Die Corona-Inzidenzen steigen wieder, ganz besonders bei den jungen Menschen, die noch keinen Impftermin hatten. Doch einige Junge sind schon lange immunisiert – und fühlen sich damit nicht wohl. Woran liegt das?
Von Lisa Hafenbradl
Julia* ist 22 Jahre alt und studiert in der Schweiz. Wie auch in Deutschland würde sie damit eigentlich der Gruppe mit der niedrigsten Impfpriorisierung angehören. Aufgrund einer Vorerkrankung wurde sie jedoch hochgestuft und ist nun schon seit einigen Wochen vollständig geimpft. Was viele sofort über sämtliche Social-Media-Kanäle freudig der ganzen Welt mitteilen wollen, ist Julia aber eher unangenehm: „Meine Freunde und so wissen es natürlich. Aber Leute, mit denen ich keinen engen Kontakt habe, erzähle ich es lieber nicht.“ Nicht, weil sie nicht froh ist geimpft zu sein, sondern weil natürlich immer sofort die Frage nach dem wie und warum aufkommt. „Oft kommt dann ein Kommentar dazu, wieso ich schon so früh geimpft wurde, und es stört mich, immer erklären zu müssen, dass ich vorerkrankt bin. Das ist ja eigentlich eher eine Privatsache“, sagt sie.
„Ich fand, es ging dann irgendwie alles zu breit und zu schnell.“
Des Vordrängelns wird Julia nicht beschuldigt, auch wenn sie sich manchmal so fühlt, als hätte sie ihre Impfung zu früh bekommen. „Ich gehöre ja auch zur Risikogruppe, allerdings zu den Jüngeren. Und da finde ich es schon unfair, dass ich jetzt schon meine Termine hatte, obwohl die Älteren noch nicht alle dran waren.“ Auch wenn die insgesamt sechs Impfgruppen der Schweiz strikter sind als die vier Priorisierungsgruppen Deutschlands: Julia hätte sich eine strengere Unterteilung gewünscht. „Nach meiner Gruppe wurden sehr schnell auch die Angehörigen von Risikopatient*innen und Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen geimpft, wodurch dann auch viele junge Menschen den Älteren die Plätze weggeschnappt haben. Ich fand, es ging dann irgendwie alles zu breit und zu schnell, und es wurde nicht wirklich darauf geachtet, ob die Gruppen vollständig geimpft waren.“
Jede Impfung trägt dazu bei, dass die Gesellschaft als Ganzes besser durch die Pandemie kommt. Insofern ist sich impfen zu lassen nicht nur Selbstschutz, sondern auch ein Akt der Solidarität. In den ersten Monaten des Jahres, als Impfstoff knapp war und die Mittel von Moderna und Biontech begehrt, warfen manche den damit geimpften Menschen vor, privilegiert zu sein. Auch bei Julia war es so: „Ich habe zwar Pfizer-Biontech bekommen, aber das konnte ich mir ja nicht aussuchen und solche Reaktionen verstärken nur mein schlechtes Gewissen“, erklärt sie.
Wirklich viel ändern tut sich für Julia nicht
Außerdem unterscheidet sich ihr Alltag trotz ihrer Impfung nicht wirklich von dem ihrer ungeimpften Mitmenschen. Zwar wurden inzwischen viele der geltenden Einschränkungen für vollständig Immunisierte aufgehoben, aber wirklich viel ändern wird sich für die Studentin nicht. „Eben auch dadurch, dass ich so ein schlechtes Gewissen habe, möchte ich mich ein bisschen zurückhalten. Auch wenn ich theoretisch mehr Freiheiten hätte, heißt das ja nicht, dass ich das komplett ausnutzen muss. Man kann ja trotzdem noch aufpassen und sich aus Solidarität ein wenig zurückhalten.“
Wenn es um das Reisen geht, ist Julia ebenfalls eher unsicher und würde Auslandsaufenthalte entweder ganz vermeiden oder nach Möglichkeit für sich behalten. „Auch wenn man geimpft oder genesen ist, wird man trotzdem für verantwortungslos gehalten. Die Leute schauen dich an, als hättest du einen Stempel, der dir zwar erlaubt alles zu machen, der für den Corona-Schutz aber nichts bedeutet.“ Dennoch findet sie die derzeitigen Lockerungen für Geimpfte nicht schlecht. „Jetzt in der Übergangsphase macht es schon Sinn, damit die Zahlen nicht wieder eskalieren. Nur wenn es auf Dauer so bleiben würde, fände ich das nicht so gut.“
*Name geändert