Kulturphilter

Virtuelle Erinnerungsorte: „Departure Neuaubing“ und „Forced Abroad“

Wir alle sind uns einig: So etwas wie das Dritte Reich darf sich nicht wiederholen. Doch wie kann die Erinnerung wachgehalten werden, wenn Zeitzeugen aussterben? Vor diesem Problem stehen nicht nur Gedenkstätten und Kultureinrichtungen, sondern auch Bücher, Filme und digitale Medien.

Paintbucket Games, Forced Abroad. Tage eines Zwangsarbeiters, 2022, Still, Visual Novel, Illustration: Barbara Yelin | © Courtesy of the artist

Von Marlene Beilharz.

Wenn es sich um popkulturelle Formate wie Computerspiele handelt, sind Diskussionen vorprogrammiert. Dabei gibt es gerade im Bereich der digitalen Spiele einige sehr gelungene Beispiele für Erinnerungskultur. Das NS-Dokumentationszentrum in München hat im Januar die interaktive Web-App Departure Neuaubing vorgestellt, die die Geschichte der Zwangsarbeiter*innen in Europa erzählt. Im Rahmen dieses digitalen Geschichtsprojekts findet sich neben interaktiven Karten, dokumentarischem und künstlerischem Material, auch die Visual Novel Forced Abroad des Entwicklers Jörg Friedrich, der bereits mit Through the Darkest of Times, einem Spiel über den zivilen Widerstand in Berlin, große Erfolge verzeichnen konnte.

Die Visual Novel basiert auf Aufzeichnungen des Zwangsarbeiters Jan Bazuin. Die App, die kostenlos für Smartphone und Tablet verfügbar ist, lässt User*innen an Jans Schicksal aktiv teilhaben. Die Spieler*innen können den Verlauf des Games durch ihre eigenen Entscheidungen beeinflussen und erfahren dadurch etwas über mögliche historische und persönliche Handlungsspielräume: Sie müssen sich entscheiden, aufzugeben oder die schlimmen Zustände auszuhalten. Durch die partizipativen Angebote wird die Geschichte der Zwangsarbeit erfahrbar und auch einem jüngeren Publikum zugänglich gemacht. 

Erinnerungskultur in Computerspielen 

Die Spielentwickler*innen stellen sich der besonderen Herausforderung, Geschichte erlebbar zu machen, ohne die Würde der Opfer zu verletzen oder Missbrauch zu ermöglichen. Die Illustrationen von Barbara Yelin verfremden die Realität, machen sie für ein junges Publikum konsumierbarer und erzählen die Begebenheiten, ohne zu traumatisieren. Auf eine NS-Ästhetik wird verzichtet, auch die Täterperspektive ist selbstverständlich nicht spielbar. Der sensible Umgang mit dem Thema ist bei der Schilderung einer Opferperspektive essenziell. Bei diesem Projekt geht es nicht in erster Linie darum, die NS-Zeit darzustellen, sondern an ein Einzelschicksal zu erinnern. Das glückliche Ende der Freiheit kann nur über die aktive Teilhabe an Jans Leidensweg erreicht werden. Die Angst, die die Opfer durchleben mussten, wird hier ein Stück weit erfahrbar. Da es sich um eine wahre Geschichte handelt, ist die Freiheit der User*innen zwar eingeschränkt, dafür sind sie aber durch das Game-Design besonders involviert und erhalten einen tiefen Einblick in die Gefühlswelt des Protagonisten.

„Departure Neuaubing“ ist meiner Meinung nach ein gelungenes Projekt, um partizipatives Lernen zu fördern, und insbesondere ein junges Publikum anzusprechen und anzuhalten, sich genauer mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ihres Landes auseinanderzusetzen.   

 

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