Zwei Studenten gründen den ersten Bioladen Münchens, der auf einem Mitgliedschaftskonzept basiert. Es verspricht vor allem, dass Bioprodukte für alle bezahlbar werden (auch für Studierende). Den Jungs geht es aber um mehr als Lebensmittelpreise. Wenn sie von ethischen Werten und tierfreundlichen Bauernhöfen sprechen, hat das nichts mit verklärten Weltverbesserungsträumen zu tun – nur mit realistischen.
Von Lilly Brosowsky
An den Erdbeeren perlt noch der Tau ab, die Äpfel sind knackig, wie gerade vom Baum gepflückt und der selbstgebackene (vegane und glutenfreie) Kuchen schmeckt fantastisch. Frisch aufgebrühter Kaffee dampft in den Tassen. Um uns rauscht der Wind durch die Bäume, ansonsten hört man wenig. Der klapprige, weiße Tisch, an dem wir sitzen, könnte idyllisch im Obstgarten eines Bauernhofes stehen – dabei sind wir mitten in München. Der ÖkoEsel bildet nahe des betriebsamen Rotkreuzplatzes eine Oase, in der man sich entspannt über Lebensmittel und ihre Herstellung, Tierethik, oder auch einfach nur über den leckeren Kuchen unterhalten kann. Dem ÖkoEsel-Team, bestehend aus Hannes, Konstantin und Kathi, ist der persönliche Austausch und die dadurch entstehende gegenseitige Inspiration wichtig. Sie lässt sie nicht vergessen, warum es sich lohnt, so viel Zeit, Mühe und Herzblut in ihr Projekt zu stecken. Denn was man der Hofladenidylle auf den ersten Blick nicht ansieht, ist, dass dahinter Berge von Papierkram und viel Arbeit stehen. Seit Hannes und Konstantin den ÖkoEsel gegründet haben, arbeiten sie jeden Tag zwischen Studium und Nebenjobs an ihrem Projekt. Profit machen sie damit keinen, was sie stattdessen antreibt, ist vielleicht ein Zeichen zu setzen, einen Stein ins Rollen zu bringen, im Blick auf das Ganze im Kleinen etwas zu ändern.
An der Kasse hängt ein Zitat von Henri Lefebvre (marxistischer Soziologe): „Den Alltag verändern, das ist eine Revolution.“
Die Idee zu dem Laden hatte Hannes, der das Konzept während seines Studiums in Marburg beim Mitgliederladen Onkel Emma kennengelernt hat. Konstantin schreibt seine Masterarbeit in Philosophie über Tierethik und Kathi hat dieses Jahr auf einigen Biobauernhöfen in Südafrika gearbeitet. So fließt von allen Seiten einiges an Wissen und eigenen Ansprüchen in das Projekt. Sie haben sich vorgenommen, der Nahversorgung den Profitdruck zu nehmen. Qualität statt Produktüberflutung, Transparenz statt Überblendung zu schaffen. Deshalb veröffentlichen sie auf ihrer Website die Preisunterschiede. Die Mitglieder können sehen, wo die jeweiligen Produkte herkommen und mitbestimmen, welche Produkte angeboten werden sollen. „Was zu so einem Projekt dazugehören sollte, ist aufzuklären, wie unsere Versorgung funktioniert, gerade in der Stadt, wo die Distanz so groß ist, dass bei den meisten Leuten gar keine Nähe mehr zur Produktion besteht“, sagt Konstantin. Um dem entgegenzuwirken, organisieren sie Ausflüge zu den Bauernhöfen, von denen sie ihre Produkte beziehen. „Das passt zu der Idee, dass wir die Mitglieder mehr in die Organisation ihrer Lebensmittel miteinbeziehen wollen. Da ist es ganz entscheidend, dass sie mal sehen, wo ihre Lebensmittel herkommen“, ergänzt Hannes.
