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Sind wir alle verdächtig?

Gerät der Freistaat ins Wanken? Mit einem neuen Gesetzesentwurf der CSU und Staatsregierung soll die bayerische Polizei geheimdienstähnliche Befugnisse erhalten. Gegner sehen die Freiheit, Privatsphäre und Rechte der Menschen in Bayern in akuter Gefahr.

#NOPAG – Nein! Zum neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetz © Foto: Grüne Jugend München

Von Franziska Stolz

Bereits 2017 wurde – zunächst ohne allzu viel Aufsehen zu erregen – das sogenannte Gefährdergesetz durch den bayerischen Landtag gewunken. Es führte den Begriff der „drohenden Gefahr“ als Eingriffsschwelle für die Polizei ein. Seither ist diese unter anderem befähigt, Personen auf Verdacht hin, also ohne dass eine begangene Straftat vorliegt, unendlich lange in Haft zu nehmen. Die Haft muss lediglich dreimonatlich von Richter*innen verlängert werden. Allein diese Entwicklung stellt sich mehr als bedenklich dar in einem Staat, der die Unschuldsvermutung als rechtliches Grundprinzip innehat. Jetzt sollen der Polizei jedoch noch schwerwiegendere Eingriffe ins Leben der Menschen in Bayern ermöglicht werden.

Im April 2018 behandelte der Landtag die von der CSU vorangetriebene Neuordnung des Polizeiaufgabengesetzes, welche vorsieht, die Polizei mit weitreichenden geheimdienstlichen Befugnissen auszustatten. Diese können aufgrund des unscharfen Begriffs der „drohenden Gefahr“ theoretisch gegen alle Menschen eingesetzt werden, deren Einstellungen, Haltungen oder Handeln die Polizei als solche „Gefahr“ ermisst. Gegenstimmen zum PAG kommen aus vielen Lagern. Grüne, Linke, SPD, Rechtsexpert*innen und viele andere kritisieren den Entwurf als massiven Eingriff in die Grundrechte der Menschen im Freistaat.

Parteien und Organisationen, die sich dem PAG entgegenstellen, schlossen sich im April zum Bündnis #NOPAG – Nein! Zum neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetz zusammen. Auch der Bayerische Journalistenverband und die Studierendenvertretung der LMU sind Mitglieder. In einer ersten Aktion versammelten sich Gegnener*innen des PAG zu einer Kundgebung am Mittwochmorgen des 11. Aprils vor dem Maxmonument in München, während der Innenausschuss des Landtags die Neuordnung behandelte. Dort erklärte Hartmut Wächtler, Fachanwalt für Strafrecht und Sachverständiger im Landtag, die Inhalte des Gesetzesentwurfs. „Es wird eine Polizei geben, die vorbeugend, also ohne dass eine Straftat geschehen wäre, so tief in die Privatsphäre des Bürgers eingreifen kann, wie es noch keine Polizei seit dem Krieg konnte,“ sagt Wächtler einleitend und fährt dann fort, die verschiedenen neuen Befugnisse zu beschreiben, die das Gesetz ermöglichen will.

Vom Freistaat zum Überwachungsstaat

Das Gesetz würde die Nutzung von Drohnen, Bodycams und automatisierter Videoüberwachung ermöglichen. Ohne Anzeichen einer Straftat dürfte die Polizei Telefonate abhören und Post öffnen. Durch den Einsatz von V-Leuten könnten Freunde und Nachbarn als Spitzel für verdeckte Ermittlungen eingesetzt werden. Was zunächst nach dem Ausschnitt aus einem Geschichtsbuch oder George Orwells Nineteen Eighty-Four klingt, soll in Bayern bald theoretisch möglich sein. Hartmut Wächtler erklärt: „Die Polizei kann Computer verwanzen, die Wohnung verwanzen, sie kann in die Kommunikation der Bürger eingreifen bis hin zur Unterbrechung von Kommunikation und bis hin zur Verfälschung von Kommunikation. Sie kann auch komplette Persönlichkeits- und Bewegungsprofile von Menschen herstellen.“ Denn die Durchsuchung von Cloud-Speichern und der Einsatz von Spionagesoftware sollen auf Verdacht hin möglich werden. Dabei wird zum Beispiel der Schutz von Journalist*innen beschnitten, die ihre Quellen zwar nicht offenlegen müssen, aber auch nicht mehr schützen können, wenn die Polizei sich in ihre Computer einhackt. Und die Liste endet hier nicht. Die Polizei soll Konten sperren können, somit beispielsweise Mietzahlungen verhindern und bestimmen können, dass Menschen ihren Wohnort nicht mehr verlassen können oder wechseln müssen.

