In unserer aktuellen Philtrat-Ausgabe hat sich unser Autor mit dem Thema Organspende auseinandergesetzt. Dazu traf er Professor Bruno Meiser, den Leiter des Transplantationszentrum der LMU München. Das gesamte Interview könnt ihr hier nachlesen.
Philtrat: Herr Meiser, woher kommen die Organe, die am Transplantationszentrum München der LMU transplantiert werden?
Bruno Meiser: Die Organe werden über die zentrale Vergabestelle Eurotransplant mit Sitz in Leiden, Niederlande, den Patienten zugeteilt. Alle Patienten in Deutschland stehen organspezifisch auf einer gemeinsamen Warteliste. Hierbei sind die Allokationsregeln von Organ zu Organ unterschiedlich: Bei Organen, bei den es kein oder nur ein eingeschränktes Ersatzverfahren gibt (Leber, Lunge, Herz) spielt vor allem die Dringlichkeit eine Rolle. Bei der Niere sind es vor allem Erfolgsaussichten und Wartezeit, da alternativ die Dialyse zur Verfügung steht.
Laut einer repräsentativen Umfrage des dimap-Instituts aus dem Jahr 2014 (http://www.bayern.de/mehrheit-der-bayern-zu-organspende-bereit/) lehnt es rund ein Viertel der bayerischen Bürgerinnen und Bürger ab, im Todesfall ihre Organe zu spenden. Rund 16 Prozent der Befragten sind unentschlossen. Woher kommt Ihrer Erfahrung nach diese ablehnende oder unsichere Haltung vieler Menschen in Bayern?
Die Verunsicherung der Menschen in Bezug auf die Organspende hängt vor allem mit zwei Fragen zusammen: „Wird denn wirklich noch alles für mich getan wenn ich ein Organspender bin“. Die zweite Frage bezieht sich auf den Hirntod: „Bin ich dann auch wirklich tot“. Zur ersten Frage kann gesagt werden, dass Ärzte schon alleine aufgrund ihrer Berufsethik dazu verpflichtet sind, immer alles zu tun , um ihren Patienten zu retten. Darüber hinaus hat der behandelnde Arzt überhaupt nichts davon, wenn er einen verstorbenen Patienten der Organspende zuführt. Im Gegenteil, es ist sehr viel einfacher, die Angehörigen zu informieren, dass der Patient tot ist und sie zu bitten, ein Beerdigungsinstitut zu beauftragen als sich der aufwendigen Prozedur zu unterziehen, die mit einer möglichen Organspende verbunden sind. Das fängt mit der Organisation der Hirntoddiagnostik und den sehr zeitaufwändigen Gesprächen an, die mit den Angehörigen geführt werden müssen und hört mit dem Aufwand für die Organentnahme im OP auf. Die Organe, die man dem Toten entnimmt , werden über Eurotransplant an die Patienten verteilt, für die das jeweilige Organ passt und denen es nach der entsprechenden Verteilungsregel zusteht. Die sind in der Regel irgendwo im Eurotransplantraum, aber nicht im eigenen Haus.
Zur Frage, ob ein Patient mit irreversiblem Ausfall aller Hirnfunktionen wirklich tot ist, kann gesagt werden, dass es kein präziseres und genaueres Kriterium für den Tod gibt, als die Feststellung des Hirntodes. Welche Möglichkeiten sehen Sie Unentschlossene, von der Organspende zu überzeugen?
Tod ist in unserer Gesellschaft ein Tabu-Thema, mit dem man sich ungern zu Lebzeiten auseinandersetzt. Große mediale Aktionen mit entsprechenden Plakatierungen oder das Verschicken von Infomaterialien haben nur einen sehr begrenzten Effekt. Ich glaube, dass die Bevölkerung im Grunde genommen sehr viel spendebereiter ist, als häufig angenommen wird. Wenn die Ärzte dann im konkreten Fall ein ausführliches Gespräch mit den Angehörigen führen und diese selbstverständlich nicht drängen, sondern ergebnisoffen erklären, dass mit der Zustimmung zur Organspende fünf oder sechs anderen Menschen ein neues Leben geschenkt werden kann, kann dies nicht nur überzeugen, sondern auch einen tröstenden Effekt haben. Und das trotz des für sie in dieser Situation schwer begreiflichen Todes ihres Angehörigen. Hierzu ist es aber notwendig, dass die Kollegen in den Krankenhäusern motiviert und geschult sind, entsprechende Gespräche zu führen.
