Kulturphilter

Mit Pinsel und Sprühdose

In seinem Werk begegnen sich zarte Zeichnung, farbleuchtende Ölmalerei und großformatige Urban Art. Mühelos wie meisterhaft lässt Sebastian Wandl alias Wandal die Techniken und Stile zusammenspielen. Cover und Zwischencover der 27. Philtrat-Ausgabe stammen von dem Münchner Künstler.

© Thomas Stephan

 

Von Franziska Stolz 

Menschsein ist schrecklich und schön. Das Motiv des Menschen, Gesichter und die Spuren, die das Leben dort hinterlässt, waren schon immer etwas, das Wandal (bürgerlich Sebastian Wandl) fasziniert hat. Die Portraits, die er anfertigt, sind mehr als bloß realistische Abbildung. In ihnen verbindet sich Skizzenhaftes mit kräftigen Farbakzenten. Für Wandal muss ein Bild etwas anderes leisten als ein Foto. Es soll eben das zeigen, was heute so viele Menschen durch Filter und Fotoshop in ihren Social-Media-Profilen zu verbergen suchen: die Makel, die Falten, die Schatten und die Muttermale. „Niemand ist perfekt, niemand muss perfekt sein. Gerade die kleinen Fehler machen jemanden besonders für mich.“

© Thomas Stephan

Es offenbaren sich dem Betrachter auch betörende Blicke und volle Lippen. Viele der Portraits bilden dahingehend attraktive Personen ab, doch durchlaufen bald angedeutete Linien und Formen, bald feste Pinselstriche, bald verwischte Farbspuren die Gesichtskonturen. Das Unechte aufzubrechen, ja zu zerbrechen, ist, was sich Wandal mit diesen Gemälden vorgenommen hat. Den Vorbildern für diese Figuren begegnet er häufig in anderen Ländern, denn Reisen ist für ihn Leidenschaft und Inspirationsquelle zugleich. „Neue Ideen kommen oft unterwegs oder im Zug. Egal wo, man überlegt irgendwie immer: Was kann man als nächstes machen, anders machen und cooler machen?“ Es gelingt ihm darzustellen, was jenseits des Schönheitswahns unserer Zeit echt wirkt und berührt: ein abschweifender Blick, ein heruntergezogener Mundwinkel, ein leises Stirnrunzeln.

Wanderlust und Weltschmerz

Wenn Wandal in die Ferne aufbricht, dann hat er gerne Orte am Meer zum Ziel, denn seit zwölf Jahren ist er begeisterter Surfer und Taucher. Diese Passionen führten ihn zum wichtigsten Thema seiner aktuellen Arbeiten: Umweltverschmutzung und Plastik im Ozean. Stellt man sich einen Tauchgang vor, vermutet man eine gewisse Ruhe unter der Wasseroberfläche, stille Weite oder andächtiges Meeresmurmeln, filigrane Korallenstrukturen, gedämpftes Licht. So war das auch einmal. Inzwischen sieht Wandal beim Tauchen aber vor allem die erschreckenden Folgen menschlicher Verschwendung und Rücksichtslosigkeit.

© Sebastian Wandl

Im Wasser um ihn schwebt eine Wolke aus Plastikfetzen, die Fische dazwischen müssen ihre Bahnen immer wieder anpassen und am Müll vorbeilenken. „Ich habe ein paar Länder wieder bereist, in denen ich vor zehn Jahren schon einmal war“, erzählt Wandal und man merkt, wie sehr ihm die Sache am Herzen liegt. „Du siehst diese Entwicklung und es scheint eigentlich schon zu spät. Mindestens aber ist es höchste Eisenbahn, dass wirklich etwas geändert wird.“ Die Dringlichkeit der Lage treibt ihn und seine Arbeit an. Einige seiner neueren Werke zur Umweltverschmutzung, so zum Beispiel TRASH.ME Anelia, das in der Philtrat-Ausgabe 27 zu sehen ist, waren kürzlich Teil einer Ausstellung im Kunstlabor München.

Stadt, Land, Kunst

Wandals Kunst erzählt die Geschichten unserer Zeit. Nicht nur auf der Leinwand, auch auf weitaus größeren Flächen verwirklicht er diese Motive. Urban Art ist ein zentraler Teil in Wandals Schaffen. Dabei lebt der Künstler in München – nicht gerade die erste Stadt, die einem zum Thema Streetart und Urban Art einfällt. Die Erlaubnis zum Bemalen von Wänden zu bekommen, ist schwer und kann lange dauern. Gibt es überhaupt eine richtige Urban-Art-Szene in der braven bayerischen Landeshauptstadt? „Ich muss ehrlich sagen, manchmal habe ich schon das Gefühl, dass München für’n Arsch ist, was Urban Street Art anbelangt. Es gibt schon ein paar Sachen in München, das MUCA Museum zum Beispiel. Aber die Szene ist sehr klein.“ Also arbeitet Wandal häufig in Berlin. Das Coverbild dieser Ausgabe, Down, prangt dort in beeindruckender Dimension auf einer Gebäudewand.

