Filmreihe

„Challengers” – Kein weiterer Sportfilm!

Filme über Sport sind bekanntlich eher langweilig. Luca Guadagninos neuster Film „Challengers” widerlegt diese These. Für einen Sportfilm in Reinkultur ist er sich nämlich Gott sei Dank zu schade. Denn Tennis ist bei ihm zugleich lustvolles Machtspiel und Choreographie des Begehrens von Körpern in Aktion.

Von Johannes F. Schiller; Bild: © Warner Bros. Pictures

Luca Guadagnino gilt inzwischen als Experte eines sensualistischen Kinos, das seine Figuren durch ein Labyrinth des Begehrens ohne erkennbares Ziel mäandern lässt. Die Sujets des italienischen Regisseurs sind ähnlich divers: Zuletzt folgte er einer jungen Kannibalin in der Coming-of-Age-Geschichte „Bones and All” (2022) durch ein moralisch verkommenes Amerika. In der HBO-Serie „We Are Who We Are” (2020) zeichnet er die Anliegen von Teenagern auf einem amerikanischen Militärstützpunkt in Italien nach. Sein ungewöhnliches Reimagining des Horrorklassikers „Suspiria” (2018) setzte völlig neue Akzente durch den Fokus auf Tanz in Verbindung mit Körper-Horror. Nun verschlägt es ihn ausgerechnet in die Welt der Tennisprofis. Für ihn ist der Sport allerdings zweitrangig. Vielmehr interessieren ihn die verdeckten Mechanismen dahinter, die Doppeldeutigkeit von Tennis-Match und Verführungsspiel, Käuflichkeit und Intrige.

Es beginnt mit einem unerwarteten Zusammentreffen. Die beiden ehemaligen Kindheitsfreunde Art Donaldson (Mike Faist) und Patrick Zweig (Josh O’Connor) finden sich als Rivalen im Finale eines „Challenger”-Turniers wieder. Art galt lange als Favorit, bis ihn eine Verletzung aus der Bahn wirft. Patrick versucht sich seither mit kleineren Turnieren finanziell über Wasser zu halten – die Nacht vor dem großen Duell verbringt er auf dem Parkplatz. Dann dreht Guadagnino die Zeit zurück, um die Geschichte dieses On-Off-Verhältnisses der Freunde auseinanderzunehmen. Und steuert dabei unausweichlich, geradezu deterministisch, auf jenes Endspiel zu, um das sich der Thriller in typischer Satzstruktur des Tennis herum konzentrisch anordnet.

Begehren, das sich seinen Weg bahnt

Beide Männer sind damals verliebt in Tashi Duncan (Zendaya), der eine glänzende Zukunft im Tennisgeschäft bevorsteht. Werbepartner Adidas steht schon in den Startlöchern. Ein heißer Flirt zu dritt auf dem Zimmer der Jungs besiegelt fortan ein Liebesdreieck unter negativem Vorzeichen. Tashi hat die Oberhand, wenn sie verschmitzt in die Kamera schaut, zufrieden mit ihrem getanen Werk – der Blick des Meister-Manipulators. Doch tatsächlich fest stehen die Rollen im weiteren Verlauf nicht wirklich. Konstant verschieben sich die Machtverhältnisse, zumal wir beständig zwischen den Zeiten wechseln, hin und herspringen in der sich über zehn Jahre entwickelnden Chronologie neuer romantischer Konstellationen. Wer manipuliert hier wen? Wohin fällt das Begehren diesmal? Erst sind Patrick und Tashi ein Paar, dann zwingt ein Unfall Tashi, ihre Karriere auf Eis zu legen. Fortan trainiert sie Art und wird seine Ehefrau.

Dass die Parteien höchst opportunistisch agieren und zuvorderst auf Gewinn und eigene Vorteile aus sind, spiegelt die kapitalistische Logik dieser Wettkämpfe wider. Tashi geht mit Art ein amouröses Zweckbündnis ein, indem er ihre Leidenschaft fürs Tennis stellvertretend fortführt: „I’m playing for both of us, Tashi”, hält er ihr in der Nacht vor dem großen Match vor. In einer der erstaunlich intimsten Szenen des Films zerbricht er unter dem emotionalen Druck in den Armen seiner Trainerin und Ehefrau. Liebe muss zwangsweise frustriert werden, auslaufen, übergehen zur Transaktion von Gefälligkeiten. Das macht die Figuren alles andere als liebenswert, jedoch anhaltend faszinierend. Auch weil ihre Motivationen im Verborgenen bleiben, bahnt sich das Begehren hartnäckig seinen Weg.

Manche Filme fragen danach, in einem Orgasmus zu gipfeln

Justin Kuritzkes, der sich für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, kommt von außerhalb der Tenniswelt. Als offenkundiger Fan des legendären Matches zwischen Serena Williams und Naomi Osaka der US Open 2018 erwuchs sein Interesse, das Innenleben dieser öffentlichen Figuren zu dramatisieren. Mit entsprechend Spekulation und Fantasie. Enter Guadagnino: Schon in „I am Love” (2009) mit Tilda Swinton stellte der italienische Regisseur sein zu opernhafter Höhe auflaufendes Stilbewusstsein unter Beweis, mit Anleihen bei Luchino Visconti.

Die eigentliche kinästhetische Attraktion von „Challengers” sind nämlich die dynamisierten, teils extrem entschleunigten, in Zeitlupe gefilmten Tennisduelle: Wie Bewegung, Körper und Choreographie sich zu einer ungemeinen sexuellen Energie steigern und zum (homo-)erotischen Spektakel werden. Schweiß darf hochauflösend auf die Kamera tropfen, maskuline Machtspiele werden auf der offenen Schaubühne des Tennis ausgetragen, das Warten auf den Aufschlag wird zeitlich zum „ewigen Moment” gedehnt. Schließlich entfesselt sich die Kamera zu den treibenden Techno-Beats von Trent Reznor und Atticus Ross, wenn sie die subjektive Sicht von Spieler und Ball übernimmt. Manche Filme fragen danach, in einem Orgasmus zu gipfeln. Nur wenigen gelingt es. Dieser hat ihn zweifellos verdient.

Challengers läuft seit dem 25. April in den deutschen Kinos. Im internationalen Vertrieb von Warner Bros. Pictures. 131 Minuten.

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