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Zwei Stunden Dunkelheit

Ein Besuch im NS-Dokumentationszentrum München.

Knapp sechs Wochen nach Eröffnung des NS-Dokumentationszentrums kann man nicht mehr davon reden, dass der Andrang vor den Schaukästen sehr groß wäre, eher im Gegenteil: nur wenige Besucher schlendern durch die vier Stockwerke des bunkerähnlichen neuen Gebäudes. Unten im Keller, der Bibliothek namens „Lernzentrum“ bin ich neben einem Studenten, der augenscheinlich über Erich Mühsam recherchiert, und einem älteren Herren, der sich ein paar Bücher ansieht, ganz alleine.

Dauerausstellung_innen_Jens_WeberDie Bücher sind nach Themen wie „Weimarer Republik“, „Die Zeit der Räterevolution“ und „Konzentrationslager“ geordnet. Neben bekannten Stimmen wie Kurt Tucholsky, Oskar Maria Graf und Ernst Toller findet man auch ganz spezielle Literatur und Zeitdokumente wie Broschüren zur Judenvernichtung in den verschiedenen ländlichen Gemeinden um München. Von der „Psychiatrie im Nationalsozialismus“ bis hin zu Faksimiledrucken kommunistischer Plakate gegen den Hitlerfaschismus – in diesem stillen Raum ohne Fenster kann man sich über verschiedenste Aspekte der Rolle Münchens als „Hauptstadt der Bewegung“ informieren. „Die Rolle der Kirche“ während der NS-Zeit, Originaldokumente zur Geschichte der Polizei im Faschismus, Biographisches über Adolf Hitler, die LMU während der nationalsozialistischen Herrschaft – und trotzdem wirken die Bücherregale, gerade angesichts der Textflut in den Ausstellungsgeschossen, nur spärlich gefüllt.

Scanner oder Kopierer gibt es nicht, es handelt sich um eine reine Präsenzbibliothek. Dafür kann man sich an virtuellen Arbeitsplätzen Interviews mit Augenzeugen ansehen und mehr über andere Erinnerungsorte in München erfahren. Wem bei der Auseinandersetzung mit völkischem Rassenmord und der als „Schutzhaft“ betitelten Maßnahme gegen politische Querulanten der Appetit nicht vergeht, der kann in einem kleinen Café eine Pause von den Eindrücken der Ausstellung einlegen.

Im Keller wird heute gelesen und studiert – oben auf den Bildern wird stramm national salutiert

Als ich mich an diesem sommerlichen Nachmittag dem Dokumentationszentrum nähere, steht ein Streifenwagen vor dem Eingangsbereich. Ich weiß nicht genau, was passiert ist, erfahre von einem Angestellten nur, es hätte Ärger mit einer älteren Dame gegeben, die fremdenfeindliche Äußerungen auf dem Vorplatz getätigt hätte. Keine schöne Sache, aber an so einem sensiblen Ort wahrscheinlich gang und gäbe.ns-dokumentationszentrum-muenchen-von-suedwesten_Jens_Weber

Nach zwei Stunden Aufenthalt verlasse ich die Ausstellung und stehe plötzlich wieder in grellem Sonnenschein auf dem Königsplatz. Das frische grüne Gras wurde erst nachträglich wieder gepflanzt, die Nationalsozialisten hatten den gesamten Platz für ihre Aufmärsche und Kundgebungen großflächig pflastern lassen. Komisch fühlt es sich an, dieses Verschmelzen von Schwarz-Weiß-Fotografien mit den strahlenden Farben der Wirklichkeit. Eigentlich wirkt dieser Ort heute sogar friedlich, wenn die zahlreichen jungen Leute auf den Steintreppen der Prachtbauten sitzen und lesen oder sich unterhalten, wenn Hängematten zwischen den Bäumen der kleinen Grünanlagen gespannt werden und man sich im Schatten der Bäume ausruht.

 

 

Bis einschließlich Ende Juli kostet der Besuch im NS-Dokumentationszentrum München noch keinen Eintritt. Über Filmvorführungen und Diskussionen kann man sich auf der Homepage https://www.ns-dokuzentrum-muenchen.de/home/ informieren.

 

Fotos des NS-Dokumentationszentrums von Jens Weber.

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