Essay

Cancelling History hates Lovers Inc. Wie man Geschichte(n) für alle mit allen erzählt.

„Es waren einmal vor langer Zeit eine Königin und eine Königin, die liebten einander sehr.“
Doch niemand durfte von ihnen wissen und überhaupt klingt dieser Anfang für die meisten Ohren
ungewohnt – erzählen klassische Märchen doch vor allem von Prinzen, die am glücklichen Ende ihre
Prinzessin mit dem Kuss der einzig wahren Liebe erlösen. Dass die heterosexuelle Version aber nicht die
einzige Art von Happy Ending darstellen muss, hört man dagegen selten.

Von Myou Papperitz

Who’s gonna tell us the stories, that our textbooks don’t?
Tales of love that stay blurry, cause our courses won’t
Ignore the way they’re designed to erase the past
To keep good intentions secret
To force a mask
(Oublaire: History hates lovers)

Die Worte, mit denen die Sängerin Oublaire die Verschleierung queerer Biografien in der
Geschichtsschreibung in Worte fasst, lassen sich ebenso auf die traditionelle Erzählung von Geschichten
als solche übertragen. Stöbert man durch die weitläufige Literatur- und Medienlandschaft und hört zu, wie
sie über das Leben und Lieben erzählen, lässt sich ein roter Faden erkennen, der alles zu durchweben
scheint. Der Faden heißt Heteronormativität und das Narrativ, das er aufspannt, lässt wenig Raum für
Charaktere, die sich auf dem queeren Spektrum verorten. Ob in Büchern, Filmen, Comics oder
Videospielen: Bis vor wenigen Jahrzehnten gab es überhaupt nur selten Figuren, die z. B. offen als
homosexuell dargestellt wurden. Fanden sie doch einmal Eingang in eine Geschichte, wurden sie oft
entweder zu Antagonist:innen auserkoren, erlitten ein unglückliches Schicksal oder spielten bestenfalls
klischeehaft stark überzeichnete Nebencharaktere. Diese Art der Darstellung aber machte und macht
queere Personen bis heute unsichtbar, statt sie in ihrer Identität eindeutig darzustellen und möglichst
vorurteilsfrei zu charakterisieren („Google, erklär mir Queercoding“).

Diversität, die (mehr als) eine Rolle spielt

Dass queere Personen sogar mal zu Protagonist:innen werden und außerhalb der Erzählung eines
sogenannten ‚besonderen Schicksals‘ im Fokus der Handlung stehen, hat sich erst im Laufe der letzten
zwei Jahrzehnte signifikant gewandelt. Das ist zu mindestens der Eindruck, der bei einem ersten Streifzug
durch den Bestand literarischer und medialer Erzeugnisse mit queerer Repräsentation entstehen kann.
Leider sind diese Entwicklungen in der Forschung bisher nur wenig dokumentiert (wertvolle Arbeit
hierzu leistet aber z. B. GLAAD). Im Angesicht einer jahrhundertealten Kultur- und Literaturgeschichte
stellt das sozusagen einen Sekundenbruchteil von (wertschätzender) Aufmerksamkeit dar. Trotzdem hört
man immer wieder, queere Charaktere bzw. Figuren, die sich innerhalb des LGBTQIA-Spektrums
verorten, würden neuerdings zu viel Raum einnehmen und überhaupt, warum denn jetzt in jeder dritten
Serie jemand ‚von denen‘ vorkommen müsse!

