Politikus

Annäherung: Mission Impossible?

Was spaltet unsere Gesellschaft wirklich? – Wie wir wieder mehr ins Gespräch kommen, polarisierende Fehlinformationen behandeln und was wir für den Schutz unserer Demokratie selbst tun können.

Von Anna-Rebekka Leutschaft

„Ignoranz, Unwissenheit, Nicht-Akzeptanz anderer Lebensweisen, der fehlende Wille am gegenseitigen Austausch und das Vorhandensein von Antisemitismus“ – mit diesen Antworten begründen die Teilnehmenden der Podiumsdiskussion „Jetzt rede ich“ am 29. Februar 2024 die gesellschaftlichen Spaltungsverhältnisse, die wir derzeit erleben.

So viel steht fest, die Lage ist akuter denn je – Streitgespräche über Waffenlieferungen an die Ukraine, der Rechtsruck in Deutschland sowie ganz Europa, Polarisierungen anhand des Israelkriegs. Deshalb hat das Gesellschaftliche Institut für Zukunftsfragen (GIM) eine Kooperation mit dem Youthbridge Projekt ins Leben gerufen, die im Rahmen des Wertebündnisprojektes „Antisemitismus. Nein Danke!“ den wechselseitigen Austausch fördern soll. Das zugrundeliegende Leitbild ist der Ansatz, dass Demokratie auf keinen Fall selbstverständlich ist und die Bedeutung der Volkssouveränität weiter vertieft werden muss.

Unter der Leitung von PD Dr. Karin Schnebel haben im Zuge dessen 70 Interessierte an der Podiumsdiskussion partizipiert, zusammen mit den im Vordergrund stehenden Teilnehmenden aus Politik, Medien und Forschung: Prof. Michael Piazolo (Kulturminister a.D., MdL, Freie Wähler), Tilmann Schöberl (BR-Bürgersendung „Jetzt red I“), Pr.-Doz. Dr. Karin Schnebel (Univ. Passau, Vorsitzende GIM) und Prof. Klaus Wolf (Univ. Augsburg).

„Ist doch die Digitalisierung dafür verantwortlich?“

Durch diesen Einwurf der Moderation haben sich die Podiumsgäste vor allem mit der Rolle der Medien in der Aufschlüsselung der Thematik befasst. Recht schnell haben sie sich jedoch klar dagegen positioniert, das Internet dient nun mal als spiegelnde Plattform, kann jedoch nicht allein dafür verantwortlich gemacht werden. Viel mehr agieren die Medien als ein Verstärker, durch eine Intensivierung des Filterblasen-Effektes, welcher Wut und Furcht schürt. Denn optimierte Algorithmen ermöglichen es nahezu ausschließlich mit der eigenen Meinung konfrontiert zu werden, indem präsentierte Inhalte gezielt danach gefiltert werden. Noch dazu kommen Feindbilder, die sich durch multiple und rasante Verbreitungen ideal platzieren lassen.

Schnebel hebt dabei den Aufschwung spaltender Inhalte während der Migrationskrise und der Pandemie als zentrale Problematiken in der deutschen Gesellschaft hervor. Der langjährige Bildungspolitiker Piazolo hingegen betont, dass Falschinformationen insbesondere in Kriegszeiten zunehmen. Die weite Verbreitung von problematischen Ideologien in den sozialen Netzwerken lässt eventuell Rufe nach medialen Einschränkungen oder Verboten laut werden. Sollten mündige Bürger folglich in ihrem medialen Dasein eingegrenzt werden, um für mehr Vereinigung der Interessen zu sorgen? Schöberl als ein Vertreter des bayrischen Rundfunks erkennt in Verboten keinen wahren Ausweg, denn der menschliche Drang sich zu vernetzen, auch in Bezug auf verzerrte Weltbilder, Verschwörungstheorien und Co. kann nicht abgelegt werden, da das eine Art „Urgestein des menschlichen Zusammenlebens“ darstellt.

Befinden wir uns in der Ausweglosigkeit?

Ja und Nein. Es gibt einen zusätzlichen Faktor und zwar Bildung, auch wenn den Schulen keine vorherrschende Schuld oder ein grundlegendes Versagen zugesprochen werden kann. Ein Aspekt über den sich sämtliche Anwesenden einig waren, ist der hohe Einfluss der Ausbildung von kognitiven und konativen Fähigkeiten, indem bereits während der schulischen Laufbahn mehr Raum für das Fach Medienkompetenz in den Lehrplänen eingeräumt werden soll. Ebenso soll die Frustrationstoleranz der Bürger*innen ausgebaut werden, beispielsweise in Form eines neuen Faches der Persönlichkeitsentwicklung, wodurch das Vermögen mit politischen Misserfolgen zielführend umzugehen verstärkt werden kann.

Nur wenn Regeln für den politisch-sozialen Umgang vermittelt werden, können reflektierte Diskussionen entstehen und der World Wide Waste an Fehlinformationen reduziert werden. Denn aktuell diagnostiziert der Sprachwissenschaftler Wolf, dass Gespräche zwischen konträren Seiten geschlossener geworden sind, wenn sie überhaupt stattfinden. Um diesem Phänomen entgegenzuwirken kann es auch für Studierende relevant sein, durch gerade ein solches Diskussionsformat möglicherweise mehr Offenheit zu verbreiten.

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