„Und? Bist du schon wieder bemannt?“ Dieser Satz meines Opas geistert in meinem Kopf herum wie ein unbemanntes Schiff auf hoher See, wenn ich an Weihnachten bei meinen Großeltern denke.
Ein Gastbeitrag von Leonie Lange, Referentin des Queer-Referats der Studierendenvertretung der Ludwig-Maximilians-Universität München
Ich liebe Weihnachten; das ganze Drumherum, die Dekoration, auf die Suche nach Geschenken für Familie und Freund*innen zu gehen und die jährlichen Weihnachtsfeste bei meinen Großeltern mit der ganzen Familie. Letztes Jahr ist diese Weihnachtsfeier ausgefallen und so sehr ich mich freue dieses Jahr wieder mit meiner Familie feiern zu können, spuken doch immer wieder Fragen und Anmerkungen meines Opas durch meinen Kopf: „Bist du schon wieder bemannt?“ „Gibt es in München keine netten Männer?“ „Du bist bestimmt einsam.“ Und so viele mehr.
Am liebsten würde ich ihm einen Vortrag darüber halten, wie sexistisch es sei davon zu reden, als Frau wieder „bemannt zu sein“, oder darüber, dass man keine Partnerschaft braucht, um glücklich zu sein. Gerne hätte ich auch den Mut ihm zu sagen „Nein, ich bin lesbisch und habe eine Freundin.“, aber wenn es dazu kommt, sage ich nur, dass ich keinen Freund habe aber auch nicht einsam bin. Denn während meine restliche Familie weiß, dass ich lesbisch bin und schon letztes Weihnachten eine Partnerin hatte, wissen meine Großeltern von nichts.
Je näher Weihnachten, rückt, umso häufiger denke ich darüber nach, wie ich dieses Thema umschiffen kann, denn auch wenn meine Großeltern mir nahe stehen, weiß ich doch, dass sie es nie verstehen würden, wenn ich mich bei ihnen oute. Ich sehe schon vor mir, wie meine Cousine mich nach meiner Freundin fragt und ich fünf Minuten später wieder so tun werde als sei ich single; wie ich abends mit meiner Freundin telefoniere und meiner Oma sage, dass es „eine“ und nicht „meine“ Freundin ist, mit der ich gerade gesprochen habe. Hier in München habe ich dieses Problem nicht und auch sonst gehe ich offen mit meiner queeren Identität um. Nur bei einigen Familienangehörigen kann ich es nicht. Obwohl ich weiß, dass es für meine Beziehung zu meinen Großeltern besser ist, wenn sie weiterhin denken, ich sei hetero, bedrückt es mich, mich selbst zu verleugnen.
Dann wird mir aber auch bewusst, wie privilegiert ich in diesem Konflikt immer noch bin: Ich habe eine Familie, in der mich die meisten Personen genauso akzeptieren, wie ich bin. Ich habe die Möglichkeit, mich nicht zu outen, wenn ich das nicht will und das Schlimmste, was ich zu befürchten habe, ist, dass meine Großeltern mich nicht verstehen und meine queere Identität als Spinnerei abtun.
Dabei hört man doch immer wieder, dass ein Outing heute keine große Sache mehr sei. Aber selbst in Deutschland sagen nur 75% der Personen, sie würden unterstützend reagieren, wenn sich ein nahes Familienmitglied als schwul, lesbisch oder bisexuell outet. Bei trans* und nicht-binären Personen sind es sogar nur 66%, die unterstützend reagieren würden (YouGov.uk, 2019). Dieses Muster zieht sich durch alle befragten Länder, wobei Deutschland im unteren Mittelfeld liegt, was die Unterstützung von LGBTQ+ Personen beim Outing angeht. Viele queere Personen haben nicht die Möglichkeit sich nur in einigen Bereichen ihres Lebens zu outen, gerade für trans* und nicht binäre Personen, die eine körperliche Transition durchlaufen, ist dies so gut wie unmöglich. Sie können nicht abwägen, ob es besser ist, sich nur bei einem Teil ihres Umfelds zu outen. An sie denke ich in der Vorweihnachtszeit auch vermehrt. Wenn ich mir schon so viele Gedanken mache, wie muss es ihnen erst gehen?
Ich befinde mich im Konflikt zwischen der Trauer darüber, dass meine Großeltern wahrscheinlich nie über diesen Aspekt meines Lebens Bescheid wissen werden, der Wut über ihre Queerfeindlichkeit, den Gedanken darüber, dass ich mich nicht so anstellen soll, dem Wissen, dass meine Probleme klein sind im Vergleich zu denen vieler anderer queerer Personen, und dem Unverständnis meiner restlichen Familie darüber, warum mich das alles so beschäftigt. Die letzte Frage stelle ich mir auch häufig. Denn ich sehe meine Großeltern auch zu anderen Gelegenheiten, doch an diesen habe ich weniger Sorge und bin weniger bedrückt. Vielleicht liegt es daran, dass ich Weihnachten schon immer geliebt habe und es für mich jedes Jahr eine Zeit dargestellt hat, die, auch wenn ich nicht gläubig bin, ihre eigene Magie hatte. Diese Magie, die Weihnachten umgeben hat, verfliegt seit ich weiß, dass immer etwas zwischen meinen Großeltern und mir stehen wird, und ich fühle mich wieder ganz allein, wie ein unbemanntes Schiff auf hoher See.
Unter #QueerOnCampus schreiben Studierende des Queer-Referat der Studierendenvertretung der LMU über LGBTQ+ und andere Themen, die queere Personen im Zusammenhang mit München und dem Studium betreffen. Für die Inhalte sind allein die jeweiligen Autor*innen verantwortlich. Alle Beiträge der Serie hier nachlesen.