Kulturphilter

Shakespeares „Richard III“ zeigt kompromisslos das Böse im Menschen

Zu Beginn und am Ende das gleiche Bild: Ein Mann wird von hinten erdolcht, windet sich unsäglich lange voller Schmerzen und sinkt schließlich zu Boden. Ein „Amen“ ganz zum Schluss – ist das die Erlösung? Die Frage bleibt offen. Von einer Katharsis nach aristotelischem Vorbild, der Wiedererlangung einer „reinen Seele“ im Wege des Mitleides, der Anteilnahme am Scheitern der Protagonisten kann bei „Richard III“ jedenfalls keine Rede sein.

Norman Hacker (Richard III) © Matthias Horn

Von Ilya Portnoy

Bekanntlich kann man umso tiefer fallen, je höher man steigt. Richard will zweifellos von Anfang an ganz nach oben – der königliche Thron ist ihm eine Verlockung sondergleichen. Doch er wird den ganzen Abend über am Abgrund bleiben. Er hängt dort seit der ersten Sekunde fest und man weiß, dass er sich aus dieser Lage nicht mehr wird befreien können. Körperlich missgestaltet (auch wenn das bei dieser Inszenierung unter zu gehen scheint), allseits verstoßen, gar verflucht – man kann sich einfach nicht vorstellen, dass eine so gebrandmarkte Gestalt jemals die Mittel finden wird, ihre Ziele umzusetzen.

Richard ist nicht zum Scheitern verurteilt, er ist schlicht von Anfang an eine gescheiterte Persönlichkeit. Doch dabei fest entschlossen, sich durch den Dreck zu wühlen, über Leichen zu gehen und entlang der Thronfolge absolut jeden aus dem Verkehr zu räumen, der ihm den Weg zur Krone versperrt. Dabei tritt er auf wie ein entarteter Macbeth. Dieser steht neben ihm fast schon da wie ein Schuljunge. Was geboten wird, ist ein Ekelpaket, eine Kreatur, die fertig ist mit der Welt – und die Welt mit ihm. „Weil ich den Liebhaber nicht spielen kann, hab ich beschlossen, hier den Dreckskerl aufzuführn.“

Manchmal kann er einem schon leidtun, dieser Richard, wenn er von seiner Verzweiflung erstickt nur ein schwaches Krächzen auszuspucken vermag. Der Schein trügt: In der Verzweiflung liegt eine Entschlossenheit, die seiner scheinbaren Ausweglosigkeit geschuldet ist. „Der Mensch geht manchmal unbedacht zu Werk“, so steht Richard zu seinen eigenen Taten. Von Reue ist hier keine Spur.

v.l. Marcel Heuperman (Catesby), René Dumont (Clarence), Philip Dechamps (Zweiter Mörder) © Matthias Horn

Das Werk Shakespeares trägt im Kern einige Gewissensfragen mit sich. „Worauf kannst du noch schwören?“, fragt Königin Elisabeth (Hanna Scheibe), als der Spuk fast schon vorbei ist. Richard weiß darauf kaum eine Antwort zu finden, er kommt fast schon in Verlegenheit. Schließlich wählt er die Zeit, die vor uns liegt als Objekt seines Schwurs. Doch auch diese weiß nichts Gutes zu versprechen.

Norman Hacker trägt die Rolle des machtsüchtigen Dämons überzeugend vor. Was fehlt, ist jedoch eine Differenzierung dieser Rolle: Man wünscht sich einen Richard, der eine Krise durchmacht, welche ihn allmählich zum Fall bringt. An einer Figuar, die schon vor Beginn des Stücks in ein abgrundtiefes Loch gestürzt ist, kann aber keine solch wirksame Modellierung vollzogen werden. Diese würde aber den Spannungsgehalt erheblich steigern.

Die anderen Charaktere scheinen Richard jedenfalls nur wie Schatten zu folgen: Sie treten selten in den Vordergrund und können sich nur durch eine geringe Trennschärfe auszeichnen. Lediglich Catesby (Marcel Heupermann), das ewige Werkzeug Richards, bringt eine gewisse Komik ins Geschehen. Zwar lässt er seinen Opfern stets ein letztes Wort, mit einem monotonen „Bla bla bla“ erstickt er sie aber im Keim. Den Damen kommen schwache Rollen zuteil: Manch eine bewegt sich mit Krücken aus Schwertern voran – ein Zeichen der verlorenen Macht. Probleme werden mit krächzenden Stimmen vorgetragen. So richtig zuhören will man dabei nicht.

v.l. Hanna Scheibe (Königin Elisabeth), Norman Hacker (Richard III) © Matthias Horn

Optisch wird dem Publikum gezielt wenig geboten: Die Bühne zeigt eine Art großen Raum in einem Turm, abseits der Realität. Der Boden ähnelt einem Aschehaufen, aus dem die Akteure wie aus dem Grabe auferstehen, nur um an selber Stelle später leblos herabzusinken. Es dominieren schwarz und weiß. Als Kontrast dient einzig eine rote Plastiktüte, benutzt als universelle Tatwaffe sowie das Blut, das an den Händen der Mörder auf ewig kleben bleibt. Leicht blutunterlaufene Augen runden diese Liste der wenigen Farbakzente ab. Freunde der Effekthascherei kommen nicht auf ihre Kosten.

Letztlich bringt „Richard III“ am Residenztheater keine weltbewegenden Erkenntnisse. Wer sich hier mit auf die Reise begibt, wird einen Abend lang in die Welt des kompromisslos Bösen eintauchen. Herzenswärme und Farben wird man lange doch erfolglos suchen. Was bleibt, ist die Frage: Ist das wirklich die Erlösung?

Kommende Aufführungen von „Richard III“ im Residenztheater: 7./8./30./31. Januar & 25./26. Februar. Regie führt Michael Thalheimer.

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