© Sebastian Wandl

Gelegentlich überlegt Wandal, ganz nach Berlin zu ziehen. Er mag die Stadt wirklich gerne, dort gibt es eine große Szene und man trifft Gott und die Welt. Er erinnert sich, wie er in Berlin Erik Jones kennenlernte, einen New Yorker Künstler, den Wandal immer bewundert hatte. Die beiden gingen feiern und sind seither gut befreundet. Irgendwann merkt Wandal dann aber doch immer, wie froh er ist, wieder heimfahren zu können. „Diese Großstädte fressen mich ein bisschen auf. Ich bin eben auf dem Land aufgewachsen und München ist für mich irgendwie trotzdem eher ein Dorf. Du hast zwar alles, was du brauchst, wenn du Materialien und Farben kaufen willst, aber du bist sofort auf dem Land draußen, in den Bergen oder an den Seen.“ Dann lacht er: „Und gerade im Sommer 2018 war es schon geil, an der Isar zu sein, und nicht in Berlin an der Spree, die stinkt und in der du nicht baden kannst.“

Ein ‚richtiger‘ Beruf

Der Hauptgrund, gerade noch in München zu bleiben, sind für Wandal seine Familie und Freunde. Zudem haben Berufskünstler*innen hier auch Vorteile, meint Wandal, obwohl München eher spießig ist und nicht gerade als Paradies für Urban Art bekannt ist. So seien die Szene und das Angebot in Berlin zwar groß, aber es gestalte sich dadurch schwieriger, Kunst zu verkaufen. In München dagegen fände man aufgrund des deutlich geringeren Angebots dieser Kunstrichtung leichter Abnehmer*innen. So unromantisch es klingt, Künstler*innen, die allein von ihrer Kunst leben wollen, müssen solch wirtschaftliche Überlegungen anstellen. „Das Geschäft hinter der Kunst ist manchmal wirklich – ich kann’s nicht anders sagen – ein Hurensohn. Es kann wirklich schwierig sein, Geld zu verdienen und dich nicht nur ausnutzen zu lassen. Aber ich mache das, was ich liebe, und bin glücklich damit.“

© Chris & Ruth Photography

Wandal, von Farben, Formen und dem Zeichnen schon als Kind angezogen, gelingt es seit ungefähr zweieinhalb Jahren, seine Berufung als Vollzeitberuf auszuüben. Der Weg hin zur Erfüllung dieses Traums war aber nicht immer einfach. Zwar war klar, dass es in eine kreative Richtung gehen sollte, aber ursprünglich dachte er an Innenarchitektur oder Produktdesign. „Es sollte eher ein ‚richtiger‘ Beruf werden. Mit freier Kunst Geld zu verdienen, das ist nicht unbedingt ein guter Plan.“ An besorgten Ratschlägen seitens seines Umfelds mangelte es nicht: Kunst sei ein Hobby, er würde sonst womöglich auf der Straße landen. Schließlich entschied er sich, trotz aller Unsicherheit, für ein Diplomstudium an der Freien Kunstwerkstatt München. Dort beschäftigte er sich besonders mit Illustration und Comiczeichnen. Er denkt zurück an diese Zeit, als er noch einen Nebenjob hinter der Bar hatte: „Ich habe der Nachtgastronomie sehr viel zu verdanken. Als Baarkeeper habe ich Leute kennengelernt und dadurch die ersten Aufträge erhalten. Die Clubbesitzer haben mich echt unterstützt und mir meine ersten Bilder abgekauft.“ Inzwischen hat Wandal Auftragsarbeiten für verschiedene große Firmen wie LEGO, BMW Mini, Red Bull, Campari und einige weitere übernommen.

Wenn Wandal im Freien arbeitet, hat er nur die nötigsten Materialien dabei. In seinem Atelier entstehen die neuen Ideen, hier experimentiert er und entwickelt neue Entwürfe. Er hört dabei Musik. Ganz Unterschiedliches, mal Alternative, Elektro oder sogar Klassik, je nach Stimmung. Und woher kommt die Inspiration für Neues? Wandal zögert kurz und sagt dann halb im Scherz: „Reisen, Sex und manchmal misch’ ich noch ein paar Drogen hinzu. Das ist für mich die wahrste, schnellste, kürzeste Antwort, die es wirklich auf den Punkt bringt. Alles schöne Dinge.“ Und alles sinnliche Erfahrungen, aus denen Wandal seine Inspiration zieht. Genau diese Sinnlichkeit und Lebenslust strahlen seine Werke aus.

Instagram: wandal.art

 

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