Im Mai ging es zum Seepointerhof in Tiefenbach, der „Bruderhahneier“ an den ÖkoEsel liefert. Dieses Konzept nennt man auch „Eier vom Zweitnutzungshuhn“. Dabei werden die männlichen Küken trotz des geringen Gewinns für die Fleischproduktion mitaufgezogen. Was ungewöhnlich ist, denn normalerweise stellen die männlichen Küken, so drastisch es klingt, das „Abfallprodukt“ der „Legehuhnproduktion“ dar. Selten werden sie an Zoohandlungen verkauft, aller meistens werden sie direkt nach dem Schlüpfen „vernichtet“ bzw. weiterverarbeitet – das heißt vergast oder geschreddert. Zynisch nennt man sie daher auch „Eintagsküken“. Bruderhahneier sind ein gutes Beispiel dafür, dass bei der ökologischen Lebensmittelproduktion oft eine ethische Komponente hineinspielt, findet Konstantin.
Im ÖkoEsel steht daher Lebensqualität für die Verbraucher, ebenso wie für die Hersteller und die Nutztiere im Mittelpunkt
Angst vor Missionierung zum Vegetarier, oder gar Veganer, muss aber niemand haben – im ÖkoEsel geht es ganz entspannt zu. Das Team kennt Hofladen-mäßig alle Mitglieder beim Namen, reicht das Geld mal nicht, lässt man einfach anschreiben. Und anders als bei der Fließbandabfertigung an so mancher Supermarktkasse quatschen sie gerne mit jedem und nehmen sich Zeit für eine Beratung beim Einkauf. Wer sich dafür interessiert, wo seine Lebensmittel herkommen und unter welchen Bedingungen sie produziert werden, kann dabei natürlich einiges erfahren. Denn das ÖkoEsel-Team weiß nicht nur viel über die Eierproduktion, sondern über das gesamte Sortiment. Die Händler der Produkte, die nicht aus der Umgebung kommen, werden von ihnen genau unter die Lupe genommen. Dabei achten sie auf verschiedene Kriterien. In erster Linie sind das natürlich der ökologische und saisonale Anbau, wichtig sind ihnen aber auch ethische Werte wie der faire Handel und die Haltung der Nutztiere. Und durch die enge und persönliche Zusammenarbeit mit den regionalen Händlern wie dem Tagwerk und den Lieferanten der Bauernhöfe, wissen sie ganz genau, wie die Produkte, die sie in ihrem Laden verkaufen, hergestellt werden.
Für die Zukunft haben sie noch einiges geplant: Vorerst eine größere Ladenfläche, um mehr Mitglieder aufnehmen zu können. Und danach: „Was ganz cool wäre, das macht so ein Riesenladen in New York, dass die Leute ein paar Stunden im Monat mitarbeiten, statt einen Mitgliederbeitrag zu zahlen“, meint Hannes. Das ist in Deutschland allerdings rechtlich kompliziert und bevor es so weit ist, warten neue Berge Papierkram auf sie.
Was sie aber schon erreicht haben, ist, ein bisschen ländlichen Flair nach München zu transportieren und so die Leute aus ihrem Viertel zusammenzubringen. Mit kritischer, prospektiver Substanz tragen sie neben Lifestyle-Bloggern und Hanfmilchcappucino-Trinkern ihren Teil dazu bei, den verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln ins Bewusstsein zu rücken.
Mitgliederladen – so funktioniert’s:
Die laufenden Kosten (Lieferung, Lagerung, Miete und Lebensmittelschwund) werden über einen monatlichen Mitgliederbeitrag gedeckt, der regulär zwischen 10 und 15€ beträgt, aber auch nach Selbsteinschätzung gezahlt werden kann, weil es im ÖkoEsel auch um ethische Werte wie Solidarität geht. Wegen des Beitrags und weil das ÖkoEsel-Team ehrenamtlich für das Projekt arbeitet, werden die fair gehandelten Bioprodukte fast zum Einkaufspreis angeboten und für alle bezahlbarer.