„Nun, Herbert, abgesehen davon, dass es statistisch betrachtet vermutlich eher jede 10. Serie ist (der
schwankende Durchschnitt beträgt ca. 10 Prozent, für genaue Zahlen klickt hier: https://glaad.org/whereweareontv22/) was genau ist dein Problem? Stell dir mal vor, es wäre umgekehrt: In jeder zehnten Produktion und in jedem fünfzehnten Buch taucht gerade mal ein heterosexueller
Charakter auf und dann ist er auch gleich wieder tot, oder der Bösewicht oder sowieso total unwichtig und
vielleicht nur der ‚Quoten-Hete‘.“ „Ja, aber ihr macht nun mal eine Minderheit aus. Das richtet sich eben
nach der Nachfrage“, argumentiert Herbert und Karen nickt zustimmend. Herbert und Karen sind
heterosexuell, leben in einer monogamen Beziehung und sind überhaupt überzeugt davon, dass ihre Art zu
lieben die einzige wahre ist. Sie haben nicht wirklich etwas gegen Personen, die anders lieben und leben als als sie, nur in ihr Blickfeld sollen sie bitte nicht geraten und in das ihrer Kinder noch weniger. Karen
geht sogar zu einem schwulen Friseur (Herbert nicht) und manchmal quatschen sie bei einem Kaffee über
Gott und die Welt, aber niemals über die Liebe (natürlich besteht die Gesellschaft heterosexuell
empfindender Menschen nicht nur aus Herberts und Karens – es lässt sich allerdings nicht verleugnen,
dass man neben einer wachsenden Zahl an Allys (Verbündeten) auch auf feindlich bis abwertend gesinnte
Personen trifft; insbesondere, wenn man sich für beschriebene Themen engagiert).

Sehen und gesehen werden

„Es geht um Sichtbarkeit, Herbert“, erklärt die Prinzessin von nebenan, während sie ihr blütenweißes
Brautkleid zerschneidet und Regenbögen auf ihre Krone malt, „viel zu lange hat man zum Beispiel
gleichgeschlechtliche Liebe aus den Geschichten und Geschichtsbüchern verbannt, ausradiert,
weggekürzt, umgeschrieben. Die Feen in meinem Lieblingsroman sind zum Beispiel gar keine
allerallerbesten Freundinnen, sondern eigentlich –“ „Lasst doch Freundinnen ihre Freundschaft! Dass ihr
immer gleich in alles romantische Verstrickungen hineinlesen müsst…und dann auch noch vor den
Kindern“, beschwert sich Karen, dabei sind andersherum diese Art von Deutungsmustern geradezu an der
Tagesordnung. Das Rollenspiel von Vater-Mutter-Kind-Konstellation und Als-Ob-Hochzeiten in
Kindergärten sind in einer heteronormativ eingestellten Gesellschaft völlig okay und sogar oft als niedlich
angesehen. Auch das Händchenhalten auf dem Pausenhof der Realität oder in Kinderbüchern ist das
Normalste der Welt, solange es zwischen einem Cis-Mädchen und einem Cis-Jungen stattfindet. Sobald
sich die Konstellation jedoch ändert oder gar eine Geschlechtervielfalt zur Sprache kommt, ist die Grenze
zur sogenannten ‚Frühsexualisierung‘ für viele schnell überschritten. „Verstehst du, es macht eben einen
bedeutenden Unterschied, was man den jungen Menschen erzählt. Nichts prägt mehr als das!“, erklärt
Herbert und die Prinzessin nickt, denn sie versteht sehr gut. „Natürlich darf man noch unschuldige
Geschichten von der Liebe erzählen“, ergänzt Karen und gibt Herbert demonstrativ einen Kuss, „aber
alles andere als die Beziehung zwischen Mann und Frau beschreibt sexuelle Präferenzen und die gehören
einfach nicht ins Kinderzimmer.“

Und das, Kinder, nennt man Heteronormativität.

Den zweiten Teil der Geschichte lest ihr am Donnerstag.

Unter #QueerOnCampus schreiben Studierende des Queer-Referat der Studierendenvertretung der LMU über LGBTQ+ und andere Themen, die queere Personen im Zusammenhang mit München und dem Studium betreffen. Für die Inhalte sind allein die jeweiligen Autor*innen verantwortlich. Alle Beiträge der Serie hier nachlesen.

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