Kulturphilter

Es war einmal die Heteronormativität. The Story continues.

Es war einmal eine Weltanschauung, die wusste, so erzählte man sich, von der einzig wahren Liebe: Diese besondere neurochemische Magie, die einen Mann und eine Frau verbindet auf immer und ewig! Schaut euch nur Adam an und Eva, Romeo und Julia, oder Dornröschen und ihren Prinzen, sie waren einander verbunden bis an ihr Ende –  so sollte es sein und bleiben und wer etwas anders sagt, erzählt verqueere Geschichten.

©Myou Papperitz

Von Myou Papperitz

Und das, Kinder, erinnert ihr euch? Genau, dazu sagt man Heteronormativität. Heteronormativität beschreibt nach dem DWDS „das Wertesystem, das Heterosexualität und das binäre Geschlechtermodell als Norm postuliert und infolgedessen queere Personen ausschließt bzw. diskriminiert“ (Vgl. https://www.dwds.de/wb/Heteronormativität).  Der Begriff an sich stammt aus der Queer Theory.  Diversity Arts Culture (die Website des Berliner Projektbüros für Diversitätsentwicklung) erklärt den Begriff eingehender als die Weltanschauung, in welcher nur zwei Geschlechter (männlich und weiblich) und heterosexuelle Beziehungen zwischen diesen Geschlechtern anerkannt und als normal angesehen werden. Dementsprechend fallen in einer heteronormativ geprägten Gesellschaft auch die Erwartungen an das Individuum aus: Man wird ausschließlich entweder als Mann oder Frau geboren und dementsprechend erzogen.

Das Märchen von der einzig wahren Art, zu l(i)eben

Lange Zeit hat diese Anschauung das Narrativ der Weltgeschichte geprägt sowie unsere Art zu denken und zu handeln tiefgehend beeinflusst. Wenn z. B. Menschheitsgeschichte(n) über Jahrhunderte vor allem mit Männern in den Hauptrollen erzählt wird und ihnen vornehmlich Frauen als Ergänzung an die Seite gestellt werden, liegt es nahe, Leben, Lieben sowie die eigene Identität generell nur im Kontext von Cis-Mann und Cis-Frau zu denken. Das Narrativ schafft so gewissermaßen eine repressive Rahmenhandlung, in welcher das sprichwörtliche Happy Ending nur für jene Menschen möglich erscheint, die sich innerhalb der besagten Ordnung wiederfinden können. Diese Erzählweise aber macht Millionen queerer Personen unsichtbar und schickt sie backstage in den Kleiderschrank, wo sie Verstecken spielen dürfen. 

„Zwei küssende Prinzessinnen auf der Bühne? Ein Prinz, den es nicht nach Sex oder Liebe im Leben verlangt? Ein Pärchen, das einvernehmlich mit einer dritten Person eine Beziehung eingeht! Das ist doch nicht normal“, mischt sich Herbert ein und legt besitzergreifend seinen Arm um Karen, „und wenn’s schon sein muss, dann bitte nur im Schlafzimmer, und nicht in aller Öffentlichkeit. Das geht doch nicht!“ Oh, doch, das geht, es ist nur anders als bei euch, Herbert und Karen, und trotzdem zählt man das zu der menschlichen Art zu lieben und leben dazu. Das nennt man ‚sexuelle Selbstbestimmung‘ und freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. In heteronormativ geprägten Gesellschaften wird auf Abweichungen vom Maßstab nicht selten noch mit verschiedenen Formen von Diskriminierung reagiert oder gar mittels gesetzlicher Strafen sanktioniert. Im besten Fall können sich queere Personen über etwas aufkeimende Toleranz freuen und haben für stückhafte Zugeständnisse in Sachen Gleichberechtigung und Co gefälligst unendlich dankbar sein, obwohl die Durchsetzung jener eigentlich als selbstverständlich gelten und nicht ggf. von der Gunst einer Mehrheitsgesellschaft abhängen sollte.

