Von Christina Kockerd
Ein Ort verändert die Geschichte, die an ihm erzählt wird. Das weiß jeder, der einmal ein Theaterstück in einer Turnhalle aufgeführt gesehen hat oder in einer Interimsspielstätte, weil die große Bühne gerade saniert wird. Der Hörgang am 20.05.17 in Bogenhausen lotet die Verbindung zwischen Orten und Geschichten in einer ganz neuen Dimension aus: An über 30 Orten in Bogenhausen lesen über 30 Autoren, Journalisten, Blogger und Kleinkünstler Ausschnitte aus selbstverfassten Texten – eine literarische Entdeckungsreise durch ein nächtliches Stadtviertel, mit frei wählbarer Route.
Aus dem Leben eines Assistenzarztes
Felix Bonke, hausärztlicher Internist, Slam Poet und Mitbegründer der Münchner Lesebühne Westend ist Kiez, liest zunächst in der Balletschule Korinna Söhn und zu später Stunde nochmal auf der Kanzel der Dreieinigkeitskirche aus seinem ersten Roman „Die Tochter der Patientin“ – eine zunächst skurril anmutende Mischung von unterhaltsam wortgewandtem Text, dem man den Slamer deutlich anmerkt, und zwei Räumen, die von der Geschichte so weit entfernt liegen wie irgend möglich. Eine Mischung, die deswegen umso mehr Lust auf den Roman macht: Ein Assistenzarzt verliebt sich in die Tochter einer Patientin und auf einmal stehen ihnen zu zweit alle Möglichkeiten offen.
„Irgendwas Urbanes“ und ein bisschen Musik
„Weil es ja sonst nur Text gibt“, wartet das Ensemble der Wasserglaslesung in der Bürgermeistervilla neben einem Bericht aus dem Arbeitsalltag einer Krankenschwester und einer kleinen Geschichtsstunde über ein weitreichend unbekanntes Land namens Gagausien (das gibt es wirklich!) mit einer Rap-Einlage auf. Die Gruppe aus Hobbyvorlesern und Schauspielern trat früher regelmäßig im Theater im Fraunhofer auf, liest inzwischen jedoch nur noch im privaten Rahmen und exklusiv beim Hörgang.
Homestories in heimeliger Atmosphäre
Zwischen Blumen und Porzellandekoration in Florians Blumenpavillon präsentiert Anna-Elena Knerich, die zurzeit als freie Autorin für die Süddeutsche Zeitung und das Münchner Stadtmagazin Mucbook schreibt, eine Geschichte aus ihrer Kolumne „Home Stories aus München“. Sie hat die Autorin des Romans „Panthertage: Mein Leben mit Epilepsie“ Sarah Elise Bischof in deren Wohnung besucht und liest an diesem Abend sowohl einen Ausschnitt aus dem Roman als auch aus ihrer Kolumne vor – definitiv ein Highlight des Abends, das auch nochmal das Besondere des Hörgangs deutlich macht: Hier bekommen Nachwuchsautoren und „alte Hasen“ des Literaturgeschäftes eine Stimme und verwandeln gleichzeitig die ungewöhnlichsten Orte in Räume für Geschichten.
Ein tolles Event und eine fantastische Möglichkeit, an einem Abend viele Geschichten verschiedenster Art zu hören. Schade ist nur, dass sich jeder im Prinzip nur für vier Lesungen entscheiden kann, denn die Veranstaltung fängt um 20 Uhr an, bis 23 Uhr finden dann stündlich mehrere Lesungen parallel statt. Da geht man bei so vielen Autoren, die man noch hätte hören können, fast mit dem Gefühl nach Hause, nur ein Appetithäppchen abbekommen zu haben.