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Junge Träume

Not Fade Away und die verlorenen Seelen des Rock ’n’ Roll

 „It’s better to burn out, than to fade away“ heißt es in einem Song von Neil Young und tatsächlich scheinen damit die Alternativen für einen echten Rocker abschließend beschrieben: Entweder man verglüht leibhaftig wie Hendrix, Joplin und Cobain oder man heißt Keith Richards und steht als eine zum Leben erwachte Mumie mit 70 noch auf den Stadionbühnen dieser Welt. Doch gibt es einen dritten Weg, von dem nur hinter vorgehaltener Hand erzählt werden darf. Diesem Weg widmet sich der Film „Not Fade Away“ von David Chase, der auf dem Filmfest München zum ersten Mal in deutschen Kinos lief.

Zwei junge Männer, Anfang 20, treffen sich im New Jersey der 60er Jahre vor einem Plattenladen. Sie kommen ins Gespräch, beide sind begeistert von Rockmusik und beschließen, eine Band zu gründen. Sie rekrutieren einen Sänger, einen Bassisten, spielen in den Bars und Kellern der Vorstadt und nehmen eine Single auf. Es kommt zu Streit in der Band, doch sie raufen einander zusammen und hoffen weiter auf den großen Durchbruch.

Die Jungs heißen Doug (John Magaro) und Joe (Brahm Vaccarella), soweit könnte Not Fade Away aber genauso die Story von Mick und Keith, von Paul und John sein. Dass hier jedoch eben nicht die Entstehung der Rolling Stones oder der Beatles gezeigt wird, stellt eine Erzählerstimme aus dem Off von Beginn an klar: „Not so many people know what became of them. In fact, like with most bands, you’ve never heard of them.“ Dies ist der dritte Weg, dessen Existenz ehrgeizige Musiker leugnen und verdrängen müssen. Dass der Durchbruch für Doug und Joe nie kommen wird, ist ab diesem Moment klar. Die Frage, die Not Fade Away stellt, ist, ob das wirklich so schlimm ist.

Rock ’n’ Roll ist das Lebensgefühl der Jugend von New Jersey. Gebannt verfolgen die Jugendlichen die frühen Auftritte ihrer Helden in den Schwarzweißprogrammen, kaufen und tauschen die neuesten Platten, erregt und fasziniert von der Rohheit, der Freiheit der Musik und ihrer Schöpfer. Natürlich möchten auch die Unbeliebten und Unbeachteten, zu denen Doug gehört, einen Teil dieser Aura für sich: Als er in einem Partykeller ans Mikrofon tritt und Time Is On My Side singt, richten sich alle Augen, selbst die seines Schwarms Grace (Bella Heathcote) auf ihn und für wenige Augenblicke sind nicht die Football-Jocks, die Coolen und Beliebten, sondern er Zentrum des Geschehens. Rock ’n’ Roll wird zur Form von Selbstermächtigung.

Der Kampf gegen die eigene Erfolgslosigkeit

Dies ist der eine Kampf, den Doug und seine Bandkollegen ausfechten: der Kampf gegen die eigene Erfolglosigkeit. Zwar wird die Angebetete Grace schon bald seine Freundin, doch auf die Plattenfirmen scheint die Musik der Gruppe wenig Eindruck zu machen. Als die Band im dritten Jahr ihres Bestehens endlich dem Agent einer Plattenfirma ihren größten Hit vorspielen darf, bemerkt dieser reichlich unbeeindruckt, sie sollten sich doch noch zwei Jahre durch die Bars und Clubs New Yorks spielen und erst dann wieder zu ihm kommen. So hatten sich die Jungs das nicht vorgestellt. Rock ’n’ Roll, das ist für sie 10 % laute Musik und 90 % Lässigkeit. Der Agent hält dem eine andere Rechnung entgegen: Erfolg, das sei 10 % Inspiration und 90 % harte Arbeit.