Über Gefühle reden zu können

„Du hast dich jetzt aber nicht in mich verliebt, oder?“, fragt Karen, anscheinend hat ihr Gegenüber sie zu lange angeguckt. „Du bist nicht mein Typ“, erwidert die Prinzessin mit einem Augenzwinkern, „auch sonst verliebe ich mich nicht in jede Frau* in meinem Umfeld. Oder kommen dir bei jedem Mann*, der dir begegnet, spontan die Schmetterlinge?“ „Nein, warum auch“, erwidert Karen hastig, „ich würde niemals noch einen anderen wollen!“ „Ich vielleicht schon, denn ich bin poly“, erwidert die Prinzessin, „allerdings verstehe ich mich auch als demiromantisch, das heißt, das mit dem Verlieben funktioniert bei mir nicht ganz so auf den ersten Blick. Daher dauert es tendenziell länger –“ „Was soll das denn jetzt schon wieder heißen, polydemi, was weiß ich! Immer müsst ihr neue Dinge erfinden und euch als etwas verstehen“, murrt Herbert genervt. „Es ist kein Erfinden, wenn Mensch es fühlt, Herbert.“ Die Prinzessin von nebenan bügelt die vorerst letzten Vorurteile aus ihrem Anzug und setzt sich eine nagelneue Brille vor die Augen. „ Es ist valide, wenn Mensch sich selbst und seine Gefühlen Namen geben möchte, anstatt sie auszuklammern. Namen geben Sichtbarkeit.“ Unsichtbarkeit dagegen führt zu Unwissenheit und auf diese Weise häufig auch zu Unsicherheit für queere Personen in der Gesellschaft. Worüber Mensch nicht redet, das kennt Mensch nicht – oder will es nicht kennen. 

Happy Endings für alle

Stellt euch vor, eine Person wächst in der Realität auf, in einem heteronormativen Märchenland; an einem Ort, an dem scheinbar die gesamte Bevölkerung glaubt, Identität sei ausschließlich ein biologisch vorherbestimmtes Schicksal, Prinzen würden ausschließlich Prinzessinnen küssen (und umgekehrt) und für ein glückliches Leben müsse man auf jeden Fall heiraten, noch besser: Kinder kriegen. Überhaupt solle Mensch aufhören, durchs Land zu reisen und Drachen zu töten, man sei doch nicht eine:r von denen, aber was, wenn doch? Wo finden queere Held:innen Hoffnung auf ihr persönliches Happy Ending, wenn niemand Geschichten davon erzählt? 

Geschichten prägen das menschliche Denken und Selbstbild wie wenig anderes. Sie spielen daher auch eine bedeutende Rolle in der Gewährleistung von Sichtbarkeit und Sicherheit für gesellschaftliche Minderheiten. Daher fordere ich: Erzählt mehr Geschichten, die für alle glücklich enden – Märchen, Filme, Bücher, in denen sich die Protagonist:innen frei entfalten dürfen und als die Person leben können, als die sie sich identifizieren, egal ob als Frau, als Mann oder als non-binäre Person und darüber hinaus. In denen alle Menschen lieben dürfen, wen sie wollen und wie viele sie wollen, unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer Geschlechtsidentität. Mehr Geschichten, die nicht mit dem Kuss der wahren Liebe enden, sondern authentisch vom Leben erzählen und wenn sie nicht gestorben sind, dann lieben sie noch heute (vielleicht eine andere Person) oder haben erkannt, dass sie bestimmte Arten der Anziehungen („Google, erklär mir das Split Attraction Model“) kaum oder gar nicht verspüren und trotzdem ein erfülltes Leben führen können („Google, was ist das Aspec?“). Erzählt mehr Geschichte(n), in der Liebespaare nicht zu Mitbewohner:innen heruntergekürzt, auf allerbeste Freund:innen beschränkt oder zu Cousinen bzw. Cousins erklärt werden, nur um nicht anerkennen zu müssen, dass sich Liebe, Sexualität und Identität auf einem fluiden Spektrum bewegen; sie tanzen auf einem glitzernden Regenbogen, der alle binären Grenzen sprengt. Dieser Regenbogen überspannt das Märchenland unserer Existenz, aber um ihn sichtbar zu machen, muss davon berichtet werden; in Geschichten, in der jede Person mal die Hauptrolle übernimmt und auf ihr Happy End vertrauen kann. 

Unter #QueerOnCampus schreiben Studierende des Queer-Referat der Studierendenvertretung der LMU über LGBTQ+ und andere Themen, die queere Personen im Zusammenhang mit München und dem Studium betreffen. Für die Inhalte sind allein die jeweiligen Autor*innen verantwortlich. Alle Beiträge der Serie hier nachlesen.

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