Was könnte die Gesundheitspolitik tun, damit mehr Menschen sich bereit erklären, nach dem Tod ihre Organe zu spenden?
Zum einen bedarf es einer verbesserten Ausbildung der Ärzte in diesem Bereich. Insbesondere die Facharztausbildung in den betroffenen Spezialitäten wie Anästhesiologie, Intensivmedizin, Neurochirurgie oder Neurologie sollte sich des Themas verstärkt annehmen. Darüber sollten die Transplantationsbeauftragten in den Kliniken für die mit dieser Aufgabe verbundenen Zusatzarbeiten adäquat vergütet werden. Das sind die Menschen auf den Intensivstationen, die die entsprechenden komatösen Patienten identifizieren, der Hirndiagnostik zuführen, nach Feststellung des Hirntodes die Gespräche mit den Angehörigen führen und gegebenenfalls den Prozess der Organspende einleiten und begleiten. Das bedeutet eine ganze Menge Arbeit – zusätzlich zum eigentlichen Tagesjob.
Was halten Sie von einem Gesetz, dass es zur Pflicht macht, einen ausgefüllten Organspendeausweis – egal, wo das Kreuzchen gesetzt ist – bei sich zu führen?
Zunächst einmal gibt es in fast allen Ländern um uns herum die sogenannte Widerspruchslösung. Dies bedeutet, dass jeder, der zu Lebzeiten nicht widersprochen hat, ein potentieller Organspender ist. Selbstverständlich werden auch in diesen Ländern bei nicht vorliegendem Widerspruch die Angehörigen angesprochen. Sie werden aber nicht nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen befragt, sondern nur gebeten, das stille Einverständnis ihrer Angehörigen zu bestätigen. Es gibt allerdings auch Länder, in denen man sich zu Lebzeiten zum Thema Organspende äußern muss. In diesem Fall wäre bei uns zunächst einmal eine ausführliche Aufklärungskampagne nötig, um nicht das Risiko einzugehen, dass viele Leute auf Grund fehlender Information und um nichts falsch zu machen »Nein« ankreuzen. Im Prinzip wäre es besser, wenn tatsächlich die Zahl derjenigen, die freiwillig einen Organspendeausweis mit sich führen, gesteigert werden könnte. Leider sind das nach wie vor nur ca. 8-10 % der Menschen in Deutschland.
Aus Ihrer Erfahrung im öffentlichen Diskurs: Steht man seitens derer, die mit Organspende und -transplantation zu tun haben, eigentlich in dem Verdacht, „pro Organspende“ zu missionieren?. Wie ist den Hinterbliebenen in einer solchen Situation zu begegnen? Wie gelingt der heikle Spagat zwischen freier Meinungsentscheidung seitens der Angehörigen und dem Wissen um den immensen Bedarf an Spenderorganen?
In der Regel haben die Menschen, die explizit nicht spenden wollen, dieses zu Lebzeiten kundgetan oder auf einem entsprechenden Spenderausweis vermerkt. In Fällen des fehlenden Spenderausweises müssen die nächsten Angehörigen nach den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen entscheiden. Hier liegt das Dilemma, denn darüber haben sie sich in den meisten Fällen nie unterhalten. Die ärztliche Aufklärung der Angehörigen zu Hirntod und Spende muss, wie oben bereits erläutert, ergebnisoffen sein. Dabei sollte den Angehörigen einfühlsam klar gemacht werden, dass der Betroffene unwiederbringlich verstorben ist und mit der Entscheidung zur Organspende mehreren Menschen ein neues Leben geschenkt werden kann. Es darf aber keinesfalls Druck ausgeübt werden, letztendlich bleibt es den Angehörigen überlassen, für welchen Weg sie sich im Sinne des Verstorbenen entscheiden.
Illustration: Bernhard Hiergeist