehn Jahre älteren Elvis Presley (Jacob Elordi) eingeladen wird. Presley drängt sich nicht auf, sondern begegnet ihr auf Augenhöhe, ein Gentleman wie er im Buche steht. Obwohl Priscillas Eltern höchst besorgt sind aufgrund des Altersunterschieds, kann er sie überreden, ihre Tochter mit nach Graceland, seiner Prachtvilla in Memphis zu nehmen. Von da an läuft die Anwerbung seiner Angebeteten ohne größere Hindernisse. Die gesetzliche Vormundschaft wird auf Presleys Familie in Graceland übertragen und Priscilla auf Wunsch der Eltern auf eine katholische High School geschickt, damit sie einen Abschluss erlangt. Nur Sex und Heirat bleiben ihr zunächst verwehrt. Dafür müsse der richtige Zeitpunkt gewählt sein. Elvis‘ selbst auferlegtes Keuschheitsgebot hat Vorrang.

Schnell wird die Schieflage in der Beziehung unmissverständlich klar: Nur Elvis Bedürfnisse zählen. Seine Ehefrau gerät hinter diesem überlebensgroßen Star in Vergessenheit. Unterstützt wird dies unter anderem durch den Größenunterschied der Darsteller: Elordi ist riesenhaft, während Spaeny förmlich in seinem Schatten verschluckt wird. Hinzu kommt, dass Priscilla noch ein Kind ist. Ihre Identitätsfindung ist unabgeschlossen. Ihre Persönlichkeit nicht voll ausgebildet. Einerseits fühlt sie sich in einer privilegierten Position durch ihre Verbindung zum „King“, andererseits in einem engen Korsett der Überwachung durch die Schwiegereltern. Man möge sich nur erinnern an die Verheiratung von Kirsten Dunst mit dem Dauphin in „Marie Antoinette“ (2006), ein Schlüsselfilm für Coppola. Das prunkvolle Versailles ist nur ein vergänglicher Genuss für die österreichische Herzogin, das früher oder später die dahinter liegende Einsamkeit und Depression offenlegt.

Ein sanfter Horrorfilm

Ebenso konfrontiert Coppola Priscilla mit einer überhöhten Welt des Luxus, die sie nicht zu navigieren vermag und platziert sie inmitten statischer Totalen und statischer Mise-en-scène wiederholt im Wohnbereich von Graceland; ein Einrichtungsgegenstand neben anderen leblosen Requisiten. „Priscilla“ wird zum sanften Horrorfilm, getaucht in einen blassen, gedämpften Farbschleier. Hier haust der Teenager wie in einem goldenen Käfig, abgeschottet von der Außenwelt. Elvis selbst ist so gut wie nie da, ständig auf Tour oder am Filmset. Man spekuliert in der Boulevardpresse über diverse Affären. Doch Priscilla muss sich auf dieses Leben einlassen. Sie muss für die Kamera gut aussehen und zu Hause das „Kaminfeuer am Brennen halten”.

Es ist ein erstaunlich reduzierter Film, der ohne große Statements und Wendungen alptraumhafte Dimensionen annimmt. Priscillas Charakterisierung ist lediglich angerissen. Wir beobachten aus sicherer Distanz, ohne Zugriff auf ihr Innenleben. Emotionale Anteilnahme steht nicht an erster Stelle. Coppola präsentiert stattdessen chronologisch den Niedergang der Ehe. So „verfällt“ „Priscilla“ zu keinem Zeitpunkt melodramatischen Momenten – Coppola behält ihren nüchternen, kühl-fokussierten Inszenierungsstil bei.

Die leere Figurenzeichnung ebenso wie die dramaturgischen Verkürzungen fallen dahingehend nicht negativ ins Gewicht. Ganz im Gegenteil: Sie sind Teil einer kalten, oberflächlich üppig ausgestatteten Design-Welt, hinter der sich ein finsterer Abgrund der existenziellen Leere auftut. Auch wenn dies nie expliziert wird: Man kann nur ahnen, zu welch schauriger Gothic-Ästhetik Coppolas Film geführt hätte, hätte man sich dem visuellen Konzept vollends angenommen.

Das Ende kommt dann doch erstaunlich abrupt, wie vom Rest abgeschnitten. Fast wie der gesamte Film praktisch aus Snapshots besteht, dem wiederkehrenden Motiv einer vergifteten Beziehung. Die letzte Szene suggeriert ein neues Kapitel in Priscillas Leben, aber man wagt nicht von einem Happy End zu sprechen. Self-Empowering ist in einer Spirale der Handlungsunfähigkeit gefangen. Davon kann „Priscilla“ ein Lied singen.

Priscilla startet regulär am 4. Januar 2024 in den deutschen Kinos. Im Vertrieb von MUBI. 113 Minuten.

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