Trinken, schunkeln, feiern: Morgen beginnt das Oktoberfest. Probleme solcher Massenveranstaltungen sind jedoch häufig Gewalt und Belästigungen gegen Frauen und Mädchen. Dabei erschweren es Schuldzuweisungen und sexistische Klischees den Betroffenen, sich Hilfe zu holen. Theresa Schmeisz weiß das, sie leitet den Security Point auf der Wiesn.
Von Gözde Çelik
Viele fest verankerte Aussagen wie „Selber schuld, wenn sie sich so knapp anzieht!“ oder „Dann hätte sie nicht so viel trinken dürfen!“ legen nach wie vor nahe, dass Frauen an sexuellen Übergriffen selbst schuld seien. Die Argumentation verläuft ungefähr so: Sie, die Frau, solle doch mal besser auf sich und ihre Ausstrahlung aufpassen. Denn was könne der arme, hilflose, seinen Trieben unterworfene Mann dafür, wenn da eine aktiv flirtende, angetrunkene, knapp bekleidete Frau herumläuft? Ist ja nicht so, als müsse er Verantwortung für seine Handlungen übernehmen. An diesem Punkt scheint es, als würden die öffentlichen Debatten rund um Sexismus, #MeToo und Victim Blaming keine Wirkung zeigen, da durch ein solches Bewusstsein immer noch die Täter entschuldigt und die Opfer beschuldigt werden.
Dennoch ist allein die Tatsache, dass über solche Themen diskutiert wird, ein Zeichen für einen Fortschritt. Die Thematik ist sehr präsent und wird oft besprochen. Aber es sei nicht so, dass die Gewalt – in diesem Fall speziell auf dem Oktoberfest – über die Jahre zugenommen habe, sagt Theresa Schmeisz vom Frauennotruf München. Vielmehr sei die öffentliche Auseinandersetzung um einiges stärker geworden. Dies erwecke den Anschein, dass die Probleme sich vermehrt hätten. Stattdessen würden einfach viel mehr Personen, die eine solche Form der Gewalt erlebt haben, sich trauen darüber zu reden. Und auch die Gesellschaft möchte nicht mehr wegschauen.
#MeToo und Co. machen Gewalt gegen Frauen sichtbar
Schmeisz arbeitet beim Frauennotruf München als Sozialpädagogin und Traumafachberaterin. Daneben leitet sie seit 2017 den „Security Point“ auf dem Oktoberfest, eine Anlaufstelle für Wiesnbesucherinnen in Notlagen und Teil der großen Aktion „Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen“. Deren Ziel ist es, allen Frauen einen sicheren Ort zu bieten, an den sie sich begeben können, wenn sie nicht mehr weiter wissen, sich nicht sicher fühlen oder in einer sonstigen gefährlichen Lage sind. Die Bandbreite an Situationen, in denen sich Frauen an den Security Point wenden können, ist groß. Sei es, weil das Handy oder die Tasche verschwunden ist, weil die Begleitung im Getümmel verloren ging oder weil Belästigung und Gewalt im Spiel waren.
Oft ist es gar nicht so einfach, die Betroffenen sicher nach Hause zu bringen, und es braucht kreative Lösungen. So merkt Schmeisz an, dass meist „Detektivinnenarbeit“ von Nöten sei, wenn zum Beispiel eine Touristin an den Security Point kommt, ihre Handtasche verloren hat und auch nicht mehr genau weiß, wo ihr Hotel war. Im ersten Jahr der Aktion, 2003, kamen insgesamt 28 Frauen und Mädchen an den Security Point. Im vergangenen Jahr waren es bereits 257 Hilfesuchende – es ist also ein starker Anstieg erkennbar. Woran liegt das?
Außenstehende sind heute sensibler und greifen ein
Die Tatsache, dass in den letzten Jahren vermehrt öffentlich über Sexismus diskutiert wurde, könnte ein Faktor sein, der dafür sorgt, dass Betroffene sich eher trauen über Gewalterfahrungen zu sprechen und auch ein größeres Bewusstsein für Situationen entwickeln, die eine Grenze überschreiten, erklärt Schmeisz. Auch Mitmenschen seien sensibler und würden eher eingreifen. Es sei immer häufiger der Fall, dass Frauen in Notlagen durch andere Personen angesprochen und an den Security Point geführt würden. Man arbeite also nicht mehr nur mit Polizei, Aicher Ambulanz, Security und Standbetreiber*innen zusammen, sondern oft auch mit anderen Besucher*innen, die ihre Hilfe anbieten.
Gleichzeitig würden soziale Netzwerke ihr Übriges tun. Mittlerweile sei es viel einfacher Informationen zu teilen und somit beispielsweise dafür zu sorgen, dass möglichst viele Personen im Vorfeld von dem Security Point wissen. Passend dazu werde nun im September in den Wochen vor der Wiesn auch in den U-Bahnen fleißig Werbung gemacht. Es soll mitgeteilt werden, wo genau der Security Point sich befindet und anhand von Plakaten auch mit gängigen Klischees und unangebrachten Sprüchen aufgeräumt werden. Damit soll klargestellt werden: Nein, die Frau ist nicht schuld. Sie hat das Recht, sich anzuziehen wie sie will und eine gute Zeit zu haben, ohne Angst vor Übergriffen haben zu müssen. Schmeisz betont: „Unser Traum wäre, dass die Frau völlig unbekleidet und sturzbetrunken übers Gelände gehen kann, ohne dass ihr was passiert.“