Sind wir alle verdächtig?

„Das Ziel des neuen PAG ist aber auch, unsere Bürgerinnen und Bürger noch besser zu schützen, indem die Polizei künftig Gewalttaten noch gezielter verhindern kann.“, heißt es online auf der CSU-Landtagsseite. Dort findet sich ein Faktencheck zum PAG, in dem auch zum Begriff der „drohenden Gefahr“ Stellung genommen wird: Drohende Gefahr hieße nicht, dass kein Verdacht mehr vorliegen müsse. Eine drohende Gefahr bestehe dann, wenn die Polizei aufgrund von Tatsachen nachweisen kann, dass erhebliche Angriffe auf bedeutende Rechtsgüter zu erwarten sind. Gegner des PAG kritisieren aber, dass eine genauere Eingrenzung des Gefahrenbegriffs offen bleibt und die Einstufung allein im Ermessen der Polizei liegt.

In Handschellen und mit Schildern, auf denen ein Verdachtsgrund statt eines Tatbestands eingetragen werden kann, konnten sich die Besucher der #NOPAG-Kundgebung im April ablichten lassen. Diese Fotoaktion der GRÜNEN JUGEND München sollte die Absurdität und Willkür des Gesetzesentwurfs vor Augen führen. Franziska Büchl, eine der Bündnissprecher*innen, meint: „Der Begriff der drohenden Gefahr sollte deswegen wirklich als problematisch angesehen werden, weil man eben nicht weiß, ab wann man sich denn Sorgen machen muss. Es ist völlig arbiträr, was dann als Gefährdung definiert werden soll.“

©Foto: Grüne Jugend München
© Foto: Grüne Jugend München
©Foto: Grüne Jugend München

Sich als vermeintlich unbescholtener Bürger in Sicherheit zu wähnen, ist zu kurz gedacht. Dass sich die neuen Befugnisse speziell auf beispielsweise Radikale aller politischen Lager beziehen ist eben nicht klar formuliert. „Wir sind alle betroffen,“ meint Büchl. „Freiheitsrechte sind ja nicht nur dann da, wenn ich sie gerade brauche. Man braucht einen funktionierenden Rechtsstaat einfach immer, egal ob man jetzt davon betroffen ist oder nicht. Zudem führen ja auch gerade derartige Gesetze ganz stark dazu, dass es viel willkürlicher wird, wer denn gerade potentielles Ziel ist. Solche Gesetze können langfristig eben auch dazu führen, dass einfach ganz normale politische Oppositionelle noch stärkerer Repression ausgesetzt sind.“ Auch bestimmte Gruppen, die jetzt schon starker Repression ausgesetzt sind, also gerade Menschen, die schon in einer verletzlichen Position sind, zum Beispiel Flüchtlinge, sieht sie besonders betroffen. „Es gilt einfach wirklich einen starken Schutz für bestimmte Personengruppen zu haben.“

Großdemo gegen das PAG: Ab 13 Uhr am Marienplatz

Nun mag man fragen, ob das Inkrafttreten eines solchen Gestzes überhaupt denkbar ist. Klagen dagegen wurden bereits eingereicht. Dennoch genügt es nicht, sich auf ein Einschreiten des Bundesverfassungsgerichts zu verlassen findet Bündnissprecherin Franziska Büchl. „Es geht ja nicht nur um diese eine Novellierung, sondern generell um eine Zunahme an Repression. Die sieht man auch daran, dass eben schon repressivere Gesetze, wie das Gefährdergesetz in Kraft sind. Deswegen kann man sich da auch nicht einfach so darauf verlassen, dass das keinerlei Chancen hat juristisch akzeptiert zu werden.“

Am 10. Mai wird die große Demonstration des Bündnisses #NOPAG – Nein! Zum neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetz auf dem Marienplatz stattfinden. Ab 13 Uhr werden sich die Demonstrant*innen versammeln um ihre Stimmen gegen die geplanten Änderungen am Polizeiaufgabengesetz zu erheben.

 

 

Infos zur Demonstration #NOPAG – Nein! Zum neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetz

10. Mai, 13 Uhr
Marienplatz München

https://www.nopagby.de

https://www.facebook.com/no.pag.by/

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