Kulturphilter

Von Leberkäs’ und Kruzifixen

Die Münchner Kammerspiele nehmen Achternbuschs Susn wieder auf

„Kunst die ned anständig verabschieden? Servus!“ Susn hat die Schnauze voll und will weg. Sie ist 17, stammt aus den Urtiefen des Bayrischen Waldes und beginnt gerade zu begreifen, was Doppelmoral ist. Ja, sie ist sich ganz sicher, sie möchte aus der Kirche austreten. Und nicht nur das. Das ganze Provinzleben hat sie satt. Die eingefahrenen, patriarchalischen Strukturen, das oberflächliche Heile-Welt-Gehabe und die Abgründe, die sich dahinter auftun – Scheinheiligkeit im wahrsten Sinne des Wortes. Man lernt Susn bei der Beichte kennen, ein romantisches Wiesenmädchen, rot gelockt, madonnenhaft, als Unschuld vom Lande eben. Es sprudelt in feinstem Hochdeutsch und Flüsterton nur so aus ihr heraus, wild und wirr, zieht sie eine erste Lebensbilanz und distanziert sich von dem, was sie umgibt. Im Hintergrund die passende Grundstimmung: Auf einer großen Videoleinwand beginnt die Reise in die Bayrische Prärie. Aber nicht etwa die, die man von Hochglanzpapieren aus Reisekatalogen kennt, sondern in schwarz weiß, karg und düster. Ein trostloses Nichts, nur ein paar Strommasten und einsam stehende, im Nebel versinkende Häuser sind zu sehen. Susn will raus.

Zehn Jahre später: Susn hat sich aufgemacht, ihr Glück in der Stadt zu versuchen und träumt von Freiheit und Unabhängigkeit. Sie sitzt in ihrer Studentenbude, allein. Aber auch hier quälen sie die Fragen über sich selbst, das Leben an sich, die Gesellschaft. Sie scheint geradezu besessen, versucht im Experimentieren mit Worten und Sprache ihren Lebenshunger zu stillen.

Wieder zehn Jahre später: Susn versucht ihr Glück mit der Liebe. Sie lebt mit einem Schriftsteller zusammen, der aber längst nicht mehr mit ihr, sondern nur noch mit dem Papier kommuniziert. Ihre Dialoge werden zu Selbstgesprächen. Nun hat sie jemanden, mit dem sie Bett, Zeit und Gedanken teilen könnte, und ist dennoch einsam geblieben. Die Hoffnung schlägt langsam in Wut um, ihre Lebensfreude wird zu Bitterkeit. Auch im Hintergrund wird die Welt immer finsterer, die Videokamera folgt einer dunklen, unbeleuchteten Straße ins Nichts.

Wieder zehn Jahre später: Susn sitzt auf dem Klo, sie ist alt geworden und ein bisschen lockerer, hilft ja alles nix, zur Not halt einen Schluck Schnaps. Susn ist wieder allein. Sie trägt jetzt braune Omastrumpfhosen, Brille und Regenhaube. Die Videokamera fährt auf eine Kirche zu und hält davor an. Susn gerät ins Wanken. Vielleicht ist die Kirche in der Not doch gar nicht so verkehrt? Neben ihr steht Jesus in Plastikform und leuchtet, aber Antworten hat er auch keine. „Aber wer solltn mir zuhörn, wenn net der Herrgott?“ Auch sprachlich scheint sich Susn am Ende ihres Lebens wieder mehr dem zugetan zu haben, was sie einst so geprägt hat, in tiefstem Bayrisch poltert es nur aus ihr heraus. Eigentlich hätte sie nicht tiefer sinken können und fällt dann doch tot vom Klo.

Keiner hätte in diesem über 30 Jahre alten Stück, das trotzdem nicht an Aktualität verliert, diese zarte Revoluzzerin auf der Suche nach Wahrheit und Sinn, unter der Regie von Thomas Ostermeier besser verkörpern können, als Brigitte Hobmeier. Ursprünglich hatte Achternbuch für jede Station ihres Lebens eine andere Susn vorgesehen, aber Ostermeier beweist: das ist nicht nötig. Am Anfang ihrer Suche noch ein Engel mit Flausen im Kopf, rotzig, in der Mitte dann eine wütende Frau, die genau weiß, was sie will, aber trotzdem zu zerbrechen droht, am Ende schließlich eine abgeklärte, zynische Alte, so tragikomisch, dass es fast weh tut. Man nimmt ihr jede Rolle, jedes Alter, jede Lebenssituation ab und möchte ihr ewig zuhören. Dieser Abend gehört ganz allein ihr.

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