Interview Politikus

„Wissenschaft wird in Deutschland stiefmütterlich behandelt“

Christian Zimmerer ist Teil des Münchner Vorstands der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW).  Wir haben mit dem Informatikstudenten über sein Engagement für bessere Arbeitsbedingungen an Münchner Universitäten gesprochen. 

Von Christopher Bertusch und Pauline May

Philtrat: Du engagierst dich bei der GEW für einen studentischen Tarifvertrag (TVStud). Wie bist du dazu gekommen?

Christian Zimmerer: Ich arbeite seit 2020 an der Technischen Universität München als studentischer Beschäftigter und mir sind die relativ niedrigen Löhne schon immer ein bisschen auf die Nerven gegangen. Dann kamen 2022 mit der Inflation noch steigende Kosten hinzu – in Verbindung mit keinerlei Lohnerhöhungen, keinerlei bemerkenswerter Verbesserung durch das Mindestlohngesetz. Der größte Auslöser war jedoch im letzten Winter, als ich angestellt werden sollte, und Mitte Oktober angefangen habe zu arbeiten. Die komplett überarbeitete Personalstelle hat meinen Vertrag jedoch erst Ende November fertiggestellt, was dazu geführt hat, dass ich erst am letzten Tag des Novembers mein Geld für den Oktober bekommen habe und das nur, weil ich der Personalstelle hinterhergerannt bin. Ansonsten hätte ich mein Gehalt erst Ende Dezember bekommen. Zweieinhalb Monate Gehaltsausfall für studentische Beschäftigte ist etwas, das man nicht vertreten kann. Und da habe ich mir gedacht: irgendwas muss sich ändern und bin im November 2022 der Gewerkschaft beigetreten. Irgendwann habe ich dann von TVStud gehört und gedacht, das ist genau das, was wir brauchen. 

Philtrat: Was wollt ihr mit TVStud erreichen?

Christian Zimmerer: Wir fordern eine deutliche Lohnerhöhung für studentische Beschäftigte. Bei Einstellungen möchten wir einen Lohn von 16,50€ erhalten und wenn wir länger beschäftigt sind durch ein Stufenmodell nochmal deutlich mehr Geld bekommen. Das entspricht den durchschnittlichen Beschäftigtenverhältnissen, weil sehr viele studentische Beschäftigte schon ihren dritten oder vierten Arbeitsvertrag haben. Ich selbst habe jetzt zum Beispiel meinen achten Arbeitsvertrag. Das wollen wir koppeln mit einer Mindeststundenanzahl von 40 Stunden pro Monat. Wenn wir jetzt einfach die Löhne erhöhen, dann wird das nur dazu führen, dass die Arbeitgeber sagen, gut, wir zahlen euch mehr Geld pro Stunde und schreiben euch weniger Stunden auf. So werden die Lohnerhöhungen aufgefressen. 

Philtrat: Aber ist das nicht problematisch für Hilfskräfte, die weniger als zehn Stunden die Woche arbeiten möchten? 

Christian Zimmerer: Wir wollen natürlich die Flexibilität für studentische Beschäftigte trotzdem gewährleisten. Viele können nicht einfach zehn Stunden die Woche arbeiten. Deswegen möchten wir, dass die Arbeitnehmer auf Antrag diese 40 Stunden auch unterschreiten können. Außerdem wollen wir eine Mindestvertragslaufzeit von 24 Monaten. Wir brauchen mehr Planungssicherheit. Und wir möchten verschiedene Angleichungen, sodass wir gleichbehandelt werden, wie die TV-L Beschäftigten an den Hochschulen, die den Tarifvertrag schon haben: einen Urlaubsanspruch von 30 Tagen, Regelungen für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Sonderzahlungen.

Philtrat: Muss man in der Gewerkschaft sein, um sich für diese Ziele zu engagieren? 

