Glühwein, Lebkuchen und Kino: Das Cineplex Neufahrn lud mit dieser Kombination zu einer vorweihnachtlichen Sneak ein. „The Peanut Butter Falcon“ erzählt die Geschichte von Zac und Tyler, die verschiedener nicht sein könnten, aber eines gemeinsam haben: Sie sind auf der Flucht.
Von Gözde Çelik
Zac (Zack Gottsagen) hat genug vom langweiligen Leben im Seniorenheim. Denn eigentlich gehört er da gar nicht hin. Er hat das Down-Syndrom und niemanden der auf ihn aufpassen kann, weswegen das überforderte und unterfinanzierte System ihn zwischen alten Leuten und hinter vergitterten Fenstern platziert. Ein Umstand, den seine engagierte Betreuerin Eleanor (Dakota Johnson) durch viel Fürsorge zu mindern sucht. Das hilft Zac aber nicht weiter. Schließlich ist es sein größter Traum, Profi-Wrestler zu werden, genau wie sein Idol Saltwater Redneck.
Die Videokassette, auf der dieser für seine Wrestling-Schule wirbt, hat Zac schon hunderte Male gesehen, und leider hat er auch fast ebenso viele missglückte Fluchtversuche hinter sich. Bis die Flucht durch die Gitterstäbe eines Tages mit der Hilfe seines Zimmergenossen Carl und einer Menge Schmiermittel doch gelingt und Zac plötzlich zwar nackt bis auf die Unterhose, aber frei die Welt da draußen erkunden kann. Sein Ziel ist natürlich Saltwater Rednecks Schule, mit Eleanor, die ihn finden soll, dicht auf seinen Fersen.
Auf der anderen Seite steht Tyler (Shia LaBoeuf). Ein kleinkrimineller Fischer, der sehr unter dem Verlust seines großen Bruders leidet. Nun hat er es sich auch noch mit einer Gruppe an gefährlichen Männern verscherzt und befindet sich, immerhin mit mehr Kleidung am Körper als Zac, genau wie selbiger auf der Flucht.
Unerwartete Freundschaft zwischen Bootsbau und Lagerfeuertanz
Der Film von Tyler Nilson und Michael Schwartz (Drehbuch und Regie) bietet das perfekte Setting, um diese zwei Menschen aufeinander treffen zu lassen. Die Hauptdarsteller*innen überzeugen mit einer tollen Schauspielleistung und verkörpern ihre drei so unterschiedlichen Charaktere auf sehr mitnehmende Weise.
Vor allem beeindruckt die Darstellung der brüderlichen Verbindung zwischen Zac und Tyler, die zwar unterschiedlich sind, aber den jeweils anderen brauchen, um die folgende Reise zu schaffen. Eine unerwartete Freundschaft entsteht und das Publikum schlägt sich schnell auf die Seite der beiden Systemsprenger, die eigentlich nur frei sein wollen.
Untermalt von sanfter Folk Musik und in einem Setting, welches sehr stark an Tom Sawyer und Huckleberry Finn erinnert, schlagen sich die beiden durch Felder, bauen Boote, segeln dem Sonnenuntergang entgegen und tanzen ums Lagerfeuer herum. Diese völlige Abgeschiedenheit von Handys, Behörden und sonstigen Strukturen, die den Alltag ausmachen, fasziniert und nimmt eine*n schnell in ihren Bann.
Potential zu mehr weiblicher Tiefe
Natürlich lässt die unvermeidliche Liebesgeschichte zwischen der mittlerweile mehr als verzweifelt suchenden Eleanor und dem nach und nach auftauenden Tyler nicht auf sich warten. Sie stellt einen zwar vorhersehbaren – wobei Vorhersehbarkeit nicht negativ sein muss –, aber relativ süßen Aspekt dar.
Tylers zum Teil fragwürdige und machohafte Anmachsprüche tun dem lediglich einen Abbruch. Sie bedienen das Klischee des „Bad Boy“, welcher zu Beginn den Verwegenen spielt, bis die Dame seines Herzens zum verletzlichen und sensiblen Part seiner Persönlichkeit vorgedrungen ist. Ein Konzept, welches, wenn es nicht bemüht worden wäre, dem Film sicherlich keinen Abbruch getan hätte.
Auch wäre es spannend gewesen, mehr über Eleanor zu erfahren, die ebenso wie Tyler, vom Verlust einer geliebten Person geplagt ist und nun versucht, in einem mangelhaften, amerikanischen Sozialsystem ihr Bestes zu geben. So bleibt sie an vielen Stellen ohne aktive Handlung und stellt häufig eine „nörgelnde“, auf Regeln bedachte Person dar, die nur mal entspannter sein sollte.
Vor dem Höhepunkt des Filmes ist sie sogar im wahrsten Sinne des Wortes „in Handschellen“, hat aber auch Ausbrüche, die ihre charakterliche Tiefe zeigen. Sie repräsentiert eines der wichtigsten Motive des Filmes und zugleich ein Dilemma, welches sich auch außerhalb der USA durch das Sozialsystem zieht heraus.
Hilflosigkeit und Idealismus in ungerechten Strukturen
Eleanor spricht an, dass zwar auch sie das System, in dem Zac gefangen ist, „scheiße“ findet, es aber nicht geschaffen habe. Sie versuche lediglich, darin so zu agieren, dass das Bestmögliche herauskommt. Diese Problematik ist mit ihr auf eine schöne Weise verkörpert und zeigt die Schattenseiten auf, wenn es um die Versorgung der Menschen geht, die aus dem Raster der etablierten Versorgungsstrukturen fallen.
Zacs ehemaliges Leben im Altersheim porträtiert auf anschaulich kritische Weise, wie sehr Zac unter einem System leidet, das ihn lieber ruhig und unauffällig verwahren möchte. Eleanor ist in dieser Konstellation eine Person, welche die Hilflosigkeit aufzeigt, die mit der Ausführung dieser Strukturen einhergehen kann.
Aber wann hört Vernunft und die bloße, nachvollziehbare Notwendigkeit, eine Existenz zu haben und den Job nicht zu verlieren, auf? Hört sie überhaupt auf? Idealismus fordert schließlich häufig einen hohen Preis und der Film nimmt eine*n mit seinen herzerwärmenden Momenten der Abgeschiedenheit und auch der Liebe zwischen den dreien auf eine Weise mit, dass der Wunsch aufkeimt, die Schwere der Gesellschaft möge sie bitte nie einholen.
Was nach diesem zur besinnlichen Zeit am 16. Dezember sehr passenden Film bleibt, ist der süße Nachgeschmack der Lebkuchen, das Bedürfnis in einen See zu springen, frischen Fisch mit Erdnussbutter zu essen und endlich mal wieder idealistischer zu sein.
„The Peanut Butter Falcon“ (USA, 93 Minuten) kam am 19. Dezember 2019 in die deutschen Kinos.