Kulturphilter

Verschanzt im Bienenstock

Daniela Löffner inszeniert Maxim Gorkis Kinder der Sonne als rührende Gesellschaftsstudie

Den Auftakt des Radikal Jung-Festivals am Münchner Volkstheater bildet in diesem Jahr die Inszenierung von Maxim Gorkis Kinder der Sonne, ein Gastspiel des Schauspielhaus Zürich. Ein Stück um Schwermut und unerfüllte Liebe – in der Arbeit der Regisseurin Daniela Löffner voll herrlicher Komik und Leichtigkeit.

© Tanja Dorendorf

 

Es ist ein hermetisch abgeriegelter Raum, in dem sich Gorkis Kinder der Sonne befinden. Draußen wütet die Cholera und sie verschanzen sich im Haus des weltfremden Naturwissenschaftlers Páwel Fjódorowitsch Protássow. Er selbst ist so besessen von seiner Forschung, dass er seine Mitmenschen schon nicht mehr wahrnimmt und jede Kontaktaufnahme als unerhörte Störung empfindet. Seine Frau Jeléna fühlt sich vernachlässigt und verbringt ihre meiste Zeit damit, einem Maler und Jugendfreund ihres Mannes Modell zu sitzen, der sich in sie verliebt hat – was Páwel natürlich ebenso wenig registriert wie die Tatsache, dass er sich inzwischen meilenweit von ihr entfernt hat. Er kreist wie Jeléna um sich selbst und will nicht wahrhaben, was außerhalb ihres Elfenbeinturmes geschieht. Jegliche Form von Realität findet innerhalb des eigenen kleinen Kosmos statt. Als elitäre Kleingruppe ziehen sie sich von der Außenwelt zurück und weiden sich in ihrer durchaus faschistoiden Vorstellung, sie seien die Kinder der Sonne. Die einzige, die auch das Außen wahrnimmt, ist Páwels traumatisierte Schwester Lisa und die gilt als psychisch krank und wird auch permanent daran erinnert. Die anderen möchten ihre antielitären Warnungen nicht hören und flößen ihr Tropfen gegen die Anfälle ein. Der Tierarzt Bóris macht ihr den Hof, doch sie weist ihn angstvoll zurück. Als sie sich ihre Liebe eingestehen kann, ist es zu spät – aus Verzweiflung hat er sich an einem Baum erhängt. Bóris Schwester Melánija wiederum ist dem Intellekt von Páwel verfallen. Sie verehrt ihn wie wahnsinnig und will ihm mit all ihrem Geld das Laboratorium seiner Träume bauen und ihm als Sklavin bereitstehen, sollte er sich für sie entscheiden. Obwohl Páwels und Jelánas Ehe ganz offensichtlich am Ende ist, kann keiner der beiden mit dem jeweiligen Verehrer etwas anfangen. Der Hausbesitzer hingegen kann sich die Liebe des Dienstmädchens nicht einmal erkaufen.

 

Tragikomische Sinnsuche

 

Voller Zynismus und Resignation treten Gorkis Figuren ihrem Leben gegenüber – und doch: In der Inszenierung von Daniela Löffner bekommt ihre Suche nach dem Sinn des Daseins in vielen Momenten durchaus etwas Komisches. Das ist vor allem der genauen Figurenstudie der Regisseurin sowie der Genauigkeit und Natürlichkeit der Spieler zu verdanken. Rainer Bock ist in seiner Rolle als passionierter und dabei unsozialer Forscher zugleich herrlich naiv und egozentrisch. Seine Versuche, der Familie gegenüber Zärtlichkeit zu zeigen, scheitern an der Unfähigkeit der Einfühlung. Lisa, die als einzige zu begreifen scheint, dass das sichere Gefüge der Gemeinschaft auseinander zu brechen droht, wird wunderbar schwermütig gespielt von Julia Kreusch. Sean McDonaghs Bóris wechselt zwischen pointiertem Witz und zynischer Melancholie. Im Zusammenspiel der Figuren liegt eine liebevoll ausgearbeitete Klarheit und Genauigkeit. Dass sich das Geschehen „in aller Ruhe“ entfalten könne, so Annette Paulmann von der Jury, habe sie mit am meisten an der Inszenierung begeistert. Löffner habe den Mut, der Geschichte Raum zu geben, was die Spielatmosphäre erst ermögliche. Bei aller Tragik birgt die Konstellation des Stücks sehr viel Komik in sich. „Ich lache gerne über Egozentriker“, gibt Paulmann zu. Und Egozentriker sind alle der Figuren in Kinder der Sonne. Ihre Weltanschauung unterscheidet sich zum Teil stark, Scheitern tut am Schluss aber ein jeder bereits im alltäglichen Zusammenleben. Dabei sei, so Löffner das Stück heute näher an jedem Einzelnen dran als man denke. Das habe sie gereizt, das mehr als 100 Jahre alte Drama zu inszenieren.

 

Cholera statt Klimawandel

 

Ästhetisch versetzt sie das Ganze in die Gegenwart; die Kostüme der Darsteller erinnern an das Hipster-Yuppie-Volk, das sich derzeit in den großen europäischen Städten tummelt. Die Inszenierung, die dem Text konsequent treu bleibt, lässt dadurch aber auch Anleihen an den Anfang des 20. Jahrhunderts zu. Es sei, so Löffner, eine bewusste Entscheidung gewesen, Cholera nicht durch Schweinegrippe oder Klimawandel zu ersetzen. Die Krankheit sei für sie wie ein Symbol, das für die Zersetzung einer Gruppe stehe. Auch der gerne thematisierten Samowar, aus dem unaufhörlich heißes Teewasser entnommen wird. Er ist neben Páwels brodelndem Versuchsaufbau mit die einzige Requisite. Die ansonsten leere Bühne evoziert durch die gelbe Wabenstruktur der Wände das Bild eines emsigen Bienenstocks und schafft gleichzeitig einen Bezug zur molekularen Forschung von Páwel. Der Bienenstock als Schutz- und Abschottungsraum ist einzig begehbar über den Zuschauerraum. Das hat zur Folge, dass sie Darsteller nie wirklich abtreten; verlassen sie den Bühnenraum, setzen sie sich mit Blick auf denselben vor die Zuschauer. Die Bewegung in den Bienenstock hinein geschieht also immer zunächst mit dem Rücken zum Publikum, quasi von der Gesellschaft weg. Dass es in dem Sinne keine Abgänge der Schauspieler gibt, hängt mit dem grundsätzlichen Fokus der Regisseurin auf der gemeinsamen Ensemble-Leistung zusammen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand während meiner Vorstellung in die Kantine ein Bier trinken geht“, sagt sie. So verfolgt jeder Schauspieler aus der gleichen Perspektive wie die Zuschauer das Geschehen. Am Schluss sehen alle gemeinsam zu, wie der Bienenstock von seiner Mitte her anfängt, im grellen Schein der Sonne zu zerfließen. Statt eines Lichtschimmers offenbart sich in diesem Moment jedoch die verdrängte Realität. Der Raum öffnet sich zur Außenwelt hin, die aber keine Lösungen mehr bieten kann.

Gerührt und gleichzeitig bedrückt wird der Zuschauer mit der Ausweglosigkeit zurückgelassen, in die sich die Kinder der Sonne gebracht haben.

 

 

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