Als akkreditierter Berichterstatter habe ich am „Internationalen Dokumentarfilmfestival München“ (DOK.fest) teilgenommen. Über ein Seminar angemeldet durfte ich Kurzkritiken für ein Online-Portal verfassen. Dabei habe ich unglaubliche 21 Filme geschaut!
Von Jonas Hey; Bilder: © DOK.fest München
Das DOK.fest findet jährlich seit 1985 statt und zeigte dieses Jahr 109 Filme aus 51 Ländern. Dabei fand das Festival selbst vom 2. bis 12. Mai in über 20 Spielstätten statt. Bis zum 19. Mai konnte man sich anschließend die meisten Filme auch online über die Seite des Festivals anschauen.
Mein Weg zum Festival
Mitte April habe ich im Uniportal LSF den recht unscheinbaren Kurs „Praxis der Filmkritik“ gesehen und mich gefreut, etwas über das Schreiben von Filmkritiken lernen zu können. Auf den zweiten Blick sah ich, dass es die Möglichkeit gebe, für das DOK.fest und Filmfest in München akkreditiert zu werden. Mir schlug das Herz höher, denn ich hatte schon länger die Hoffnung, mal ein Filmfestival zu besuchen und möglichst viele Filme zu sehen.
Das Seminar wurde von Dunja Bialas organisiert, Geschäftsführerin des Online-Filmportals artechock. Für zehn Studierende hat sie Presseakkreditierungen besorgt und diese vergeben, unter der Bedingung, drei Kurzkritiken für ihr Portal zu schreiben. Weder die Kurzkritiken noch die Kinobesuche werden im Kurs angerechnet, also war von Anfang an klar, dass wir aus Leidenschaft zum Film teilnehmen.
Das Ziel: Möglichst viele Filme schauen!
Von Anfang an war mir klar, dass ich eine solche Gelegenheit nutzen muss und so viele Filme wie möglich schauen will. So habe ich es dann auch gemacht und insgesamt 20 Dokumentarfilme geschaut. Nur an zwei Tagen habe ich pausiert und der Uni den Vorrang gegeben. Meist habe ich mir abends den Plan für den nächsten Tag angesehen und versucht, möglichst viele Filme auszusuchen, die sich interessant anhören. Ich habe dabei darauf verzichtet, die Trailer anzuschauen, um mir einen möglichst unverstellten Blick auf die Filme zu wahren.
Ein schwerer Start
Begonnen habe ich mein Abenteuer am zweiten Tag des Festivals (Freitag, 3. Mai). Dort wählte ich den Film „A Shepherd“ von Louis Hanquet, der meine Anfangseuphorie mit einem langsamen beobachtenden Film zurück auf den Boden der Tatsachen holte. Ich hatte mir Dokus im schnell geschnittenen Reportagestil von NDR oder arte vorgestellt und musste erkennen, dass viele Dokumentarfilme sich deutlich mehr Zeit lassen. Auch der zweite Film am Samstag (4. Mai) war ein Tiefschlag, denn Titel und Beschreibung von Los Últimos suggerierten, es würde um die letzten Urwälder von Paraguay gehen. Stattdessen musste ich mir zwei Stunden lang anhören, wie Onkel und Bekannter des Regisseurs in Stammtischmanier über die Dekadenz der Welt lamentierten. Hier lernte ich, dass Filmbeschreibungen manchmal mehr Marketing als Wirklichkeit sind.
Auf und Ab – eine Routine bildet sich
Ab Sonntag (5. Mai) stellte sich mein persönlicher Rhythmus ein: Jeden Tag zwei bis drei Filme schauen und im Anschluss daran eine Kurzkritik schreiben. Letztere sorgten dafür, dass ich nach jedem Film Zeit zur Reflektion hatte. Doch die Schreibarbeit bedeutete auch, mich in einem auf 800 Zeichen beschränkten Format kurzzufassen. Dabei habe ich stets versucht, das Thema des Films kurz zu beschreiben und dann in ein oder zwei Sätzen am Ende noch eine Kritik oder Lob anzubringen.
Nun zwei Wochen nach Ende des Festivals sind mir nur noch die wirklich guten Filme in Erinnerung. Alle anderen Filme dazwischen kann ich nur noch über meine Liste erfassen und erinnern. Deshalb will ich mich hier auch auf diese positiven Ausreißer beschränken. Die meisten Filme waren solide, aber einige leider einfach zu langsam erzählt oder zu inkohärent.