Christian Zimmerer: Natürlich ist es immer gut, wenn man in einer Gewerkschaft Mitglied ist. Man muss aber nicht Mitglied in der Gewerkschaft sein, um sich für TVStud zu engagieren. Das wird von den Gewerkschaften zwar getragen, aber prinzipiell kann jede*r mitmachen. Das wollen wir auch, wir wollen ja alle, dass sich unsere Arbeitsbedingungen verbessern. Man kann dazu Material verteilen, mit seinen Kolleg*innen sprechen, TVStud-Botschafter*in werden, aktuelle Streikaufrufe teilen. Streikaufrufen kann man auch dann folgen, wenn man kein Gewerkschaftsmitglied ist. Gewerkschaftsmitglied sein hat jedoch einige Vorteile, zum Beispiel zahlt die Gewerkschaft Streikgeld im Falle eines Lohnausfalls. Für studierende Beschäftigte zahlt die GEW vollen Lohnausgleich für etwaige Lohnausfälle im Streikfall. Außerdem hat die GEW zahlreiche weitere politische Veranstaltungen, die auch in der Mitgliedschaft integriert sind. Davon weiß man nur wenig, weil wir relativ schlecht darin sind, Werbung für uns zu machen. Die Mitgliedschaft war lange Zeit kostenlos, wegen bestimmter Formalia mussten wir die Mitgliedsbeiträge für studierende Beschäftigte in Bayern auf das gleiche Niveau wie bei Verdi bringen und das sind die 2,50 Euro monatlich. Auch, wenn natürlich studentische Beschäftigte, gerade in München, jeden Euro brauchen, finde ich das noch vertretbar.

Philtrat: Im November und Dezember werden wieder Tarifverhandlungen stattfinden, auch du bist mit TVStud daran beteiligt. Mit wem verhandelt ihr und wie habt ihr euch darauf vorbereitet? 

Christian Zimmerer: Also erstmal mussten wir natürlich unseren Verhandlungspartner, die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) dazu bekommen, dass sie überhaupt mit uns über die Arbeitsbedingungen von studentischen Beschäftigten reden. Das hat relativ lange gedauert, aber wir haben es jetzt geschafft, und wir haben dazu auch unsere Studie „Jung, akademisch, prekär“ in Auftrag gegeben. [Anm. d. Red.: Für besagte Studie wurden 11.000 studentische Beschäftigte zu ihrer Arbeitssituation befragt.]            

Philtrat: Die zumindest im akademischen Bereich viel Aufmerksamkeit erregt hat. Aber nochmal zurück zur Ausgangsfrage: Was passiert denn jetzt bei diesen Tarifverhandlungen?                            

Christian Zimmerer: Also die Verhandlungen laufen so, dass die TdL, die Arbeitgeberseite hier mit verschiedenen Gewerkschaften um den Tarifvertrag der Länder verhandelt. Wir versuchen als TVStud in diesem Rahmen unsere eigenen arbeitsrechtlichen Regelungen zu ergänzen. Die Verhandlungen dafür laufen momentan schon. Der Verhandlungsauftakt war am 26.10. Die dritte Verhandlungsrunde findet vom vierten bis zum sechsten Dezember statt, wo vermutlich endgültig beschlossen wird, wie die tariflichen Regelungen dann aussehen. Ich bin in der Verhandlungskommission der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft für den TVStud. Wir beraten die Verdi, die allgemeine Verhandlungskommission, also die Verhandlungsführer. Und stärken deren Position, indem wir ihnen von unserem Alltag, von unseren Bedürfnissen, von unserer Situation erzählen. Und indem wir auch von den Erlebnissen, von den Leuten erzählen, von denen wir und mit denen wir im Laufe der Vorbereitung geredet haben. Man kann nur gut verhandeln, wenn man die Position seiner Leute kennt. 

Philtrat: Wo siehst du die größten Erfolge eurer Bewegung in der Vergangenheit?

Christian Zimmerer: Den größten Erfolg haben wir seit 1980 in Berlin. Die haben nämlich bereits einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte, den sie auch mehrfach neu erkämpfen müssen. Daran sieht man schon, dass wenn man kämpft, man auch tatsächlich irgendwann was zurück kriegt. Das ist für uns alle eine riesige Motivation, dass wir nachziehen, uns einen Tarifvertrag erkämpfen. Wir haben ja auch schon sehr viel geschafft: zum Beispiel, die TdL dazu zu kriegen, dass sie überhaupt mit uns redet. Die haben überhaupt gar nicht den Bedarf dazu gesehen. Und mittlerweile gibt es in den Regierungen beziehungsweise innerhalb der TdL großer Mehrheitsverhältnisse, die sich für einen TV Stud aussprechen. Das steht momentan zehn zu fünf. Zehn Länder wollen eine Tarifierung und fünf sind noch dagegen – übrigens unter anderem  Bayern. 

