Sehen

Immer wieder staunt der Mensch

Strahlend leuchtet mir die Farbe entgegen. Ein rot-gelbes Blumenmeer auf himmelblauem und weißem Grund. Stunden könnte ich vor ihnen verbringen, diesen zwölf Leinwänden, die einen Saal in der Münchner Sammlung Brandhorst füllen.
Cy Twombly: Lepanto | 2001 Foto: Haydar Koyupinar © Bayerische Staatsgemäldesammlungen | Museum Brandhorst München
Doch der ersten friedvollen Assoziation eines Sommertages aus flirrenden Farben folgt bald ein Unbehagen, hervorgerufen durch den aggressiven Duktus. Flirren wird zur Explosion, Sonnenblumen werden Feuer, herunterlaufende Farbe ist Blut und Rauch und Tränen.

Von Tabitha Nagy

Eine Schlacht, ein Sieg

So vielfältig und intensiv wie seine Farben sind die Eindrücke, die das Werk des US-amerikanischen Künstlers Cy Twombly beim Betrachten erzeugt. Sein Name: „Lepanto“. Benannt ist es nach der Großen Seeschlacht vor dem Eingang zum Golf von Patras bei Lepanto, im heutigen Griechenland. Am 7. Oktober 1571 traf eine gemeinsame Flotte der Republik Venedig und Spaniens sowie weiterer christlicher Verbündeter – die heilige Liga – auf die Kriegsflotte des osmanischen Reiches. Auslöser für den Konflikt war die Eroberung des bis dato venezianischen Zyperns durch die Osmanen am 1. August 1571.

Die Kriegsflotte des osmanischen Reiches war groß und galt bisher als unbesiegbar. Umso überwältigender muss der Sieg gegen diesen übermächtigen Gegner für die heilige Liga gewesen sein. Mit dem Verlust von 30 000 Mann – darunter erfahrene Kommandeure und Kapitäne – sowie über 100 versenkten und 150 erbeuteten Schiffen, zwangen sie den Osmanen eine vernichtende Niederlage auf. Die heilige Liga, kommandiert vom unehelichen Sohn des bereits verstorbenen Kaisers Karl V. und Halbbruder des spanischen Königs Phillip II. – Don Juan de Austria –, hatte dagegen Verluste von ungefähr 8000 Mann und 13 Schiffen zu tragen. Dieser überragende und unerwartete Sieg beflügelte in Windeseile Dichter und Maler zu neuen Werken und sollte noch viele Jahrzehnte und Jahrhunderte Künstler inspirieren.

Cy Twombly und die Sammlung Brandhorst

In dieser Tradition steht auch das 2001 von Cy Twombly geschaffene Werk, das wir zu Anfang des Artikels betrachtet haben. Anders als viele dieser Arbeiten feiert „Lepanto“ nicht nur die rauschende Freude über den Sieg, es zeigt zugleich die fatalen Folgen, das Grauen, die Hektik einer Schlacht, die Tragödie der Unterlegenen. In der Betrachtung wird man zwischen diesen Polen immer wieder hin- und hergerissen. Eine Ewigkeit könnte man in diesem Zustand in dem hellen, hohen Raum verbleiben. Er wurde eigens für dieses Werk aus zwölf Gemälden und nach den Wünschen des Künstlers entworfen. So entfaltet sich Twomblys Seeschlacht in einem Panorama vor dem Betrachter, die Wände exakt an die Größen der Leinwände angepasst und im Polygon angeordnet.

Wie dieser Raum vermuten lässt, stellt Cy Twomblys Werk einen besonderen Höhepunkt in der Sammlung Brandhorst dar. Tatsächlich besitzt sie mit über 170 Arbeiten wohl einen weltweit einzigartigen Bestand der Werke des 2011 verstorbenen Künstlers. Einen weiteren Raum, ebenfalls in der Dauerausstellung zu sehen, füllen seine „Rosen“-Bilder. In ihnen sind die Verse bekannter Dichter in seiner charakteristischen Kritzelschrift eingeflossen, auf denen sich die gigantischen, farbenreichen „Rosen“ betten.

Unabhängig von den temporären Ausstellungen ist vor allem „Lepanto“ ein Werk, das stets wartet und zum Verweilen einlädt. Immer wieder rauschen die Wellen, leuchten die Blumen, knallen Kanonen, fließt das Blut, jubeln die Sieger und preisen die Dichter. Immer wieder staunt der Mensch.

Cy Twombly: Lepanto | 2001 Foto: Haydar Koyupinar © Bayerische Staatsgemäldesammlungen | Museum Brandhorst München
Theresienstraße 35a
Täglich außer Mo
10.00 – 18.00 Uhr
Do 10.00 – 20.00 Uhr

Kunst im Kontext

KUNST IM KONTEXT war bis Ende des Sommersemesters 2019 eine Kooperation mit dem Department Kunstwissenschaften der LMU. Studierende der fünf Studiengänge Theaterwissenschaften, Kunstgeschichte, Kunstpädagogik, Musikwissenschaften und Musikpädagogik rezensierten Ausstellungen, Konzerte und Theaterinszenierungen, berichteten über berufliche Perspektiven nach dem Studium und schrieben über alles, was sonst noch so los ist an der Isar. Die Texte entstanden im Rahmen von Seminaren des Departments und in einem freien Redaktionsteam.

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