Stationentheater als Trauerspiel. Die Theatergruppe der Romanistik teat.Rom um Valerie Kiendl und Claudia Kiessl führt ein letztes Mal durch das Haus in der Ludwigstraße 25. Adaptiert wurde das Theaterstück Luces de Bohemia von Ramón de Valle Inclán, die wohl beste Wahl für das Gebäude und die vielsprachige Truppe. In den letzten Semesterwochen wurde an fünf Abenden Abschied genommen.
Es beginnt ganz bescheiden in diesem einen Kämmerlein, da oben unter dem Dach. Diese zwei, drei Zimmer, die man in der ersten Vorlesungswoche nie findet. Die mit den Schrägen, wo es im Sommersemester immer so heiß ist. Ja, genau die. Niemand weiß so genau, was man zu erwarten hat. Geduldig hört man die Erklärung an, jedes Mal, wenn das Glöckchen bimmelt, wird der Raum gewechselt.
Das Stück selbst handelt von Max, dem letzten Magister, der sich dem wissenschaftlichen Fortschritt nicht anpassen will und die geplante neue philologische Bibliothek sabotieren möchte. Es wird mit den Klischees über den überlegenen Magister, den strebsamen Hipster-Bachelor-Studenten und so manchem Insider-Witz über das Lehrpersonal gespielt. Mit Untertiteln wurde das Stück in verschiedenen romanischen Sprachen vorgetragen.
Die erste Szene ist noch so ungefähr das, was man von einem Studententheater erwartet. Ein bisschen steif, ein bisschen hochtrabend. Aber irgendwann beginnt sich die Atmosphäre radikal zu verändern. Die Zuschauer spüren die Veränderung. Den einen Moment, der alles aufgelöst. Zumindest die Zuschauer, die in der „Ludwig 25“ bereits Kurse besucht oder gehalten haben. Der eine Augenblick, wenn die eigenen Erinnerungen an das Gebäude die Hauptrolle spielen.
Bei mir ist es passiert, als wir in dem Raum saßen, in dem ich meinen ersten Italienischkurs an der Uni hatte. Auf einmal war es fast unwichtig, was gespielt wurde, es war, als würde man die Erinnerungen an das Haus einatmen. Begreifen, wie unwichtig man selbst für diese große Wissensmaschine aus Ziegeln und Glas ist. Egal ob Erstsemester oder Langzeitstudent, dieses Haus ist für jeden vorurteilsfrei offen.
Und nun, gefühlt das erste und einzige Mal, sind die Studenten für dieses Gebäude da. Die Inszenierung zeigte die Ludwig 25 in ihrer vollen Pracht und Hässlichkeit. Die Dialoge waren hin und wieder nicht wirklich überzeugend, aber oft genug funktionierte es und dann hatte die Inszenierung eine Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit, wie man sie selten im Theater findet.
Nach jedem Bimmeln des Glöckchens wanderte das Publikum von einem Raum zum anderen und ließ sich trotz der kurzen Unterbrechungen immer wieder neu verzaubern.
Die letzte Szene spielt in der Bibliothek. Max gibt erschöpft auf; er kann nicht mehr so weitermachen, ähnlich wie das Gebäude. Nach und nach verwandelt sich die Szenerie in einen Friedhof, Kreuze schweben von der Empore hinunter. Es ist ein Abschied für immer. Wie bei jedem Abschied schwingt darin eine gewisse Bitterkeit mit, doch der Humor des Stückes und die Magie des Abends machen den Abschiedsschmerz bittersüß.
Nun beginnt die Entkernung der Ludwigstraße 25 und das Gebäude wird in Zukunft eine große philologische Bibliothek enthalten, die die sprach- und literaturwissenschaftlichen Teilbibliotheken in sich aufnimmt. Die Romanistik zieht zunächst einmal in die Schellingstraße 33 um, ein ehemaliges Bestattungsinstitut – mit einem traurig-zynischen Lächeln auf den Lippen.
Philtrat dankt Mario Steigerwald einmal mehr für seine wunderbaren Bilder!