Wir haben im Rahmen der Organisation ein ziemlich großes aktiven Netzwerk aufgebaut, also sind wir mittlerweile über 1000 TV Stud Botschafter*innen. Und viele von uns sind auch vor Ort aktiv. Das Einzige, was uns jetzt noch fehlt, ist eine breitere Unterstützung. Wir müssen einfach deutlich mehr Öffentlichkeitsarbeit noch machen, dafür haben wir ja jetzt noch ein bisschen Zeit. 

Philtrat: Was sind eure langfristigen Ziele? 

Christian Zimmerer: Was wir als Bewegung auch erreichen wollen, jetzt nicht in den aktuellen Tarifverhandlungen. aber generell ist, dass diese Regelungen, die uns schützen, auch eingehalten werden, indem wir eine Vertretung von Studierendenbeschäftigten im Personalrat bekommen.

Wir wollen, dass die Hochschule wieder zu einem wertvollen Arbeitgeber für Studierende wird. Vor ungefähr 30, 40 Jahren war es ja so, dass die Hochschule ein angesehener Arbeitgeber war. Mit der Zeit ist das immer mehr verkommen, und das entspricht auch den deutschen Wissenschaftssystemen generell. Zum Wissenschaftszeitertragsgesetz gibt es auch eine riesige Bewegung, die „Ich bin Hanna“- Bewegung, weil Wissenschaft generell in Deutschland sehr stiefmütterlich behandelt wird. [Anm.d.Red. Unter dem Hashtag „Ich bin Hanna“ erzählten ab Juni 2021 viele junge Wissenschaftler*innen in sozialen Netzwerken von ihren Erfahrungen im Universitätsbetrieb und forderten mehr unbefristete Stellen. Die Kampagne entstand in Reaktion auf ein Video des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, in dem eine Figur namens Hanna das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, verantwortlich für die vielen befristeten Verträge, als Antrieb für mehr Innovationskraft inszenierte. Viele Forschende stimmen mit dieser Darstellung nicht überein.] Außerdem möchten wir den Bildungsstandard an den Universitäten sichern. Und das geht natürlich nur, wenn die Universitäten Beschäftigte so bezahlen, dass sie auch Lust haben, in dem Bereich zu arbeiten. 

Philtrat: Welche Strategie werdet ihr in den Verhandlungen verfolgen?

Christian Zimmerer: Mir ist wichtig zu betonen: Das Erreichen eines studentischen Tarifvertrags hängt nicht von den verhandlungsführenden Leuten ab, sondern Tariferfolge hängen immer von der Streikbereitschaft der der Massen ab. Das bedeutet, wenn nicht viele Leute anfangen sich zu engagieren und nicht viele Leute was an ihren Arbeitsbedingungen ändern wollen und dafür auf die Straße gehen, dann wird sich auch nichts ändern. 

Philtrat: Ich kann mir vorstellen, dass es in einem System, in dem die durchschnittliche Vertragslaufzeit bei unter sechs Monaten liegt, schwierig ist, große Massen zu mobilisieren.

Christian Zimmerer: In der Tat gestaltet sich das ziemlich kompliziert, Studierende hier zu organisieren, auch dadurch, dass studierende Beschäftigte oft keinen festen Arbeitsplatz haben. Die Rahmenbedingungen erschweren es, diese Personen zu erreichen. Was wir machen, wir sprechen unsere Kolleg*innen an und erzählen denen von unseren Vorhaben und aus meiner Erfahrung funktioniert das ziemlich gut. 

Oft beobachte ich: Menschen haben eigentlich schon Lust, für eine bessere Situation zu kämpfen, wissen aber einfach nicht, wie sie das tun sollen, weil sie die vorhandenen Strukturen nicht kennen. Zumindest war das bei mir so. Wenn ich den Leuten jedoch von uns erzählt habe, musste ich sie eigentlich gar nicht weiter überzeugen. Wenn ich erzählt habe, „Streiken bedeutet mehr Geld“ sagten die meisten sofort, dass sie dabei sind. Eben weil unsere Verhältnisse so prekär sind. 

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