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Stell dir vor, es ist Kommunalwahl und keiner geht hin

Wenn der Wahlzettel größer ist als die -kabine: Am 15. März werden in Bayern Bürgermeister*innen und Gemeinderät*innen gewählt. Doch wen interessiert das überhaupt?

Das Münchner Rathaus am Marienplatz: Wer hier künftig als OB im zweiten Stock sitzt, ist völlig offen © Foto: Katharina Horban

Von Katharina Horban

Nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten, genauer: 42,1 Prozent – so viele Menschen setzten 2014 ihr Kreuz bei der Oberbürgermeisterwahl in München. In der Stichwahl waren es nur noch 38,5 Prozent. Zum Vergleich: Sechs Jahre zuvor lag die Wahlbeteiligung bei 47,6 Prozent. Seit Einführung der Direktwahl des Oberbürgermeisters im Jahr 1952 haben in der Landeshauptstadt nie weniger Menschen gewählt als 2014.

Am 15. März sind in Bayern wieder Kommunalwahlen, in München und vielen anderen Städten werden zudem neue Oberbürgermeister*innen gewählt. Wie wird die Wahlbeteiligung wohl dieses Jahr ausfallen? „Ein Planfeststellungsverfahren ist eben nicht sexy“, sagt Martin Gross. Der 34-jährige Politikwissenschaftler vom Geschwister-Scholl-Institut der LMU beschäftigt sich in seiner Forschung mit Kommunalpolitik – und spricht von einem Imageproblem: „Gemeindepolitik ist Ausschussarbeit. Gerade in einer Großstadt wie München, wo viel in den Ausschüssen vorbereitet wird. Deshalb gibt es keine Redeschlachten im Westminster-Stil, den man ganz nett finden kann.“ So seien die eigentlichen Sitzungen oft eher dröge.

Ein Wahlkampf vor allem um gültige Stimmen?

Das größte Hindernis ist Gross zufolge das Wahlsystem, an dem selbst Leute vom Fach scheitern: „Es ist zu komplex. Man hat so viele Stimmen, wie es Sitze im Gemeinderat gibt – das sind dann 80 in München.“ Einen Konsens in der Forschung gebe es nicht, aber Gross hat eine Vermutung, weshalb die Wahlbeteiligung auf kommunaler Ebene so gering ist: „Je mehr man kumulieren und panaschieren (*) kann und je mehr Stimmen man hat, desto eher steigt die Zahl der ungültigen Stimmen. Das sind sicher nicht immer nur Protestwähler. Da wird es einige geben, die falsch ankreuzen.“ Vor kurzem hat er das Wahlsystem bei einer Fortbildung mit 30 Sozialkundelehrer*innen auf den Prüfstand gestellt. Die Lehrenden sollten einen Stimmzettel korrekt ausfüllen: Nur die Hälfte wären gültig gewesen.

Den widrigen Bedingungen zum Trotz, sieht Gross dem 15. März 2020 zuversichtlich entgegen: „Es gibt in München auf einmal drei OB-Kandidaten im ersten Wahlgang, die eine realistische Chance haben.“ Der 34-Jährige setze darauf, dass durch die höhere Anzahl der Personen, die sich aufstellen lassen, allgemein das Interesse an dieser Wahl steige. Die Situation, dass mit Kristina Frank (CSU) und Katrin Habenschaden (Bündnis 90/Die Grünen) zwei OB-Kandidatinnen gegen einen Mann – den jetzigen OB Dieter Reiter (SPD) – antreten, habe man nicht so oft in München.

Der Termin der Wahlen liegt auch für die vielen jungen Menschen, die im Herbst 2019 für ihr Studium in die Landeshauptstadt gezogen sind, günstig: Man muss seinen Wohnsitz mindestens zwei Monate in einer Gemeinde haben, um dort bei den Kommunalwahlen seine Stimme abzugeben.

In der Schule wird fast nur die Bundespolitik behandelt

Aber was denken Münchner Studierende über die bayerischen Kommunalwahlen – und was wissen sie über das Wahlsystem? David Stiegeler ist 22 Jahre alt und studiert Politikwissenschaft. Bei der Europawahl im vergangenen Jahr war er Kandidat für die CSU in seiner Heimatstadt Memmingen. Auch er habe sich fest vorgenommen, am 15. März wählen zu gehen. Ob er das Wahlsystem für die Kommunalwahlen kennt? Die Grundzüge, die kenne er – müsse sich bis März aber noch einlesen. Die 20-jährige Nadine Huber sagt: „Man geht halt wählen.“ Dies sei eine demokratische Selbstverständlichkeit für sie.

Gleichzeitig erzählt sie, wie in der Schule fast nur Bundespolitik behandelt wurde – die kommunale Ebene sei nie Thema gewesen. Eine weitere Person, die am 15. März sicher wählen gehen wird, ist Bernhard Schüssler: Der 20-jährige Student ist bei den Grünen und kandidiert für den Stadtrat in Unterschleißheim. Aber auch er fügt an: „Das Wahlsystem ist total abschreckend.“ Zwar kämpfe er für seine Partei um jede Stimme, vor allem aber wolle er, dass die Menschen in der Wahlkabine ihren Stimmzettel so ausfüllen, dass er nicht ungültig wird.

(*) Begrifflichkeiten: „Kumulieren“, auch Stimmenhäufung genannt, bedeutet, dass mehrere Wahlstimmen auf eine*n Kandidat*in vereinigt werden. „Panaschieren“ bezeichnet dagegen das Verteilen von Stimmen auf mehrere Kandidat*innen. Bei den bayerischen Kommunalwahlen ist beides möglich, wie in den meisten Bundesländern. Wichtige Infos zur Wahl in München bietet muenchenwaehlt.de.

Das sind die drei aussichtsreichsten OB-Kandidat*innen in München:

 

Der Artikel ist ein Vorab-Auszug aus der 29. Printausgabe von Philtrat, die zwischen dem 27. und 31. Januar 2020 für 1 € verkauft wird, jeweils von 10 bis 18 Uhr im Zwischengang der Schellingstraße 3 in München. Alle Infos zum Verkauf findet ihr hier.

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