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Politik im Schaufenster

Engagierte Optiker verraten, was ein gute Dekoration ausmacht

Die Olympischen Winterspiele in Sotschi haben begonnen: Der Sport drängt Proteste kritische Stimmen in den Hintergrund. Doch zumindest hinter einer Glasscheibe in der Schellingstraße enden die weißen Olympiafreuden schnell in einer Landschaft aus Plastikwaffen und zum Schweigen gebrachter Kritiker Moskaus. Die beiden Schaufenster von Optik Bartholomä rufen unser Gespür für Ironie auf den Plan. Im Interview geben die Optiker Veit und Ferdie preis, warum es sich lohnt, Dekorationen mit Hintersinn zu gestalten und wieso nach dem Protest der chinesischen Botschaft womöglich auch bald die russische Einspruch einlegen wird.

Das Schaufenster von Optik Bartholomä in der Schellingstraße kommentiert seit Jahren aktuelle Themen.
Foto: Adrian Franco.

Wie würdet ihr euer Schaufenster im Vergleich zu der Nachbarschaft beschreiben?

Veit: Wir sind einfach anders. Sowohl im Kopf als auch im Schaufenster und auch, was die Ware angeht. Das trifft es ganz gut, glaube ich.

Ist euer Schaufenster eine Art Kommentar?

Veit: Immer. Aber in diesem Punkt handeln wir traditionell. Wir greifen aktuelle Themen auf und setzen sie gerne auch ein bisschen provokant in Szene. Es darf auch politisch sein.

Wie lange provoziert ihr damit schon?

Veit: Seit 26 Jahren, als das Ehepaar Schneider Optik Bartolomä eröffnete.

Wer ist zuständig für die Gestaltung der Schaufenster?

Veit: Wir haben Dekorateurinnen engagiert, die früher hier um die Ecke an der Kunstakademie studiert haben. Mittlerweile sind sie sehr erfolgreich mit ihren Dekorationen. Bei uns kommen zwei verschiedene Teams zum Einsatz, immer abwechselnd, um sich gegenseitig weiter zu bringen. Aber wir sehen natürlich alle die Nachrichten und besprechen das Konzept dann zusammen, ob es für das Schaufenster passt. Jedes mal ist es auch für uns spannend, was da herauskommt. Aber das macht es auch aus, wie ich finde, damit es immer wieder etwas Neues gibt. Alle sechs Wochen wechseln wir spätestens die Dekoration aus.

Könnte euer Konzept auch auf andere Geschäfte ausgeweitet werden? Als eine Art politischer Kommentar im Schaufenster?

Veit: Prinzipiell ja. Aber dann wären wir nicht mehr so speziell! Grundsätzlich kann ich mir das in vielen anderen Geschäften auch vorstellen. Sie würden damit ein bisschen mutiger.

Seht ihr hier einen Konflikt zwischen einer politischen Dekoration und dem Geschäftsziel, etwas zu verkaufen?

Veit: Das führt auch oft zu erstaunten Blicken. Und nicht immer unbedingt zu positiven Reaktionen. Aber immerhin: Man muss die Leute ab und zu auch wieder wachrütteln und -schütteln. Wir können und wollen es nicht allen Recht machen. Nachdem München etwas konservativer ist als Berlin, hat man es nicht so schwer, aus der Reihe zu tanzen und ein bisschen aufzufallen. Wir sind aber auch nicht immer nur provokant: Bei unserer Aktion „Sitz dich reich“ konnte der Kunde Prozente auf den Preis bekommen, wenn er sich in das Schaufenster setzte. Da haben wir beide etwas davon. Wir fielen auf, die Brille wurde günstiger. Im Sommer kannst du um den Brillenpreis mit uns kickern. Immer zu den großen Fußballereignissen. Der Kunde tritt gegen den Optiker an, der ihm die Brille verkauft hat. Aber wir sind eigentlich nicht zu schlagen… (lacht) Es geht um den Spaß.

Foto: Adrian Franco

Kommen Leute zu euch in das Geschäft und sprechen über die Schaufenster?

Ferdie: Ja, erst gestern kam eine Frau herein und wollte bloß los werden, dass sie unsere Schaufenster toll findet. Und dann ist sie wieder gegangen. Aber wir hatten auch schon kritische Rückmeldungen, beispielsweise von offensichtlich religiösen Menschen, die unseren Kommentar zu den Themen Papst und Pferdefleischskandal ablehnten. Sie haben uns auch erboste E-mails geschickt.

Veit: Der Klassiker war unsere sehr kritische Deko zu den Olympischen Spielen in Peking. Wir haben in einem Fenster „Free Tibet!“ und in dem anderen die Olympischen Ringe in dicken schwarzen Ketten mit blutigen Händen zusammengebracht. Da kamen die Jungs von der chinesischen Botschaft, so zehn Mann, und haben sich beschwert. Dass müsse raus und verletze chinesische Gefühle und so…

Ferdie: Wir haben die Deko natürlich da behalten.

Veit: Wir befinden uns schließlich in Deutschland und haben das Recht auf freie Meinungsäußerung. Aber das ist vollkommen normal, dass auch kritische Stimmen auftauchen, wenn man provoziert. Da muss man darüberstehen. Aber es zeigt uns: Es ist es wert, das alles zu machen. Schaufenster sind dazu da, damit jemand stehen bleibt, uns anschaut und nach Möglichkeit auch hereinkommt.

