Kulturphilter

Zwei verkorkste Brüder, ihre völlig enthemmte Mutter und die Liebe

Die Münchner Kammerspiele nehmen Elementarteilchen wieder auf

Es beginnt mit einem Redeschwall, dem man kaum folgen kann. Im Laufe der Zeit wird es immer ruhiger und bedächtiger, während die Halbbrüder Bruno und Michel und auch ihre Mutter nach und nach ihre Lebensgeschichte erzählen. Dabei nimmt, so wie man das von Houellebecq kennt, keiner ein Blatt vor den Mund. In teilweise derber und derbster Sprache geht es an diesem Abend um Liebe, Schmerz, Einsamkeit, die Angst vor dem Tod und dem Altern und um Sex, ganz viel Sex. Die beiden Männer, Ende der 50er Jahre geboren, wurden von ihrer zügellosen Mutter, die sich lieber um ihre Lover, als ihre Söhne kümmerte, vernachlässigt und wuchsen jeweils bei ihren Großmüttern auf. Es ist schon fast Mitleid erregend, was aus ihnen geworden ist: Bruno, der sexsüchtige und nie befriedigte Lehrer, der sich aufmacht und die Liebe in einem FKK- Club findet und Michel, ein zurückhaltender Biologe, verklemmt, der kaum am Leben teilnimmt und sich schon als Kind lieber hinter seinem Chemiebaukasten versteckt hat. Er findet ganz unerwartet die Liebe in seiner Jugendfreundin viele Jahre später wieder. Beide Brüder haben bisher kein Glück mit der Liebe gehabt, aber auch ihre Frauen können nicht gerade von einem erfüllten Leben berichten. Da gibt es Krebs, Einsamkeit, einen unerfüllten Kinderwunsch, Lähmungen, Selbstmord. Kaum scheint ein Wendepunkt erreicht, bleibt es Michel und auch Bruno nicht erspart zu erleben, wie ihre Liebe im wahrsten Sinne des Wortes stirbt. Die eine an Krebs, die andere bekommt beim Ausflug in einen Swingerclub Lähmungserscheinungen und stürzt sich mit ihrem Rollstuhl die Treppe hinunter, als sie erfährt, dass sie für immer an ihn gefesselt sein wird. Der eine Bruder verbringt daraufhin den Rest seines Lebens in einer Nervenheilanstalt, der andere erntet endlich die Früchte seiner langwierigen Forschung, erfindet mit dem Klonen die Unsterblichkeit und bringt sich um. Die beiden haben eigentlich viel gemeinsam, hätten sich viel zu sagen, aber ihre verkorkste Art und Unfähigkeit zu Lieben macht auch vor dem eigenen Bruder nicht halt.

So schlicht und trostlos, wie die Stimmung im Leben dieser Menschen, ist auch das Bühnenbild an diesem Abend: Es gibt eigentlich gar keins. Das Stück unter der Regie von Johan Simons wird von ständig wechselnden Dialogen getragen, jede Person erzählt ihre Geschichte aus ihrer ganz persönlichen Sichtweise. Nur einmal von einer etwas obskuren Tanzeinlage der Mutter unterbrochen, passiert sonst nichts, es wird nur geredet, geredet, geredet. Diese Textlastigkeit braucht am Anfang Geduld und am Ende auch. Es dauert, sich in die Geschichte einzufinden, der Textflut folgen zu können und der Abend wird am Ende dann doch etwas lang. Dazwischen aber wird die traurige Geschichte zweier Menschen erzählt, die in der Mitte ihres Lebens die Möglichkeit bekommen, noch einmal lieben und neu anfangen zu dürfen, denen dann aber doch alles wieder genommen wird. Mit Hang zum Abstrakten, aber sehr überzeugend, anrührend, fast schon ergreifend, spielen die fünf Schauspieler ihre Rollen. Da fehlt das Bühnenbild nach einer Weile auch gar nicht mehr.

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