Meine Highlights
Den ersten hervorragenden Film habe ich am Sonntag, den 5. Mai, gesehen: „A new Kind of Wilderness“ von Silje Evensmo Jacobsen. Der Film zeigt eine norwegische Familie, die mit dem Tod der Mutter umgehen muss, welcher besonders vom Vater harte Entscheidungen abverlangt. Hier habe ich gelernt, dass auch Dokus hoch emotional sein können, ohne dass Figuren oder deren Reaktionen inszeniert werden müssen.
Am Dienstag, den 7. Mai, machte ich von der Online-Funktion Gebrauch und sah remote das Meisterwerk „Der Unternehmer, das Dorf und die Künstler“ von Marcelo Busse und Julia Suermondt. Hier organisiert der Pestizidhersteller Reckhaus im Ort Deppendorf gemeinsam mit zwei Aktionskünstlern ein Fest, um Fliegen zu retten. Was wie ein Marketinggag erscheint, war völlig ernst gemeint und gerade diese Mischung aus Ernsthaftigkeit der Beteiligten und der Absurdität der entstehenden Situationen in diesem Dorf machen den Film besonders.
Bereits am nächsten Tag (Mittwoch, 8. Mai) staunte ich über „Gefährlich nah“ von Andreas Pichler. Es geht um eine Bärin, die in Südtirol einen Jogger getötet hat und die darauffolgende Reaktion der Eltern, lokalen Bauern und Politiker, aber auch von Aktivisten und Rangern. Alle haben ihren eigenen Blick auf die Situation und immer wieder gelingt es dem Film, den Blickwinkel auf den Umgang mit den Bären zu verändern.
Erneut einen Tag später (Donnerstag, 9. Mai) sah ich „Das leere Grab“ von den Regisseurinnen Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay. Dabei werden zwei tansanische Familien gezeigt, die darum kämpfen, dass die in der Kolonialzeit gestohlenen Knochen ihrer Vorfahren zurückgegeben werden. Diese Familien überraschten mich trotz des himmelschreienden Unrechts, indem sie ohne Wut, sondern mit Würde und Stärke für die Rückgabe ihrer Vorfahren kämpfen.
Der vorletzte Tag (Samstag, 11. Mai) begann mit einem Tiefschlag: In „Bergfahrt“ von Dominique Margot drücken verschiedene Personen ihre Meinungen und Gefühle über Berge aus. Den Film hat mir ein Esoteriker ruiniert, der von Energielinien und Kraftfeldern schwafelte. Der Film hat mir gezeigt, dass es Kontextualisierung braucht und nicht alles Sagbare auch gesagt werden muss.
Diesem Tiefpunkt stand „Donga“ von Muhannad Lamin gegenüber, in dem der Regisseur seine Aufnahmen aus den libyschen Bürgerkriegen zusammenfasst. Stets ist er hautnah bei den Kämpfern und filmt Schusswechsel, Tote und Explosionen. Mir wurde klar: Echter Krieg ist ganz anders als Ballerspiele oder Hollywood-Blockbuster; er ist brutal und zerstört ohne Vorwarnung.
Fazit
Gerade durch meine Highlights lernte ich, dass auch Dokus berühren können. Es geht eben nicht , wie der Namen vermuten lässt, darum die Realität stumpf zu dokumentieren. Stattdessen muss das Ziel sein, dem Publikum einen bisher unmöglichen Einblick zu gewähren. Also dort zu filmen, wo ich sonst nicht hinkomme bzw. wo ich sonst nicht dabei sein kann.
Die vielen Filme zu sehen war teilweise anstrengend, aber ich habe dabei wirklich Erstaunliches gesehen. Auch konnte ich die Dokus miteinander zu vergleichen, was sonst beim Konsum von ein bis zwei Filmen pro Woche nicht geht. Ich bin sehr dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, diese intensive Erfahrung machen zu dürfen und möchte mich deshalb ganz herzlich bei Dunja Bialas von artechock bedanken!
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Artechock Kurzkritiken: https://www.artechock.de/film/text/artikel/2024/05_02_dokfest_kurzkritiken.html
DOK.fest: https://www.dokfest-muenchen.de/