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#ausgehetzt-Demo: Tausende trotzen dem Wetter

Von wegen ins Wasser gefallen: Zwar meinte es das Wetter weiß Gott nicht gut mit den Demonstrant*innen, dennoch zählte die Polizei mindestens 25 000 von ihnen am Sonntag in München. Die Veranstalter*innen sprechen sogar von 50 000 Menschen. #ausgehetzt, dieser Hashtag war schon Wochen im Voraus das treibende Element einer Demonstration, die sich vor allem gegen eine „verantwortungslose Politik der Spaltung“ der CSU-Spitze richtete. Über 150 Vereine, Parteien, Bündnisse und Verbände aus ganz Bayern unterzeichneten den Aufruf.


Von Franziska Stolz und Thilo Schröder

Samstag, 21. Juli, spätabends vor dem DGB-Haus in München. Ein Mann in Weste und Arbeitshose befestigt ein blau-weißes Plakat unterhalb eines Straßenschilds. Darauf zu lesen: „JA zum politischen Anstand! NEIN zu #ausgehetzt. BAYERN lässt sich nicht verhetzen!“ Die Plakate hängen in ganz München, außerdem wurden Anzeigen geschaltet. Initiiert hat diese kurzfristige Kampagne die CSU. Ortswechsel: Wenige Stunden später, Sonntag um 13 Uhr, am Goetheplatz versammeln sich tausende Menschen, um ihrem Ärger über die Staatsregierung Luft zu machen. Mit Fahnen, Plakaten und Regenponchos ausgerüstet sind sie aus ganz Bayern angereist – und teilweise sogar darüber hinaus.

Das Lied von der Politikverdrossenheit, von der gleichgültigen Jugend und von der auf sich selbst bezogenen Schicki-Stadt München klingt schief an diesem Sonntag. Nachdem bereits im Mai Zehntausende auf die Straßen gegangen waren, um gegen die Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) zu protestieren, fand am 22. Juli die zweite Großdemonstration dieses Jahr in der bayerischen Landeshauptstadt statt. Die Veranstalter*innen und Teilnehmer*innen wollen ein Zeichen setzen gegen den „massiven Rechtsruck in der Gesellschaft, den Überwachungsstaat, die Einschränkung unserer Freiheit und Angriffe auf die Menschenrechte“. Sinnbildhaft für eine Politik der Hetze und Spaltung prangen die Konterfeis von Bundesinnenminister Horst Seehofer, Ministerpräsident Markus Söder und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt (alle CSU) auf den Demobannern.

In den Wochen vor der Demo stiegen die Teilnehmer- und Interessentenklicks der Veranstaltung auf Facebook. Auch die Nervosität der CSU spitzte sich sichtlich zu. Die Stadtratsfraktion der Regierungspartei brach einen Streit mit dem Kammerspieleintendanten Matthias Lilienthal vom Zaun. Die Kammerspiele und andere Münchner Theater hatten mit zur Demonstration aufgerufen. Daraufhin forderte der Stadtrat dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen gegen die Kammerspiele. Sie hätten ihre Neutralitätspflicht verletzt. Zahlreiche Kulturinstitutionen, wie das Volkstheater, das ebenfalls zu den Unterstützern der Demonstration zählt, oder auch das  Residenztheater und das Jüdische Museum, solidarisierten sich mit Lilienthal. Wenn die Debatte um die Neutralität städtischer Institutionen und die Kunst- und Meinungsfreiheit eines besonders tat, war das, mehr Werbung für #ausgehetzt zu machen.

„Das Wetter ist besser als die CSU!“

Der Wettergott hat es nicht gut gemeint mit den #ausgehetzt-Demonstrant*innen. Es regnet am Sonntag in Strömen, die Protestler*innen suchen Schutz in Bushaltestellen, unter Sonnenschirmen und in Restaurants. Erst kurz vor Beginn der Demonstration, die nach dem Goetheplatz noch an drei weiteren Orten Halt machen wird – am Bavariaring, am DGB-Haus und am Karl-Stützel-Platz – versammeln sie sich in der Platzmitte. Beziehungsweise stehen Regenschirm an Regenschirm dicht gedrängt beieinander. Für wenige Minuten öffnet der Himmel vollends seine Schleusen und lässt die Demonstrant*innen wie begossene Pudel zurück. Doch die schütteln sich und ihre durchgeweichten Pappplakate nur kurz und stimmen Fahnen schwingend Sprechchöre an: „Das Wetter ist besser als die CSU!“

© Foto: Thilo Schröder

Menschenströme ziehen durch die Straßen, fluten die Stadt. Die Menge setzt sich aus allen Gruppen der Gesellschaft zusammen. Da sind Schüler*innen, Studierende, Familien mit Kindern und Rentner*innen. Sie alle laufen zusammen mit Vereinen, Parteien, kirchlichen Gruppen und verschiedensten weiteren Organisationen und bekennen sich zu Offenheit, Toleranz und Solidarität. „Bayern bleibt bunt!“ steht auf ihren Schildern geschrieben, „Kein Mensch ist illegal“ und „Souvlaki statt Söder“. Ein massiv in die Privatsphäre der Bürger*innen eingreifendes Polizeiaufgabengesetz, ein Seehofer, der sich sich darüber freut, dass zu seinem 69. Geburtstag 69 Geflüchtete nach Afghanistan abgeschoben wurden, und ein Söder, der das Wort „Asyltourismus“ ausspuckt, während im Mittelmeer Menschen ertrinken, sind nur einige der Manifestationen, an denen die #ausgehetzt-Anhänger*innen die menschenverachtende Politik festmachen, gegen die sie sich wehren wollen.

Zehntausende setzen ein Zeichen

Der Zug mündet am Königsplatz in einer großen Schlusskundgebung. Hier spricht unter anderem Claus-Peter Reisch, Kapitän der Lifeline. Eine Überraschung ist die Rede von OB Dieter Reiter, der sich explizit als Privatperson und Münchner Bürger äußert. Auch Landtagskandidat*innen verschiedener Oppositionsparteien kommen kurz zu Wort. Die Redner*innen fordern eine Rückkehr zu einer menschlichen Politik. Applaus und Jubel hallt zwischen den Gebäuden der Glyptothek und der Staatlichen Antikensammlungen wider. Die Menschenmasse schwenkt vielerlei bunte Fahnen zur Musik von Acts wie 3/4 Blut, Hannes Ringlstetter oder Dicht & Ergreifend. Luise Kinseher tritt als Mama Bavaria auf, außerdem Max Uthoff, Claus von Wagner, Urban Priol und verschiedene weitere Kabarettist*innen.

Da hellt sich der Himmel etwas auf – ein Lichtblick am Ende eines regnerischen Tages. Die Menschen sind für mehr Toleranz, Respekt und Zusammenhalt auf die Straße gegangen. Bayern hat JA gesagt zu einem politischen Anstand, nicht zu jenem der CSU-Plakate, sondern zu einem, wie er auf der Demo gelebt wurde. Friedlich und ohne außergewöhnliche Störungen vollzog sich die Versammlung, die Polizei war sehr zufrieden mit dem Ablauf.

Bildstrecke: So war #ausgehetzt

 

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