Er teilt dieses Mantra mit einem anderen Mann, der Doug Schwierigkeiten bereitet: seinem Vater Pat (James Gandolfini).Pat ist ein hart arbeitender Mann, der will, dass sein Sohn sich anständig benimmt und vor allem für seine College-Bildung anstrengt. Ihm soll es einmal besser gehen als seinen Eltern. Als Doug in den Ferien aus dem College zurückkehrt, mit langen Haaren, lässigen Klamotten und der Absicht, seine Ausbildung abzubrechen und sein Glück in der Musik zu versuchen, ist seinem Vater die Enttäuschung anzusehen. Hilflos wirken Pats Wutausbrüche, seine Drohungen und Beschimpfungen gegen Doug. Es ist die Wut des Vaters, der erkennt, dass sein Sohn ihm fremd geworden ist. Als Pat schwer erkrankt und nicht mehr lange zu leben hat, will er sich mit seinem Sohn versöhnen und ihm näherkommen. Als er ihm jedoch seine Ängste und Konflikte anzuvertrauen versucht, reagiert Doug unverständig und abwehrend, ein echtes Gespräch kommt zwischen ihnen nie zustande.

Dieser Vater-Sohn-Konflikt ist wohl der stärkste Part von Not Fade Away. David Chase stilisiert ihn nicht zum Generationenkonflikt hoch, sondern er bleibt die private Auseinandersetzung von Doug und Pat, die beide nicht wissen, wer der andere ist und was sie füreinander sind.

Gandolfini und das wohl überzeugendste Bob-Dylan-Double aller Zeiten

Die Intensität der gemeinsamen Szenen rührt maßgeblich von der immensen Präsenz James Gandolfinis her. Natürlich, Gandolfini befindet sich innerhalb seiner schauspielerischen Comfort Zone: Der bullig-gewalttätige, aber im Grunde sensible und verletzliche Italoamerikaner ist seit den Zeiten als Tony Soprano seine Paraderolle. David Chase, der Mann, der ebenjenen Tony Soprano erfand und in sechs Staffeln Sopranos verewigte, wusste ganz genau, wen er da besetzt. Aber Gandolfini versteht es auch einfach, mit Worten, Blicken und Gesten diesen widersprüchlichen Charakter mit Leben zu erfüllen. Angesichts des überraschenden Todes Gandolfinis vor wenigen Wochen ist Not Fade Away daher manchmal fast schmerzhaft anzusehen, wenn man sich vergegenwärtigt, welch großer Schauspieler hier verschieden ist.

John Magaro gibt als Doug das wohl überzeugendste Bob-Dylan-Double aller Zeiten. Nicht nur das wirre Kraushaar und der leicht arrogante Blick durch die halb geöffneten Augenlider erinnert an den Song-and-Dance-Man Dylan in seinen frühen Jahren, auch dessen charakteristisches Nuscheln weiß Magaro zu imitieren. So amüsant das anzuschauen ist, so wenig weiß Chase damit anzufangen und es wird zu einem von vielen Elementen, die in Not Fade Away letztlich leerlaufen. Aus der Story um die Band wird zur Mitte des Filmes eine Liebesgeschichte um Doug und Grace, nur um dann im letzten Moment die Musik wieder in den Fokus zu rücken. Chase schafft es nicht, diese losen Fäden der Story zu einem kohärenten Ganzen zusammenzufügen und so wird auch die Vorausdeutung aus dem Off zu Beginn des Filmes verständlich als eine Auflösung, die aus der eigentlichen Erzählung gar nicht herzuleiten ist.

Trotzdem ist Not Fade Away ein sehenswerter Film, der vielleicht gerade durch das, was ihm im Vergleich zu den üblichen Rock ’n’ Roll-Biopics fehlt, besticht: Der üblichen Trias aus Aufstieg, Höhepunkt und Fall steht hier eine gewisse Episodenhaftigkeit entgegen, die großen Themen der Zeit wie Vietnamkrieg, Jugendrebellion und Bürgerrechtsbewegung werden angeschnitten, haben aber auf das Leben des Protagonisten keinen Einfluss. Not Fade Away entscheidet sich statt der spektakuläreren im Zweifel stets für die ehrlichere Darstellung der Vergangenheit. Seine eigentliche Leistung ist es, dem ganz normalen Misserfolg, der ganz normalen Durchschnittlichkeit Hoffnung, Würde und Zuversicht abzuringen. Denn die Realität des Rock ’n’ Roll ist nur für wenige, der Traum davon jedoch für uns alle da.

 

Not Fade Away (USA, 2012) von David Chase, mit John Magaro, Brahm Vaccarella, Bella Heathcote und James Gandolfini lief Anfang Juli auf dem Filmfest München und kommt am 26.9.2013 in die deutschen Kinos.

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