Nach anfänglichem Aufruhr wurde es immer stiller um #aufstehen. Naht bereits das Ende einer Protestbewegung, bevor diese überhaupt an Schlagkraft gewinnen kann? Oder laufen im Hintergrund Prozesse ab, die erst öffentlich werden sollen, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist?
Von Lisa Rubin
Anfang 2017 sprach ganz Deutschland vom „Schulz-Effekt“. In seinen damaligen Reden forderte der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz wiederholt mehr soziale Gerechtigkeit. Damit sprach er vielen aus der Seele, die sich nach einer Antwort sehnten auf den zunehmenden Rechtsruck in der Gesellschaft und soziale Ungerechtigkeiten. Die SPD gewann zeitweise massiv an Zustimmung, vor allem unter jungen Menschen. Es fehlte aber an der konkreten Umsetzung der Forderungen und so war der Schulz-Effekt bald verpufft. Als nach der Bundestagswahl 2017 dann die Große Koalition beschloss, ihre Arbeit nahezu unverändert fortzusetzen, war der Frust im linken Spektrum groß.
Ein Jahr später keimte erneut Hoffnung auf. Am 4. September stellten die Linken-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht, die Grünen Politikerin Simone Peter, der Dramaturg Bernd Stegemann und weitere in Berlin eine neue Bewegung vor. Unter #aufstehen sollte eine linke Sammlungsbewegung entstehen, um enttäuschte (Nicht-)Wähler*innen zusammenzubringen und einen Gegenpol zur erstarkenden Rechten zu bilden. Deutschland sollte Ländern wie Großbritannien mit der Bewegung Momentum oder den USA mit Our Revolution folgen und eine Massenbewegung gründen.
Kampfansage an den neoliberalen Mainstream
Die Bewegung schien zunächst Erfolg versprechend. Mehr als 160.000 Menschen registrierten sich in den ersten 100 Tagen auf der Onlineplattform. Von Wagenknecht und anderen ging eine Idee aus, die neben der Linken auch Wähler*innen der Grünen und der SPD ansprechen sollte. Zentrales Anliegen sei es, der sozialen Spaltung im Land entgegenzuwirken. So müsse man sich konkreter um die Sicherung des Friedens, bezahlbare Mieten und den Umweltschutz kümmern.
In den Medien war #aufstehen von Anfang an umstritten. Der Tenor: Eine Bewegung müsse von der Basis kommen, Wagenknecht spalte ihre Partei und suche nur nach Unterstützer*in-nen für ihre Position zur Einwanderungspolitik. Die Mitbegründerin der Bewegung entgegnete, dass bei #aufstehen die Migrationspolitik eben nicht im Vordergrund stehe. Vielmehr sei die Bewegung eine Kampfansage an den neoliberalen Mainstream.
Auch AfDler*innen fühlen sich davon angesprochen. Bis zu 100 Unterstützer*innen hätten angegeben, AfD-Mitglied zu sein, sagte die Linksfraktionschefin im Dezember vergangenen Jahres. Ihnen werde nahegelegt, die Parteimitgliedschaft aufzugeben, „weil das mit dem, was in unserem Gründungsaufruf steht, nicht vereinbar ist“. Deutlich größer sei die Überschneidung mit möglichen Wähler*innen der Partei. „Das sind ja nicht nur Hardcore-Rassisten, sondern viele Leute, die wütend sind, denen es nicht gut geht“, sagte Wagenknecht. „Wir wünschen uns, sie für #aufstehen zu gewinnen.“
Gibt es bald eine #aufstehen-Partei?
Nach der Registrierung wurden Interessierte über Social Media miteinander vernetzt. Zahlreiche Facebook-Gruppen entstanden, in denen sich die Mitglieder regional organisierten und an ersten #aufstehen-Treffen teilnahmen. Bei einer solchen Zusammenkunft zählte man in München 500 Teilnehmende. Mittlerweile, heißt es, seien etwa 2000 Münchner*innen bei #aufstehen registriert. Nach der Anfangsphase begannen Mitglieder, sich auf diversen Demonstrationen und Kundgebungen zu zeigen. Sie riefen unter anderem die eigene Kampagne „Würde statt Waffen“ ins Leben, zu der bundesweit einige Aktionstage stattfanden.
Inzwischen ist es zwar ruhiger um die Bewegung geworden, verschwunden ist sie aber nicht. Auf regionaler Ebene werden Ideen entwickelt und Aktionen geplant. Kommenden Sommer soll eine Führung gewählt werden. Was als Bewegung begonnen hat, scheint sich immer mehr einer Parteistruktur anzunähern. Die Frage nach einer #aufstehen-Partei steht sogar schon im Raum. Wagenknecht, die dies ablehnt, ist inzwischen nicht mehr Teil der Führungsriege.