Hättet ihr solche Schaufenster auch in der Fußgängerzone ausstellen können? Oder ist das Univiertel besonders geeignet dafür?

Veit: Ich denke schon, dass es hier einfacherer ist. Das Publikum ist jünger. Der Stadtteil ist lebendiger. Nicht jeder nimmt es dir hier gleich böse.

Ferdie: In der Fußgängerzone ist es wohl schwierig. Aber am Sendlinger Tor könnte ich es mir auch vorstellen.

Hattet ihr Vorbilder?

Veit: Von Anfang an war es das Konzept, hier mit spannenden Dekos zu arbeiten. Du musst ja deinen Laden präsentieren und es gibt so viele gleichförmige Dekorationen… Aber es passt eben auch, weil wir ein eigenes Konzept verfolgen, nicht nur, was die Deko angeht. Eine Brille ist ein sensibler und individueller Gegenstand.

Ferdie: Was wir hier machen ist auch eine Art Typveränderung die wir durch Stilberatung erreichen. Du schaust in das Gesicht des Menschen, die Brille macht da sehr viel aus.

Veit: Ein schönes Gesicht braucht eben einen schönen Rahmen.

Können Schaufenster unser Straßenbild verändern? Schaffen sie etwas Öffentliches?

Veit: Ja. Als Passant nimmt man die Schaufenster wahr. Gleiche Fassaden sind langweilig, grau in grau. Wir nehmen in gewisser Weise Einfluss auf das Straßenbild und darauf, wie ein Viertel wirkt – wenn auch im kleinen Rahmen. Es gehört zum Ladengeschäft und in erster Linie zu unserer Werbung. Aber wir lenken die Blicke dadurch. Insofern beeinflussen wir die Leute und bringen sie zum Nachdenken. Wir wollen natürlich auch ein bisschen mehr als bloß Brillen an den Mann bringen. Wir wollen auch ein Lebensgefühl transportieren. Und wenn man schon von draußen denkt: Hey, da finde ich etwas anderes als den gewöhnlichen Einheitsbrei – dann hat es etwas gebracht. Wir suchen ja ganz bestimmte Kollektionen aus und nicht das, was du an jeder Ecke findest. Aber es herrscht auch eine Art Kompromiss mit der Verkäuflichkeit: Wir verkaufen auch nicht nur schräges Zeug.

Foto: Optik Bartholomä.

Was denkt ihr über den Internethandel und Optiker-Filialisten? Ist der Einzelhandel ein menschlicheres Modell?

Veit: Ja, unbedingt. Der Internethandel ist unpersönlich. Das Erlebnis zählt ja schließlich auch. Wir wollen den Kunden ein angenehmes und positives Gefühl mitgeben, wenn sie unser Geschäft verlassen. Wir leben von der Kontinuität. Eine gute Beratung kann dich davon überzeugen, immer wieder zu kommen. Und das klappt nur durch die tagtägliche Anstrengung, gut in deinem Job zu sein.

Ferdie: Vor allem bieten wir einen gewissen Service an. Wir richten die Brillen, wenn sie krumm sind. Das gibt es im Internethandel nicht.

Veit: Ich hätte weniger Spaß an der Arbeit, wenn ich in einem großen Betrieb mit Filialen in Berlin, München und Hamburg arbeiten würde. Dort gibt es immer die gleiche Ware und einen klaren Fahrplan, wie man den Kunden begrüßen und beraten soll. Bei uns kommt es vor, dass der Kunde auch fünf oder sechs mal beraten werden will, bis er sich entscheidet. Aber wie lang der Weg am Ende war, meine Güte…

Ferdie: Dort verfügt man nur über eine gewisse Zeit für die Beratung. Meine Zufriedenheit mit der Arbeit liegt an unseren Kunden, den Kollektionen und der Philosophie.

Meint ihr, dass das Univiertel sich zu schnell verändert? Können sich kleine Geschäfte überhaupt noch halten?

Veit: Es lässt sich ja nicht verhindern. Es ist schade, wenn das Individuelle verloren geht. Die Innenstädte schauen überall gleich aus. Das Geschäfte schließen und neue aufmachen gehört dazu, aber die individuellen Geschichten, vom Hutmacher bis zum kleinen Schuster und Schneider, das macht das Viertel schon aus. Aber die Zeit kann man nun mal nicht aufhalten. Solange du kleine Schmuckstücke findest, die nicht uniform sind, dann gefällt es mir hier noch. Wir hoffen, noch so weitermachen zu können. In anderen Branchen hast du schwerer zu kämpfen. Weil eine Brille eine so individuelle Geschichte ist und sehr beratungsintensiv, können wir immer noch mit einem solchen Geschäft unser Geld verdienen.

Ferdie: In der Presse wurde oft die undurchsichtige Preisgestaltung bei den Optikern kritisiert. Letztendlich ist es so, dass sich die meisten Kunden auf unsere Beratung verlassen. Sie wollen eigentlich gar nicht wissen, wie der Preis zustande kommt. Mittlerweile gibt es so viele Unterschiede bei Gläsern und Brillen, so viele Produkte. Bevor ich das alles aufgezählt und verglichen habe, vertrauen die Kunden meiner Beratung.

Veit: Es soll nicht nur um den Profit gehen. Das Teuerste ist nicht unbedingt das Beste.

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